Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsrechtliche Überprüfung der Auslegung einer Anmeldeerklärung in eigenem oder fremdem Namen;. Verstoß gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze. Ermittlung des wahren Willens des Rechtsinhabers. Anforderungen an eine Vollmacht
Leitsatz (amtlich)
Bei Verletzung gesetzlicher Auslegungsregeln durch das Tatsachengericht kann das Revisionsgericht die Auslegung einer Willenserklärung selbst vornehmen, wenn weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Von einer wirksamen Bevollmächtigung zur Anmeldung eines vermögensrechtlichen Anspruchs ist auszugehen, wenn die Auslegung des Anmeldeschreibens einschließlich der darin in Bezug genommenen Schriftstücke ergibt, dass der Rechtsinhaber hinter der Anmeldung der Rückerstattungsforderung steht.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. b, §§ 30, 30a; BGB §§ 133, 157, 164, 167
Verfahrensgang
VG Meiningen (Entscheidung vom 13.07.1998; Aktenzeichen 5 K 813.95) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 13. Juli 1998 und der Bescheid des Landratsamtes Wartburgkreis vom 1. Februar 1995 sowie der Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 6. November 1995 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Kläger Berechtigte hinsichtlich des im Grundbuch von E. Bl. 2758, Flur 73, Flurstück 6487 verzeichneten Grundstücks K.straße …, in E. sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1; der Beigeladene zu 2 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
I.
Die Kläger, die früheren Mieter und jetzigen Eigentümer des Grundstücks Eisenach, K.-straße 2, das 731 qm umfasst und mit zwei Häusern und Nebengebäuden bestanden ist, begehren die Feststellung ihrer Berechtigung hinsichtlich dieses Grundstücks, und zwar aus abgetretenem Recht. Ursprünglicher Eigentümer des Hausgrundstücks war der 1969 verstorbene US-Amerikaner Herr S. (sen.). Ausweislich eines gegenständlich beschränkten Erbscheins des Amtsgerichts Eisenach vom 6. Juni 1995 ist sein Sohn Herr S. (jr.) sein Alleinerbe. Wegen des Wohnsitzes des Erblassers im Ausland unterlag das Grundstück der staatlichen Verwaltung gemäß der Verordnung vom 6. September 1951 über die Verwaltung und den Schutz ausländischen Eigentums in der DDR. 1969 wurde das Hausgrundstück durch den VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Eisenach verwaltet, der die vorhandenen Wohnungen weiterhin vermietete. Auf Antrag des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurde das Grundstück mit Bescheid vom 28. Juni 1982 auf der Grundlage des § 10 des Verteidigungsgesetzes der DDR in Anspruch genommen und in Volkseigentum überführt. Mit Feststellungsbescheid vom 29. Juni 1982 wurde eine Entschädigung in Höhe von 16 877,40 DM gemäß dem Wertermittlungsgutachten des Bauingenieurs B. auf der Grundlage des Ertragswertes festgesetzt. Auf dessen Einsetzung als Sachverständiger hatte das MfS bestanden. Bei der Wertermittlung legte der Sachverständige nur den Ertragswert zugrunde, wobei er den Reinertrag in Höhe von 843,87 M jährlich mit 5 % kapitalisierte, sodass sich ein Gesamtbetrag von 16 877,40 M ergab. Grundlage hierfür war § 12 des Gesetzes über die Entschädigung bei Inanspruchnahme nach dem Aufbaugesetz vom 25. April 1960 (GBl I S. 257). Der Einheitswert betrug zum 1. Januar 1935 40 100 RM.
Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, Frau N., hatte die Mutter des Herrn S. (sen.) bis zu ihrem Tode gepflegt. In einem an Frau N. gerichteten Dankschreiben vom 14. Mai 1962 führte Herr S. (sen.) in englischer Sprache – in Übersetzung wiedergegeben – aus:
„Ich freue mich, dass du meine Vollmacht vom Anwalt erhalten hast und bekräftige nochmals meinen Wunsch, dass alles nach dem Willen meiner Mutter und meines Vaters erfolgt und ich zu deinen Gunsten verzichte. Mit anderen Worten: Ich vermache euch alles, was eigentlich mir gehört. Meine größte Sorge ist zurzeit mein Haus – mein Besitz – und wenn es irgendmöglich ist, möchte ich es euch zum Geschenk machen. Ich wünsche, du findest einen Weg, wie die Situation am besten geklärt werden kann. So wie die Lage ist, werde ich nie nach Deutschland zurückkehren. Es war schon immer mein Wunsch, dass das Haus dir und deiner Familie gehört.”
Nach der Wende wurde der Rat des Kreises Rechtsträger des Grundstücks. Am 25. Juli 1991 wurde der Landkreis E. nach dem Kommunalvermögensgesetz als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.
Am 6. August 1990 wandte sich die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, Frau N., an den Rat der Stadt E. mit folgendem Schreiben:
„Ich mache hiermit darauf aufmerksam, dass o.g. Haus und Grundstück amerikanischer Privatbesitz sind. Letzter rechtmäßiger Nutzer war meine Tante, Frau Melanie S., ≪die Mutter des Herrn S. (sen.)≫. Nach ihrem Tode … ist das Haus … vom Staatssicherheitsdienst rechtswidrig übernommen worden. Die Eigentumsrechte stehen nach dem Willen meines Cousins S. mir zu. Die entsprechende Vollmacht eines amerikanischen Notars ist beim Amtsgericht Eisenach hinterlegt … Ich werde alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausschöpfen, um meine Rechte an o.g. Haus und Grundstück geltend zu machen.”
Mit Schreiben vom 30. August 1990 bestätigte der Rat des Kreises den Erhalt des vorstehenden Schreibens und teilte mit, es werde als Antrag auf Rückübertragung der Eigentumsrechte registriert. Nachdem das Vermögensamt Frau N. im Juni 1991 darüber unterrichtet hatte, dass die von ihr angesprochene Vollmacht beim Kreisgericht Eisenach nicht auffindbar sei und um weitere Angaben zu dieser Vollmacht gebeten hatte, teilte Frau N. unter dem 19. Juli 1991 dem Vermögensamt mit, dass die Vollmacht 1962 vom staatlichen Notariat – Justizrat M. – einbehalten worden sei. Die Vollmacht sei von zwei Anwälten in den USA ausgefertigt, gesiegelt und ihr zugestellt worden. Nach Rücksprache mit Herrn M. habe dieser ihr erklärt, die Vollmacht befände sich im Archiv und sei zurzeit nicht verfügbar. Aus dem Schreiben des Herrn S. (sen.) vom 14. Mai 1962, welches sie dem Brief beigefügt habe, gehe aber der Wille ihres Vetters sowie der Umstand, dass sie den Empfang der Vollmacht bestätigt habe, eindeutig hervor. Dem Schreiben der Frau N. war weiterhin die nachfolgende, nicht datierte Erklärung des Herrn S. (jr.) in englischer Sprache beigefügt (Übersetzung):
„Erklärung
Mein inzwischen verstorbener Vater hat zu seinen Lebzeiten (1962) verfügt, dass sein Haus, K. …, in … E., als Dank für die Pflege meiner Großmutter, Melanie S., in den Besitz meiner Tante …≪Frau N.≫ … übergeht. Die politischen Verhältnisse in der damaligen DDR haben diese Übernahme bis jetzt verhindert. Um die Übernahme zu beschleunigen, erneuere und bekräftige ich hiermit das Vermächtnis meines Vaters.”
Unter Beifügung des Schreibens der Frau N. vom 19. Juli 1991 wandte sich das Vermögensamt an das Nachlassgericht Eisenach im August 1991. Im Folgenden sind aus unbekannten Gründen keine weiteren Ermittlungen angestellt worden. Eine Nachricht hierüber erhielt Frau N. nicht.
Später teilte Frau N. der Stadt E. mit, dass die Schenkung an sie, „die nach dem Tode meiner Tante – nach DDR-Recht – nicht rechtswirksam wurde, z.Zt. notarisch geregelt” werde und sie bis dahin die Interessen ihres Neffen, Herrn S. (jr.) vertrete, der rechtmäßiger Grundstückserbe sei. In seinem Bestätigungsschreiben vom 14. Januar 1992 führte das Rechtsamt des Landrates aus, es sei zutreffend, dass sie für Herrn S. (jr.) vermögensrechtliche Ansprüche angemeldet habe. Dessen Erbrecht sei jedoch noch in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zu beweisen. Dasselbe gelte für die möglicherweise bei der Entscheidung mitzuberücksichtigende Schenkung und die Bevollmächtigung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen.
Mit notariellem Vertrag vom 5. Dezember 1992 verkaufte Frau N. unter Hinweis auf ihre Rückübertragungsansprüche das streitbefangene Grundstück an die Kläger. Zugleich trat sie in der notariellen Urkunde ihre Rückübertragungsansprüche an die Kläger ab.
Mit einer notariellen Erklärung vom 8. Juni 1993 trat schließlich Herr S. (jr.) seine Ansprüche auf Rückübertragung des streitgegenständlichen Vermögens an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ab und ermächtigte diese, in seinem Namen alle Restitutionsanträge zu stellen und alle hierfür erforderlichen Erklärungen abzugeben. Zugleich genehmigte er alle bisher gestellten Anträge der Frau N. bezüglich der Restitution. Herr S. (jr.) hat keine Ansprüche auf Vermögensobjekte im Programm der Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika … vom 13. Mai 1992 (BGBl II 1992, 1223) geltend gemacht.
Mit Schreiben vom 4. August 1993 stellten die Kläger unter Bezugnahme auf die beiden Abtretungen Rückübertragungsanträge. Nachdem sie das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 30. Dezember 1993 vorsorglich auch vom Landkreis E. erworben hatten, haben sie ihren Antrag auf Feststellung der Berechtigung umgestellt. Der Kaufpreis wurde auf einem Notaranderkonto hinterlegt. Nach der getroffenen Vereinbarung soll er, falls die Kläger als Rückgabeberechtigte anerkannt werden, nicht an den Landkreis Eisenach entrichtet werden.
Mit Bescheid vom 1. Februar 1995 lehnte der Beigeladene zu 2 die Rückübertragung an die Kläger sowie an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 bzw. an Herrn S. (jr.) ab. Die Kläger könnten ihre Berechtigung nur aus abgetretenem Recht geltend machen. Ihre Berechtigung hätten sie aber nicht aufgrund der Abtretung von Frau N. erlangt, da diese zum Zeitpunkt der Abtretung nicht Inhaberin des Rückübertragungsanspruchs und im Übrigen nie Eigentümerin gewesen sei. Insbesondere habe sie den Rückübertragungsanspruch nicht durch Abtretung von Herrn S. (jr.) erworben, da dieser seinen Anspruch zuvor gar nicht angemeldet habe. Die Anmeldung durch die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen genüge nicht, da es an ihrer Bevollmächtigung gefehlt habe. Eine Vertretung scheide im Übrigen aus, weil Frau N. davon ausgegangen sei, aufgrund eines Schenkungsvertrages selbst Berechtigte zu sein. Der Widerspruch der Kläger, mit dem sie eine weitere undatierte Erklärung des Herrn S. (jun.) vorlegten, worin dieser bestätigte, die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen autorisiert zu haben, in ihrem Namen die Restitution des Grundstücks zu beantragen, blieb erfolglos.
Mit ihrer Klage haben die Kläger u.a. geltend gemacht, die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, Frau N., habe in ihrem Restitutionsantrag vom 6. August 1990 darauf hingewiesen, dass ihr die Eigentumsrechte bisher vorenthalten worden seien. Daraus ergebe sich, dass dieser Antrag sowohl als Antrag für die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen als auch für Herrn S. (jr.) zu werten sei.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. Juli 1998 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, Frau N. habe den Klägern keine vermögensrechtlichen Ansprüche vermitteln können, da sie selbst keine Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes gewesen sei. Sie habe auch nicht einen von ihr angemeldeten Restitutionsanspruch des Herrn S. (jr.) abtreten können. Es sei schon zweifelhaft, ob die Klägerin in fremdem Namen eine Anmeldung vorgenommen habe, jedenfalls sei ihr die insoweit erforderliche Vollmacht nicht vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 30 a VermG erteilt worden. Die Vollmacht aus dem Jahre 1962 sei weder auffindbar gewesen noch könne sie sich auf die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Vermögensgesetz beziehen. Auch in der undatierten Erklärung des Herrn S. (jr.) sei keine Vollmacht zu erblicken, da sich diese Erklärung allein auf die Durchsetzung bzw. die Erneuerung des Schenkungsversprechens des Herrn S. (sen.) beziehe und wegen ihres eindeutigen Wortlauts keiner weiteren Auslegung fähig sei. Da im Übrigen nach Ablauf der Ausschlussfrist eine vollmachtlose Anmeldung nicht mehr rückwirkend genehmigt werden könne, stelle auch die in der Abtretungserklärung vom 8. Juni 1993 erteilte Vollmacht keine ausreichende Bevollmächtigung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen dar. Die in der Urkunde vom 8. Juni 1993 zugleich erfolgte Abtretung von Rückübertragungsansprüchen seitens Herrn S. (jr.) an Frau N. sei bedeutungslos, weil die von ihr in seinem Namen geltend gemachten Ansprüche mangels Vollmacht niemals wirksam entstanden seien. Eine Nachsichtgewährung scheitere, weil kein behördliches Fehlverhalten vorliege, da das Landratsamt mit Schreiben vom 14. Januar 1992 darauf hingewiesen habe, dass eine Vollmacht in der gesetzlichen Form zu beweisen sei.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung sachlichen Rechts und vertiefen ihren bisherigen Rechtsstandpunkt. Insbesondere sei die Frage, ob den Willenserklärungen des Herrn S. (jr.) ein eindeutiger Inhalt zugemessen werden könne, revisibel.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 13. Juli 1998 und des Bescheides des Landratsamts Wartburgkreis – Amt zur Regelung offener Vermögensfragen – vom 1. Februar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 6. November 1995 zu verpflichten, festzustellen, dass die Kläger Berechtigte hinsichtlich des Grundstücks in E., Gemarkung E., Flur 73, Flurstück 6487, sind.
Die Beigeladene zu 1 schließt sich dem Antrag und der Revisionsbegründung der Kläger an.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das ergangene Urteil und macht geltend, dass aus den vorgelegten Dokumenten sich nicht eindeutig habe erkennen lassen, dass die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen bevollmächtigt gewesen sei.
Der Beigeladene zu 2 gibt keine Stellungnahme ab.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen der Kläger und der Beigeladenen zu 1 sind zulässig und begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen einer wirksamen Antragstellung im Sinne des § 30 a VermG verneint. Es hat unter Verstoß gegen revisible allgemeine Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) in der undatierten Erklärung des Herrn S. (jr.), die dem Schreiben der Frau N. vom 19. Juli 1991 beigefügt war, keine wirksame Bevollmächtigung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 gesehen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt daher der Aufhebung. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VwGO), da die tatsächlichen Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil und die dem Senat vorliegenden Streitakten und Verwaltungsvorgänge eine Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Berechtigtenfeststellung ermöglichen.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist von einer wirksamen Antragstellung nach §§ 30 und 30 a VermG auszugehen. Zwar hat der Rechtsnachfolger des ursprünglichen Berechtigten, Herr S. (jr.) nicht selbst den vermögensrechtlichen Anspruch angemeldet. Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 hat aber mit unmittelbarer Wirkung für und gegen den von ihr vertretenen Herrn S. (jr.) nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB entsprechend die Anmeldung vorgenommen. Frau N. hat die Anmeldung vom 6. August 1990 im Namen des Herrn S. (jr.) abgegeben. Durch den Hinweis auf „amerikanischen Privatbesitz” und das Eigentum ihres Vetters hat sie hinreichend deutlich gemacht, dass sie auch im Namen des Herrn S. (jr.) auftrat. Es ist dabei unerheblich, ob die Erklärung ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgte, oder ob sich erst aus den Umständen ergibt, dass diese in dessen Namen erfolgen soll (vgl. § 164 Abs. 1 S. 2 BGB). Durch den Hinweis auf die Vollmacht des Herrn S. (sen.) hat die Anmelderin deutlich gemacht, dass sie auch in dessen Namen handeln wollte. Die damals zuständige Vermögensbehörde hat im Übrigen auch in ihrem Schreiben vom 14. Januar 1992 zu erkennen gegeben, dass sie das Vorgehen der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 als eine Anmeldung für Herrn S. (sen.) gewertet hat.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 auch wirksam bevollmächtigt worden. In der von der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 mit Schreiben vom 19. Juli 1991 übersandten undatierten Erklärung des Herrn S. (jr.) ist eine Vollmacht im Sinne des § 167 Abs. 1 BGB zu sehen. Aus dieser Erklärung ergibt sich eindeutig, dass der Rechtsinhaber hinter der Anmeldung der Rückerstattungsforderung stand. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht gemeint, dass der Wortlaut der undatierten Erklärung in dem Sinne eindeutig sei, dass sich diese Erklärung „allein auf die Durchsetzung bzw. die Erneuerung des Schenkungsversprechens des Vaters des Erklärenden” beziehe und einer darüber hinausgehenden Auslegung aufgrund des eindeutigen Wortlauts nicht zugänglich sei. Mit dieser rechtlichen Würdigung des Anmeldeschreibens hat das Verwaltungsgericht eine gesetzliche Auslegungsregel verletzt, so dass keine Bindung des Revisionsgerichts an die Auslegung durch die Tatsacheninstanz eintritt.
Die allgemeinen Auslegungsregeln verlangen stets die Prüfung, ob der Erklärende mit seiner Erklärung nicht einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, wenn sich dies aus den Umständen, etwa aus Sinn und Zweck der Erklärung, dem Interesse der Beteiligten und weiteren dem Erklärungsempfänger objektiv erkennbaren Umständen, etwa dem Ablauf von Vorverhandlungen ergibt (Urteil vom 29. April 1993 – BVerwG 7 C 29.92 – Buchholz 112 § 11 VermG Nr. 1; BGHZ 86, 41 ≪46≫). Ob der Wortlaut einer Erklärung eindeutig oder mehrdeutig ist, ist in der Revisionsinstanz voll nachprüfbar (BGHZ 32, 60 ≪63≫; BGHZ 86, 41 ≪47≫). Die undatierte Erklärung des Herrn S. (jr.) ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts weder von ihrem Wortlaut her noch nach den sonstigen zu berücksichtigenden Umständen her eindeutig. Das Verwaltungsgericht hat die Erklärung ausschließlich als Erneuerung des ursprünglichen Schenkungsversprechens gewertet, obschon der Rechtsbegriff der Schenkung in der Erklärung nicht auftaucht. Es hat dabei nicht gewürdigt, dass in dem in Bezug genommenen Schreiben des Herrn S. (sen.) vom 14. Mai 1962 auch von einer Vollmacht die Rede ist. Eine Interpretation der undatierten Erklärung aus dem Gesamtzusammenhang heraus hat das Verwaltungsgericht damit unterlassen und damit den vorhandenen Auslegungsstoff unzulässigerweise verkürzt.
Wegen der Verletzung einer gesetzlichen Auslegungsregel und weil weitere tatsächliche Feststellungen für eine Auslegung nicht erforderlich sind, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen (vgl. Urteil vom 1. August 1986 – BVerwG 8 C 54.85 – Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 27 m.w.N.; Urteil vom 19. Januar 1990 – BVerwG 4 C 21.89 – BVerwGE 84, 257 ≪264 f.≫ = Buchholz 445.4 § 10 WHG Nr. 4 S. 1 ≪6≫).
Mit der Formulierung in der undatierten Erklärung des Herrn S. (jr.)– „Um die Übernahme zu beschleunigen, erneuere und bekräftigte ich hiermit das Vermächtnis meines Vaters” – bezieht der Verfasser des Schreibens ausdrücklich den früheren Brief seines Vaters vom 14. Mai 1962 mit ein, das dem Vermögensamt auch bekannt war. Aus dieser früheren Erklärung geht eindeutig hervor, dass für die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 auch eine Vollmacht zum baldmöglichsten Vollzug des zugleich erteilten Schenkungsversprechens eingeräumt worden ist. Aus dem Zusammenhang beider Erklärungen hätte die Behörde nach Treu und Glauben die mit dem Zweck der Vorlage im vermögensrechtlichen Verfahren abgegebene undatierte Erklärung so auffassen müssen, dass Herr S. (jr.) diejenigen rechtlichen Erklärungen abgeben wollte, die erforderlich waren, um der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen letztlich das Eigentum an dem streitbefangenen Grundstück zu verschaffen. Das war nach Lage der Dinge die Erteilung einer Vollmacht für die Durchführung des Restitutionsverfahrens im Namen des Herrn S. (jr.). Allein dies entsprach auch den erkennbaren Interessen des Vollmachtgebers und der Vollmachtempfängerin. Die Gesamtumstände lassen damit nur den Schluss zu, dass Herr S. (jr.) nach seinem erklärten Willen hinter der Anmeldung stand (vgl. Urteil vom 24. Juni 1999 – BVerwG 7 C 20.98 – Buchholz 428 § 30 a VermG Nr. 10). Da die Erteilung der Vollmacht zur Geltendmachung der vermögensrechtlichen Ansprüche auch innerhalb der Ausschlussfrist nach § 30 a VermG erfolgte, ist insgesamt von einer ordnungsgemäßen Antragstellung seitens der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 auszugehen.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts und nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsvorgänge steht ebenso fest, dass der für Herrn S. (jr.) angemeldete Rückübertragungsanspruch an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 wirksam abgetreten worden ist. Auch an der Rechtswirksamkeit der weiteren Abtretung des Anspruchs an die Kläger durch den notariellen Vertrag vom 5. Dezember 1992 ist nicht zu zweifeln. Zwar ist der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 erst durch die beurkundete Erklärung vom 8. Juni 1993 der maßgebliche Anspruch seitens Herrn S. (jr.) abgetreten worden. Die vorausgegangene Abtretung an die Kläger konnte aber durchaus eine zwar bestehende, aber erst noch zu erwerbende Forderung erfassen (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Auflage, Rn. 11 zu § 398).
Anhand des vorgelegten Aktenmaterials ergibt sich auch, dass der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG erfüllt ist. Denn das streitbefangene Grundstück ist gegen eine geringere Entschädigung enteignet worden, als sie den Bürgern der früheren DDR zustand. Bei der Wertermittlung ist der von dem MfS ausgesuchte Bauingenieur B. entsprechend den Beschlüssen des Präsidiums des Ministerrats vom 23. Dezember 1976 und vom 28. Juli 1977 i.V.m. Ziff. 2.3 der dem letzgenannten Beschluss beigefügten „Information” (vgl. Urteile vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 11.93 – BVerwGE 95, 289 ≪291 f.≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 20 S. 18 ≪20≫, vom 18. Januar 1996 – BVerwG 7 C 51.94 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 61, S. 176 und vom 5. März 1998 – BVerwG 7 C 8.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 140 S. 424) nur von dem Ertragswert ausgegangen und hat den Sachwert des Grundstücks (Einheitswert 40 100 RM) bei der Wertermittlung unberücksichtigt gelassen. Darin liegt die generelle Diskriminierung des Westeigentums, um gerade den Zugriff auf das Eigentum zu erleichtern.
Da die Kläger bereits das Eigentum an dem zu übertragenden Vermögenswert erlangt haben, ist der Beklagte verpflichtet festzustellen, dass die Kläger Berechtigte hinsichtlich des streitbefangenen Grundstücks sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Dem Beklagten waren auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 aufzuerlegen, da diese sich durch die Stellung eines Sachantrags einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Golze
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.10.2000 durch Sieber Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 544054 |
BuW 2001, 207 |
NJ 2001, 159 |