Entscheidungsstichwort (Thema)
Lokalisierungsgrundsatz für Anwälte
Beteiligte
Rechtsanwälte Prof. Dr. Rüdiger Zuck und Koll. |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde von Rechtsanwälten mit Kanzleisitz in den neuen Bundesländern wendet sich unmittelbar gegen Art. 1 Nr. 1 und 3 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (im Folgenden: Änderungsgesetz) vom 17. Dezember 1999 (BGBl I S. 2448), soweit sich die Vorschrift auf Art. 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 – BRNOG – (BGBl I S. 2278) bezieht, wodurch im zivilprozessualen Anwaltsprozess die Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte in den alten und den neuen Bundesländern ab 1. Januar 2000 vereinheitlicht worden ist. Nunmehr ist es Rechtsanwälten unabhängig vom Kanzleisitz erlaubt, im Bereich des zivilprozessualen Anwaltszwanges vor allen Land- und Familiengerichten der Bundesrepublik Deutschland aufzutreten.
I.
1. In der alten Fassung verknüpfte § 78 ZPO den Anwaltszwang mit dem so genannten Lokalisierungsgrundsatz. Er beschränkte in Anwaltsprozessen die Postulationsfähigkeit des Anwalts auf das Gericht seiner Zulassung. Durch die Neufassung von § 78 ZPO wird diese Verknüpfung von Lokalisierungsprinzip und Anwaltszwang beseitigt und damit die umfassende Postulationsfähigkeit des bei einem Amts- oder Landgericht zugelassenen Rechtsanwalts hergestellt.
Nach dem 1994 beschlossenen Art. 22 Abs. 2 BRNOG sollte eine solche Neuregelung des § 78 ZPO in den alten Bundesländern, also auch in Berlin, am 1. Januar 2000 in Kraft treten, in den übrigen Bundesländern aber erst am 1. Januar 2005. Das war Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Prüfung mit dem Ergebnis, dass eine Partei oder ein am Verfahren beteiligter Dritter in Anwaltsprozessen sich vor einem Land- oder Amtsgericht der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von jedem Rechtsanwalt vertreten lassen konnte, der bei einem Amts- oder Landgericht eines dieser fünf Länder zugelassen war (BVerfGE 93, 362). In den alten Bundesländern oder in Berlin zugelassene Rechtsanwälte waren damit während der Übergangszeit in Anwaltsprozessen vor einem Gericht dieser Länder nicht postulationsfähig.
Aufgrund des Streits um die Auslegung der Neuregelung (vgl. Hamacher, AnwBl 1999, S. 550 f.; Lehne, BRAK-Mitt. 1999, S. 200 f.; schriftliche Antwort des Staatssekretärs Geiger vom 8. Juli 1999 auf die Anfrage des Abgeordneten Rainer Funke, BTDrucks 14/1433, S. 11 ff.) wurde durch Art. 1 des Änderungsgesetzes die anwaltliche Postulationsfähigkeit für die Zukunft bundeseinheitlich geregelt. Nach den Gesetzgebungsmaterialien sollte Rechtsunsicherheit beseitigt werden. Aus dem Wortlaut des ab 1. Januar 2000 in den alten Ländern geltenden § 78 ZPO lasse sich nicht mit notwendiger Sicherheit entnehmen, ob Anwälte mit Sitz in den neuen Bundesländern ab 1. Januar 2000 auch vor den Gerichten in den alten Bundesländern auftreten dürften. Angesichts der entstandenen Rechtsunsicherheit erscheine es geboten, die Postulationsfähigkeit zu regeln, und zwar dahingehend, dass die Einheit des anwaltlichen Berufsrechts in ganz Deutschland durch Inkraftsetzung des § 78 ZPO n.F. zum 1. Januar 2000 in allen Bundesländern hergestellt werde. Eine einheitliche Regelung könne auch verantwortet werden, weil es eines Schutzes der Kanzleien aus den neuen Bundesländern vor der Konkurrenz aus den alten Bundesländern nicht mehr bedürfe. Die Anwaltsdichte in den neuen Bundesländern habe sich derjenigen in den alten Bundesländern angenähert. Eine weitere Förderung durch Konkurrenzschutz erscheine entbehrlich. Vertrauensschutzgesichtspunkte stünden einem vorgezogenen Wegfall des Lokalisationsgebots nicht entgegen, weil das Bundesverfassungsgericht es dem Gesetzgeber ausdrücklich freigestellt habe, den Zeitpunkt der vollständigen Rechtsangleichung anders zu bestimmen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrucks 14/1958 vom 2. November 1999; vgl. auch den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, BTDrucks 14/1661 vom 28. September 1999; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 24. November 1999, BTDrucks 14/2213).
Nicht vereinheitlicht wurde das Gebührenrecht. Nach wie vor ermäßigen sich die Gebühren nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte bei der Tätigkeit von Rechtsanwälten, die ihre Kanzlei im Beitrittsgebiet haben, um 10 vom Hundert. Die Gebührenermäßigung tritt auch ein, wenn ein Rechtsanwalt vor Gerichten oder Behörden mit Sitz im Beitrittsgebiet im Auftrag eines Beteiligten tätig wird, der seinen Wohnsitz oder Sitz im Beitrittsgebiet hat.
2. a) Die Beschwerdeführer sind seit mehreren Jahren zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und haben ihren Kanzleisitz in den neuen Bundesländern. Einige von ihnen bestreiten einen Teil ihres Umsatzes durch Korrespondenzmandate aus den alten Bundesländern. Dieser Anteil ihrer anwaltlichen Tätigkeit schwankt zwischen 10 und 60 vom Hundert.
b) Mit ihrer unmittelbar gegen das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte gerichteten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. Das Gesetz greife in den verfassungsrechtlich gesicherten Besitzstand der Beschwerdeführer ein, weil es zugleich beim 10%igen Gebührenabschlag für Ostanwälte geblieben sei.
Das Bundesverfassungsgericht habe bislang offengelassen, ob Anwaltspraxen in gleicher Weise wie der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt seien. Um eine bloße nicht geschützte Chancenverwertung gehe es hier aber nicht. Die eigentumskonstituierende Regelung liege in der gesetzesvertretenden Vollstreckungsanordnung der Entscheidungsformel Nr. 2 von BVerfGE 93, 362, durch die die Freigabe der Postulationsfähigkeit in den neuen Ländern bis zum 31. Dezember 2004 auf Ostanwälte beschränkt worden sei. Das Bundesverfassungsgericht habe zwar seine Entscheidung mit dem Satz geschlossen, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibe, den Zeitpunkt der vollständigen Rechtsvereinheitlichung anders zu bestimmen. Halte man sich jedoch die Gründe der Nr. 2 der Entscheidungsformel vor Augen, könne mit diesem Hinweis keine Ermächtigung zur Verkürzung der Konsolidierungsfrist verbunden gewesen sein, weil das gegenüber der Begründung widersprüchlich gewesen wäre. Denn mit dieser Regelung hätten den Ostanwälten zwei Umstellungen im Zeitraum von 10 Jahren erspart werden und sie zugleich vor westdeutscher Konkurrenz geschützt werden sollen. Hintergrund sei auch gewesen, die Rechtsanwaltsdichte zu verbessern und zu konsolidieren. Die damit gesicherte Konsolidierungsphase bis Ende 2004 sei Bestandteil der Substanz der jeweiligen Praxisstrukturen. Die Freigabe der Postulationsfähigkeit bewirke einen existentiellen Gewinneinbruch, weil die landgerichtlichen Korrespondenzmandate im großen Umfang wegfielen. Die Mandate würden nun von den westdeutschen Hausanwälten, die regelmäßig am (West)Firmensitz von Unternehmen mit ostdeutschen Filialen ansässig seien, selbst wahrgenommen. Allenfalls bei Streitwerten unter 50.000 DM werde noch ein Ostanwalt beauftragt. Darauf hätten sich die Ostkanzleien nicht einrichten können.
Die Freigabe der Postulationsfähigkeit führe auch zur willkürlichen Ungleichbehandlung von Ostanwälten gegenüber Westanwälten und verletze damit Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Die Differenzierung sei willkürlich, soweit sie die Verhältnisse innerhalb der neuen Länder betreffe. Die Inanspruchnahme der Postulationsfähigkeit führe bei Westanwälten zu 100% Gebühren, bei Ostanwälten zu 90% Gebühren. Die Ostanwälte würden innerhalb der neuen Länder bei Korrespondenzmandaten in existenzgefährdender Weise dem Westwettbewerb ausgesetzt, ohne wenigstens für die ihnen verbleibenden Mandate gebührenrechtlich gleichbehandelt zu werden. Die Differenzierung sei auch willkürlich, soweit sie das Handeln von Ostanwälten außerhalb der neuen Länder betreffe. Für Handlungen vor den Gerichten der alten Bundesländer erhielten Ostanwälte lediglich 90 vom Hundert der Gebühren, während für identische Tätigkeiten die Westanwälte 100 vom Hundert erhielten.
Die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse im Osten und Westen wirkten sich auch auf die Bemessungsgrundlage der anwaltlichen Tätigkeiten, nämlich den Streitwert, aus. Durch den geringeren Gegenstandswert und den zusätzlichen Gebührenabschlag ergäben sich in der Gebührenrechnung eklatante Unterschiede. Die Argumentation des Gesetzgebers, wonach ein einheitliches gesamtdeutsches Zulassungsgebiet für alle Anwälte verantwortet werde könne, weil es eines Schutzes der Kanzleien aus den neuen Bundesländern vor der Konkurrenz aus den alten Bundesländern nicht mehr bedürfe, gehe von der Annahme gleichwertiger Verhältnisse aus. Wenn dies so sei, sei es widersprüchlich, für die Postulationsfähigkeit von gleichwertigen Verhältnissen auszugehen, sie aber für die Gebühren zu verneinen. Bei gleichgewichtigen Verhältnissen müssten folgerichtig auch gleichgewichtige Leistungen erbracht werden. Dem entspreche aber allein ein gleiches Entgelt. In der gleichwohl vorgenommenen Ungleichbehandlung liege deshalb ein Systemwiderspruch, d.h. ein Bruch im Handeln des parlamentarischen Gesetzgebers im Verhältnis zum Handeln des Verordnunggesetzgebers. Dies verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 GG (BVerfGE 98, 106 ≪119≫).
c) Die Beschwerdeführer haben darüber hinaus den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Gleichheitsgebot, zur Regelung der anwaltlichen Postulationsfähigkeit als Berufsausübungsregelung, zur Zulässigkeit von Berufsausübungsregelungen, zur Frage eines Konkurrenzschutzes durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG, zum Rechtsstaatsprinzip und Prinzip des Vertrauensschutzes in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG und zur Überprüfbarkeit eines die Handlungsfreiheit berührenden Aktes der öffentlichen Gewalt hat das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt entschieden (vgl. BVerfGE 24, 236 ≪251≫; 34, 252 ≪256≫; 47, 285 ≪321≫; 55, 72 ≪88≫; 55, 261 ≪269≫; 72, 175 ≪196≫; 77, 308 ≪332≫; 80, 137 ≪152≫; 93, 362 ≪369≫; 99, 202 ≪211≫; 99, 367 ≪389≫).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93 Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Art. 1 Nr. 1 und 3 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
a) Die Beschwerdeführer werden nicht in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung verletzt.
Die Neuregelung der Postulationsfähigkeit stellt eine Regelung der Berufsausübung dar, die grundsätzlich am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist. Da Art. 12 Abs. 1 GG auf möglichst unreglementierte berufliche Betätigung abzielt, stellt jede Regelung einen Eingriff in dieses Grundrecht dar, die bewirkt, dass eine berufliche Tätigkeit nicht in der gewünschten Weise ausgeübt werden kann (BVerfGE 75, 284 ≪292≫; 82, 209 ≪223≫; stRspr).
Durch die angegriffene Neuregelung werden jedoch unmittelbar für die Beschwerdeführer berufliche Betätigungsmöglichkeiten nicht geschmälert. Im Gegenteil wird eine sie betreffende Belastung aufgehoben, die sie vordem hinderte, vor den Landgerichten und in bestimmten Familiensachen vor den Familiengerichten der alten Bundesländer als Rechtsanwälte aufzutreten. Die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Beschwer ist das Ergebnis wirtschaftlicher Saldierung der Vor- und Nachteile, wobei die Nachteile im weitgehenden Fortfall der Korrespondenzmandate gesehen werden. Die bundeseinheitliche Regelung der Postulationsfähigkeit ändert die Rahmenbedingungen, in denen sich ihr bisheriger anwaltlicher Wettbewerb abgespielt hat. Insoweit ist jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG nicht betroffen, da das Grundrecht weder einen Anspruch gibt, dem Beruf ungestört von Konkurrenten nachgehen zu können, noch einen Anspruch auf Erhaltung eines bestimmten Geschäftsumfangs und auf Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten gewährleistet (BVerfGE 24, 236 ≪251≫; 34, 252 ≪256≫; 55, 261 ≪269≫; stRspr).
b) Auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht berührt. Ungeachtet der Reichweite dieses Schutzes bei Gewerbebetrieben (vgl. BVerfGE 51, 193 ≪221 f.≫) oder bei Anwaltspraxen (vgl. BVerfGE 45, 272 ≪296≫) steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fest, dass die Gegebenheiten und Chancen, innerhalb derer der Unternehmer seine Tätigkeit entfaltet, von der Eigentumsgarantie nicht erfasst werden. Zu den Gegebenheiten einer Anwaltskanzlei gehört auch die Zahl möglicher Konkurrenten. So wenig wie ein niedergelassener Rechtsanwalt durch Art. 14 Abs. 1 GG davor geschützt wird, dass sich weitere Rechtsanwälte im selben Bezirk niederlassen, genauso wenig hat er einen verfassungskräftigen Anspruch auf die Beibehaltung einer Beschränkung der Postulationsfähigkeit, die ihm Mandate sichert. Auch Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht vor Wettbewerb (vgl. BVerfGE 11, 192 ≪202 f.≫; 34, 252 ≪257≫; 55, 261 ≪273≫). Die im Rahmen eines Konkurrenzschutzes durch Art. 14 GG diskutierte Konstellation einseitiger hoheitlicher Begünstigung von Mitkonkurrenten ist ersichtlich nicht gegeben. Auch der mittelbar ergänzend angegriffene Gebührenabschlag ist nicht geeignet, Anwälte in den alten Bundesländern für die Mandanten vorzugswürdig erscheinen zu lassen; sie sind bei gleichen Leistungen teuerer.
c) Die bundeseinheitliche Regelung der Postulationsfähigkeit verletzt die Beschwerdeführer auch nicht in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Gesetz steht formell und materiell in Einklang mit den Normen der Verfassung. Das Änderungsgesetz entspricht insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und begegnet auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Beseitigung von Rechtsunsicherheit und Rechtsvereinheitlichung nach der Wiedervereinigung stellen legitime Gemeinwohlzwecke dar. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 1995 (BVerfGE 93, 362) wird deutlich, dass der Aufschub der Rechtsvereinheitlichung im Rahmen des Wiedervereinigungsprozesses vor Art. 12 Abs. 1 GG nur Bestand hatte, weil er darauf abzielte, mittelbar über den Konkurrenzschutz der Rechtspflege dadurch zu dienen, dass sich die Situation für Rechtsuchende durch einen Zuwachs an qualifizierten Anwälten verbesserte. Wenn es der Gesetzgeber nun mit Blick auf die auch in den neuen Bundesländern erheblich erhöhte Anwaltsdichte (vgl. Braun, Neue Justiz 2000, S. 18) für vertretbar erachtet, den Konkurrenzschutz zu beseitigen, ist dies nicht zu beanstanden.
Das Änderungsgesetz ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung stehen Anpassungsdruck und möglicherweise vorübergehende Einkommensbußen der beschwerdeführenden Rechtsanwälte gegenüber. Im Verhältnis zur Schaffung von Rechtseinheit wiegen die Nachteile der Beschwerdeführer nicht schwer. Ihnen wird zugemutet, sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Auch ihnen werden neue Chancen, nämlich Mandate in den alten Bundesländern eröffnet; der noch bestehende Gebührenabschlag kann sich als Wettbewerbsvorteil auswirken.
d) Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 1995 (BVerfGE 93, 362) genannte Frist hat nicht selbständig rechtsstaatlich schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführer in die Einhaltung dieses Termins begründet. Die Entscheidung war nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand zu schaffen. Ausdrücklich hält der Senat im letzten Satz der Entscheidung fest, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibe, den Zeitpunkt der vollständigen Rechtsvereinheitlichung anders zu bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht hat es lediglich „längstens” bei der Zeitspanne belassen, die sich der Gesetzgeber zuvor selbst im Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl I S. 2278) für die Rechtsvereinheitlichung gesetzt hatte. Damit wurde jedoch nur zum Ausdruck gebracht, dass diese Einschätzung des Gesetzgebers aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden war. Auch im Tenor der Entscheidung wurde die Frist nicht als geboten bezeichnet.
e) Die Neuregelung verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten nicht unterschiedlich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass eine Gleichbehandlung nicht gerechtfertigt erscheint (vgl. BVerfGE 99, 367 ≪389≫; stRspr).
Allein die höheren Gebühren für Anwälte in den alten Bundesländern gebieten keine Unterschiede in der Postulationsfähigkeit. Ob die bisher zur Rechtfertigung des Gebührenabschlags herangezogene Begründung der schlechteren wirtschaftlichen Situation im Beitrittsgebiet (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Oktober 1997 – 1 BvR 1178/97 –, NJW 1998, S. 1700) heute noch Geltung hat, ist dabei nicht zu entscheiden. Der durch die Schaffung der beiden Postulationsbereiche bezweckte und offensichtlich auch erreichte Konkurrenzschutz war kein Selbstzweck. Das durfte er – gemessen an Art. 12 Abs. 1 GG – auch nicht sein (vgl. II. 2. a). Lediglich im Interesse einer Steigerung der Rechtsanwaltsdichte, also zur Verbesserung des anwaltlichen Dienstleistungsangebotes im Interesse der Rechtspflege, nicht aber vorrangig zur Einkommenssteigerung der Anwälte durfte der Gesetzgeber durch die Beibehaltung günstiger Bedingungen den weiteren Aufbau der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern fördern und sie von westdeutscher Konkurrenz freihalten. Nur auf die Erreichung dieses Gesetzeszwecks bezieht sich auch der Gesetzgeber in der Begründung für die Schaffung eines einheitlichen „Postulationsgebietes” (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 2. November 1999, BTDrucks 14/1958, S. 3). Generell ist die Postulationsfähigkeit kein Mittel, das Einkommen von Rechtsanwälten in bestimmten Teilen der Bundesrepublik zu steuern.
Die Gebührenregelung selbst ist nicht Gegenstand des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 17. Dezember 1999. Sie kann nach Ablauf der Jahresfrist nicht mehr unmittelbar angegriffen werden, auch wenn sich infolge veränderter Rahmenbedingungen ihre Auswirkungen ändern.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565169 |
NJW 2000, 1939 |
NWB 2000, 1954 |
FamRZ 2000, 731 |
VIZ 2000, 397 |
VIZ 2000, 617 |
ZAP 2000, 951 |
DVP 2000, 358 |
NJ 2000, 242 |
NJ 2000, 310 |
AGS 2000, 216 |
AUR 2000, 187 |
MittRKKöln 2000, 158 |
BRAK-Mitt. 2000, 141 |