Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 14.10.2002; Aktenzeichen 11 UE 1319/99) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
1. Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den folgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger hat einen Revisionszulassungsgrund (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht dargetan.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Dies ist hier nicht der Fall.
Die Beschwerde trägt sinngemäß vor, die Beweislastumkehr zugunsten des Klägers müsse entsprechend dem vorliegenden Gutachten dazu führen, dass die praktische Prüfung als bestanden gewertet oder zumindest über ihr Ergebnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden werde. Die Beschwerde wirft keine Rechtsfrage ausdrücklich auf. Zudem stützt sie sich auf das Beweisergebnis im vorliegenden Fall. Beides spricht dafür, dass sie lediglich eine unrichtige Rechtsanwendung durch den Verwaltungsgerichtshof rügt. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision.
Nach dem Beschwerdevorbringen kommt aber auch in Betracht, dass sie die Frage als grundsätzlich bedeutsam aufwerfen will, ob der von der Prüfungsbehörde zu vertretende Verlust einer Prüfungsleistung dazu führt, dass die Prüfungsleistung als für das Bestehen der Prüfung ausreichend zu bewerten ist. Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie ist anhand der vorliegenden Rechtsprechung ohne weiteres zu verneinen.
Der Grundsatz, dass es zu Lasten des Prüflings geht, wenn sich Prüfungsfehler nicht nachweisen lassen, gilt nicht ausnahmslos. Eine Ausnahme ist – dem in § 444 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken folgend – im Fall der Beweisvereitelung durch die Prüfungsbehörde geboten (vgl. Urteil vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 7 C 49.87 – BVerwGE 78, 367, 370). § 444 ZPO besagt, dass dann, wenn eine Urkunde von einer Partei in der Absicht, ihre Benutzung dem Gegner zu entziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich gemacht wird, die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden können. Der in dieser Vorschrift enthaltene und auf die Vereitelung des Beweises mit Hilfe anderer Beweismittel übertragbare Rechtsgedanke geht dahin, zu verhindern, dass eine Lücke in der Beweisführung, die die nicht beweispflichtige Partei verschuldet hat, ohne weiteres und in jedem Fall nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der beweispflichtigen Partei zur Last fällt. Der Tatrichter hat danach zu prüfen, ob sich diese Lücke in der Beweisführung unter Einbeziehung des schuldhaften Verhaltens einer Partei in die Beweiswürdigung durch den in § 444 ZPO vorgesehenen Schluss ausfüllen lässt, ohne dazu verpflichtet zu sein, einen solchen Schluss in jedem Fall zu ziehen. Ein solcher Schluss setzt stets voraus, dass der Tatrichter im Rahmen der freien Beweiswürdigung die diesem Schluss entsprechende Überzeugung gewonnen hat (vgl. Urteil vom 26. April 1960 – BVerwG 2 C 68.58 – BVerwGE 10, 270, 271 f.; s. auch Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 108 Rn. 83 ff. m.w.N.).
Hiernach kann der von der Prüfungsbehörde verschuldete Verlust einer Prüfungsarbeit nicht, wie die Beschwerde meint, ohne weiteres zu einer Bewertung dieser Prüfungsarbeit führen, die das Bestehen der (Gesamt-)Prüfung ermöglicht. Vielmehr hat der Tatrichter die behaupteten Bewertungsfehler anhand vorhandener Begutachtungen und sonstiger Erkenntnisquellen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO) und aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens eine Überzeugung über deren Vorliegen zu gewinnen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Lässt sich danach das Vorliegen eines erheblichen Prüfungsmangels nicht mit hinreichender Sicherheit verneinen, ist wegen der dem Prüfling aufgrund der Beweisvereitelung günstigen Beweislastverteilung von dem behaupteten Prüfungsmangel auszugehen. Das Vorliegen eines Bewertungsfehlers kann jedoch nicht mit dem Vorliegen ausreichender Prüfungsleistungen gleichgesetzt werden. Vielmehr sind Bewertungsfehler grundsätzlich in der Weise zu korrigieren, dass die Prüfungsleistung von dem zuständigen Prüfer neu bewertet wird; sofern allerdings eine verlässliche Grundlage für die Beantwortung der Frage, ob die an eine erfolgreiche Prüfung zu stellenden Mindestanforderungen erfüllt sind, nicht oder nicht mehr vorhanden ist, entfällt der Anspruch des Prüflings auf Neubewertung mit der Folge, dass die Prüfung ohne Anrechnung auf die Zahl der allgemein zulässigen Wiederholungsprüfungen erneut abgelegt werden kann und muss (vgl. Beschluss vom 11. April 1996 – BVerwG 6 B 13.96 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 363 = NVwZ 1997, 502; Beschluss vom 20. Mai 1998 – BVerwG 6 B 50.97 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 389 = NJW 1998, 3657; Urteil vom 27. April 1999 – BVerwG 2 C 30.98 – Buchholz 237.5 § 22 HeLBG Nr. 1 = NVwZ 2000, 921). So verhält es sich auch bei einem von der Prüfungsbehörde zu verantwortenden Verlust der Prüfungsarbeit, weil unter dieser Voraussetzung die erbrachte Prüfungsleistung – zumindest in der Regel – ebenfalls nicht ordnungsgemäß neu bewertet werden kann. Die Rechtslage ist insoweit keine andere als in den Fällen, in denen die Bewertung einer Prüfungsleistung von den Prüfern nicht oder nicht ausreichend begründet worden ist und sich eine substantielle, die effektive gerichtliche Kontrolle der Prüfungsentscheidung ermöglichende Begründung wegen Zeitablaufs nicht nachholen lässt. Auch in derartigen Fällen ist nicht etwa – sozusagen auf der Grundlage fiktiv fehlerfreier Prüfungsleistungen – die Prüfung für bestanden zu erklären, sondern die negative Prüfungsentscheidung aufzuheben und dem Prüfling Gelegenheit zu geben, die Prüfung erneut abzulegen (vgl. BVerwGE 99, 185).
Der Einwand des Klägers, die erneute Anfertigung eines Prüfungsstücks sei ihm angesichts der vergangenen Zeit und des technischen Fortschritts nicht zuzumuten, greift nicht durch. Zum einen kann ein Prüfling Nachteile der vorgetragenen Art vermeiden, indem er alsbald nach Bekanntwerden des Verlustes der Prüfungsarbeit diese vorsorglich wiederholt und sich diese Möglichkeit, wenn nötig, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erstreitet (vgl. Beschluss vom 11. April 1996 – BVerwG 6 B 13.96 – a.a.O.). Zum andern erlauben der Grundsatz der prüfungsrechtlichen Chancengleichheit und der Schutz der Gemeinschaftsgüter, dem der Nachweis einer bestimmten beruflichen Qualifikation dient und der ihn im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigt (vgl. Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl. 2001, Rn. 617 m.w.N.), es nicht, einem Prüfling den Besitz der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten allein deshalb zu bestätigen, weil wegen eines Fehlers der Prüfungsbehörde nicht aufgeklärt werden kann, ob die (negative) Bewertung der Prüfungsarbeit auf rechtserheblichen Mängeln beruht.
b) Die Beschwerde hat auch keinen Verfahrensmangel dargetan, der gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Zulassung der Revision führen würde.
Die Beschwerde trägt sinngemäß vor, nach dem erwähnten Gutachten und der Vernehmung des Klägers vor dem Verwaltungsgericht sei der der Beigeladenen gemäß § 444 ZPO obliegende Gegenbeweis für die Richtigkeit der Prüfungsentscheidung nicht erbracht worden; wegen dieser eindeutigen Beweislage hätte der Verwaltungsgerichtshof zumindest eine Parteivernehmung durchführen müssen; deren Unterbleiben verstoße gegen § 86 Abs. 1 VwGO.
Wird ein Aufklärungsmangel geltend gemacht, muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO substantiiert dargelegt werden, welche Beweise angetreten worden sind oder welche Ermittlungen sich dem Berufungsgericht hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel bzw. Aufklärungsmöglichkeiten in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis die Beweisaufnahme bzw. weitere Aufklärung voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Tatsachengericht seine Aufklärungspflicht grundsätzlich dann nicht verletzt, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich vertretene Partei nicht beantragt hat.
Ob die Aufklärungsrüge des Klägers diesen Darlegungsanforderungen entspricht, ist zweifelhaft, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Denn die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Dem Verwaltungsgerichtshof musste sich eine Vernehmung des Klägers als Partei nicht aufdrängen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Anhörungsschreiben gemäß § 130a VwGO vom 25. Juli 2002 die Erwägungen, auf die der angefochtene Beschluss gestützt ist, bereits im Wesentlichen dargestellt und insbesondere das Gutachten des Sachverständigen B.… vorläufig gewürdigt. Der Kläger hat daraufhin um mündliche Verhandlung gebeten und auf die Notwendigkeit eines Sachverständigenbeweises hingewiesen, die Möglichkeit einer Parteivernehmung aber nicht angesprochen (Schriftsatz vom 20. August 2002). Es liegen aber auch sonst keine Umstände vor, die dem Verwaltungsgerichtshof eine Vernehmung des Klägers als Partei hätten aufdrängen müssen. Der Kläger hat sich in diesem Verfahren umfänglich durch schriftlichen Vortrag sowie persönlich – etwa in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27. Mai 1998 – geäußert. Ohne entsprechende Hinweise seitens des Klägers durfte der Verwaltungsgerichtshof davon ausgehen, dass er Weiteres nicht vorzutragen hatte.
Die Beschwerde hat aber auch nicht dargelegt, und es sind auch sonst keine Umstände dafür ersichtlich, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht es geboten hätte, den Kläger nicht nur (informell) anzuhören, sondern darüber hinaus seine (förmliche) Vernehmung als Partei anzuordnen. Anders als in dem von der Beschwerde erwähnten Urteil vom 8. Dezember 1988 – BVerwG 3 C 87.87 – (Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 36 = NVwZ 1989, 1057) war hier eine Parteivernehmung insbesondere nicht erforderlich, um Widersprüche im tatsächlichen Vortrag der Partei auszuräumen.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Gerhardt, Vormeier
Fundstellen