Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 30.01.2001; Aktenzeichen 5 L 427/00) |
Tenor
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Januar 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde rügt im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft einen vom Kläger benannten und präsenten Zeugen in der Berufungsverhandlung nicht angehört habe.
Nach der Niederschrift über die Berufungsverhandlung (GA S. 161 ff., 164) hat der Kläger entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift allerdings nicht förmlich beantragt, den anwesenden Herrn G. als Zeugen zu vernehmen, vielmehr nur angeregt, diesen „darüber anzuhören, aus welchem Grunde der Sicherheitsdienst die Eltern des Klägers aufgesucht habe”. Das Berufungsgericht hat dies abgelehnt, weil es einer entsprechenden Beweiserhebung nicht bedurft habe. Der Kläger selbst habe in der Berufungsverhandlung geltend gemacht, seine Mutter habe dem genannten Zeugen erzählt, sie sei häufiger von Personen, die wohl der Geheimpolizei angehört hätten, gefragt worden, wo der Kläger sei. Diese Äußerungen der Mutter des Klägers würden als wahr unterstellt. Sie seien nicht geeignet, die geltend gemachte Rückkehrgefährdung zu rechtfertigen. Denn aus der Tatsache, dass wohl der Geheimpolizei angehörende Personen nach dem Verbleib des Klägers gefragt hätten, lasse sich ohne weitere konkrete Umstände, aus denen sich Anlass, Zeitpunkt und Art und Weise der Befragung ergäben, nicht herleiten, der Kläger werde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr in den Iran politisch verfolgt werden. Außerdem handele es sich hinsichtlich der Nachforschungen des Geheimdienstes bei dem erwähnten Zeugen lediglich um einen „Zeugen vom Hörensagen”, der hinsichtlich der Nachforschungen des Geheimdienstes selbst keine Wahrnehmungen gemacht habe. Für die Vernehmung eines solchen Zeugen bestehe in aller Regel keine Veranlassung. Aus diesen Gründen habe es auch keiner entsprechenden Anhörung bedurft. Dies gelte auch hinsichtlich der Anregung, den Zeugen darüber anzuhören, aus welchem Grunde der Sicherheitsdienst die Eltern des Klägers aufgesucht habe. Denn auch insoweit habe der Zeuge keine eigenen Wahrnehmungen gemacht und außerdem werde mit dieser Anregung nicht eine bestimmte entscheidungserhebliche Tatsache unter Beweis gestellt, sondern eine Ausforschung oder Beweisermittlung erstrebt, der nicht nachzugehen gewesen sei.
Mit diesen Ausführungen verkennt das Berufungsgericht seine Pflicht zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO). Indem das Berufungsgericht die Anhörung des Herrn G. als Zeugen von vornherein als ungeeignetes Beweismittel angesehen hat, da er keine eigenen Wahrnehmungen über den in Rede stehenden Sachverhalt machen könne, hat es gegen den Grundsatz verstoßen, sich selbst unmittelbar durch geeignete Beweismittel (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 VwGO) die Überzeugung vom Vorliegen bzw. Fehlen der entscheidungserheblichen Tatsachen zu verschaffen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Vernehmung des Herrn G. als „Zeuge vom Hörensagen” war kein von vornherein ungeeignetes Beweismittel, wenn auch an die Beweiswürdigung bei einem Zeugen vom Hörensagen besondere Anforderungen zu stellen sind. Dessen Aussage wird regelmäßig eine Entscheidung nur dann zugrunde gelegt werden können, wenn es für das Vorliegen der entsprechenden Tatsachen noch andere Anhaltspunkte gibt (vgl. Beschluss vom 6. Dezember 1999 – BVerwG 5 B 15.99 – ≪juris≫; vgl. weiter BVerfGE 57, 250, 292). Spricht das Gericht der behaupteten Wahrnehmung des Zeugen vom Hörensagen jedoch von vornherein jeden Beweiswert ab, so liegt darin eine unzulässige Vorwegnahme der Würdigung des Beweisergebnisses (vgl. etwa Beschluss vom 20. Mai 1998 – BVerwG 7 B 440.97 – IFLA 1998, 102, 104). Dem vom Berufungsgericht zitierten Beschluss vom 20. November 1996 – BVerwG 9 B 653.96 – ≪juris≫ ist nichts Abweichendes zu entnehmen. Auch soweit das Berufungsgericht die Beweiserhebung mit der weiteren Begründung abgelehnt hat, der Kläger strebe damit eine Ausforschung oder Beweisermittlung an, ist dies nicht haltbar. Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungsbeweis liegt nur vor in Bezug auf Tatsachenbehauptungen, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aus der Luft gegriffen” aufgestellt werden, für die tatsächliche Grundlagen jedoch fehlen (vgl. Beschluss vom 29. Juni 2001 – BVerwG 1 B 131.00 – InfAuslR 2001, 466). Unter den Umständen des vorliegenden Falles hätte es sich dem Berufungsgericht aufdrängen müssen, den präsenten Zeugen zu den Angaben der Mutter des Klägers im Interesse einer umfassenden Aufklärung des Sachverhalts zu hören, insbesondere um herauszufinden, welche Gründe für die Nachforschungen des Geheimdienstes ggf. bestanden haben und ob sich hieraus weitere Rückschlüsse auf eine Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr ziehen lassen. Das ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass das Berufungsgericht die Beweisanregung – offenbar im Hinblick auf seinen tatrichterlichen Prüfungsansatz, dass ein Glaubenswechsel im Iran politische Verfolgung auslösen kann, „wenn die staatlichen, halbstaatlichen oder anderen Institutionen … bekannt wird” (UA S. 12) – nicht von vornherein als – entscheidungsunerheblich angesehen hat.
Auf die weiteren Rügen der Beschwerde kommt es danach nicht an.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Hund
Fundstellen