Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 27.09.2002; Aktenzeichen 1 Ss 327/01) |
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 04.07.2001; Aktenzeichen 5/33 Ns 65 Js 2055.0/95 (D 1/00)) |
AG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.02.2000; Aktenzeichen 65 Js 2055.0/95 - 913 A Ls) |
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 27.01.1999; Aktenzeichen 1 Ss 310/97) |
Tenor
Die Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. September 2002 – 1 Ss 327/01 – und vom 27. Januar 1999 – 1 Ss 310/97 –, des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2001 – 5/33 Ns 65 Js 2055.0/95 (D 1/00) – sowie des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 16. Februar 2000 – 65 Js 2055.0/95 – 913 A Ls – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft strafrechtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Verstößen gegen § 5 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz, im Folgenden: HeilprG).
- Gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG vom 17. Februar 1939 (RGBl I S. 251; BGBl III 2122-2), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Oktober 2001 (BGBl I S. 2702), bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde ohne Bestallung als Arzt ausüben will. Nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Die Erlaubnis wird nach § 2 Abs. 1 Buchstabe i der Ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 18. Februar 1939 (RGBl I S. 259; BGBl III 2122-2-1), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Dezember 2002 (BGBl I S. 4456), nicht erteilt, wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. In der landesrechtlich geregelten Überprüfung werden unter anderem hinreichende Grundkenntnisse in Anatomie, Physiologie, Pathologie sowie in Diagnostik und Therapie erwartet (vgl. Dünisch-Bachmann, Das Recht des Heilpraktikerberufs und der nichtärztlichen Heilkundeausübung, § 2 der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz, Anm. 10.1.1; vgl. auch Ziffer 3. der Leitlinien für die Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern gemäß § 2 Abs. 1 Buchstabe i der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz, abgedruckt bei Dünisch-Bachmann, a.a.O., Anm. 10.1.2; vgl. Ziffern 6.1 und 6.2 der Hessischen Richtlinien zur Durchführung des Heilpraktikergesetz vom 14. Februar 1997, StAnz. 10/1997 S. 813). Gemäß § 5 Abs. 1 HeilprG wird derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, der ohne Erlaubnis die Heilkunde ausübt.
Am 26. November 1996 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen den Beschwerdeführer, welcher sich als “Wunderheiler” betätigte, Anklage wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz. Gegenstand der Anklage waren vor allem Behandlungen Schwerkranker durch “Handauflegen”.
Das Amtsgericht Frankfurt am Main sprach den Angeklagten mit Urteil vom 27. Juni 1997 frei. Zwar sei der Beschwerdeführer nicht im Besitz einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz; diese sei jedoch auch nicht erforderlich gewesen. Die Tätigkeiten des Beschwerdeführers verursachten weder gesundheitliche Schäden noch könnten die Auswirkungen gefährlich sein. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hob dieses Urteil auf die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hin mit Urteil vom 27. Januar 1999 auf. Anders als die vom Amtsgericht Frankfurt am Main alleine in Bezug genommene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung habe die Strafgerichtsbarkeit eine eigene Dimension des Heilkundebegriffs entwickelt, “um der Scharlatanerie und der schwindelhaften Kurpfuscherei zu begegnen”. Als Ausübung der Heilkunde gelte bereits ein Tun, das in den Behandelten den Eindruck erwecke, es ziele darauf ab, sie von Krankheit, Leiden und Körperschäden zu heilen oder ihnen Erleichterung zu verschaffen (“Eindruckstheorie”).
- Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte daraufhin den Beschwerdeführer am 16. Februar 2000 wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz in 28 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen zu je 100 DM. Zwar habe der Beschwerdeführer die Patienten nach deren erfolgloser ärztlicher Behandlung jeweils darauf hingewiesen, dass er eine Heilung oder Linderung nicht versprechen könne; er habe sich gegenüber seinen Patienten aber immer dahingehend geäußert, dass er versuchen wolle, zu helfen. Zudem hätten von dem Handeln des Beschwerdeführers zumindest mittelbare Gefahren ausgehen können; durch das Aufsuchen des Beschwerdeführers habe für die Patienten die generelle Gefahr bestanden, medizinisch gebotene Hilfe verspätet oder gar nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Die dagegen gerichteten Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 4. Juli 2001 im Wesentlichen. Jedenfalls aus Sicht der behandelten Personen habe kein Zweifel daran bestanden, dass eine Heilung oder Linderung der Leiden Ziel des Handauflegens gewesen sei. Zudem sei auch von einer generellen Gefahr mittelbarer gesundheitlicher Schädigungen auszugehen, denen durch das Auslegen des Informationsblattes – aus dem sich unter anderem ergibt, dass eine ärztliche Behandlung nicht ersetzt werden könne – nicht hätte begegnet werden können. Die maßgeblich auf den Eindruck der Patienten abstellende Auslegung verstoße auch nicht gegen die Verfassung – insbesondere nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG –, da nicht auf das subjektive Empfinden jedes einzelnen Patienten abgestellt werde, sondern darauf, wie ein objektiver Dritter bei vernünftiger Sicht der Dinge das Handeln des Beschwerdeführers von “seinem Eindruck” her zu werten gehabt habe. Im Übrigen sei auch der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Rechnung getragen worden. Die dagegen eingelegten Revisionen wurden mit Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. September 2002 als unbegründet verworfen. Das Landgericht sei gemäß § 358 StPO an die Auslegung des Begriffs der Heilkunde im Sinne der “Eindruckstheorie” gebunden gewesen; da ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich sei, entfalle auch die Bindungswirkung nicht.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 2 GG, seines Rechts auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie des Prinzips der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (aus Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG).
a) Die Auslegung des Begriffs der “Ausübung der Heilkunde” gemäß § 1 Abs. 2 HeilprG im Sinne der “Eindruckstheorie” des Bundesgerichtshofs erweitere die Anwendung der Strafvorschrift des § 5 HeilprG und verstoße damit gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordere eine verfassungskonforme Auslegung von § 1 Abs. 2 HeilprG, dass die Tätigkeit nach allgemeiner Auffassung ärztliche, d.h. heilkundliche Fachkenntnisse voraussetzt; dies sei bei einem Wunderheiler nicht der Fall. Zudem müsse die Behandlung gesundheitliche Schäden verursachen können; ein nur geringes Gefahrenmoment reiche nicht aus. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung hätte der Beschwerdeführer keine Heilkunde ausgeübt. Es sei nicht Aufgabe des Heilpraktikergesetzes, Kranke vor einer falschen oder nicht nachvollziehbaren Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts zu schützen. Durch Art. 103 Abs. 2 GG werde auch jede Rechtsanwendung ausgeschlossen, die über den Inhalt der gesetzlichen Norm hinausgehe. Der “Eindruck” liege außerhalb des Einwirkungsbereichs des “Täters”, weswegen das Ausüben von Heilkunde nicht von ihm abhänge. Unklar sei auch, zu welchem Zeitpunkt der Eindruck vorliegen müsse. Das der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu entnehmende Abstellen auf eine “vernünftige Sicht des Patienten” versage in den Fällen, in denen kein vernünftiger Grund für eine Heilbehandlung vorliege.
b) Der ausufernden Strafbarkeit könnten sich Wunderheiler nur dadurch entziehen, dass sie überhaupt nicht tätig würden. Damit wären diese aber, auch wenn mit ihrem Tun nicht das geringste Risiko verbunden wäre, an der Ausübung ihrer Tätigkeit – im Widerspruch zum Recht auf freie Berufsausübung – gehindert.
c) Die strafgerichtliche Abweichung von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung verletze das Prinzip der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Die Normadressaten dürften nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machten.
2. Dem Land Hessen und dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Land Hessen hat hiervon keinen Gebrauch gemacht. Der Vorsitzende des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat auf zwei veröffentlichte Entscheidungen, die ihrerseits auf eine Entscheidung des 5. Strafsenats zurückgingen (BGHSt 8, 237), Bezug genommen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 12 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 93, 213 ≪235≫; 97, 12 ≪26≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 – 1 BvR 784/03 – ≪http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040302_1bvr078403.html≫). Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet.
1. Die angegriffenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
a) Zwar ist das Ziel des Heilpraktikergesetzes, die Gesundheit der Bevölkerung durch einen Erlaubniszwang für Heilbehandler ohne Bestallung zu schützen, grundsätzlich mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. BVerfGE 78, 179 ≪192≫). Bei der Gesundheit der Bevölkerung handelt es sich um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, zu dessen Schutz eine solche subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht. Dass heilkundliche Tätigkeit grundsätzlich nicht erlaubnisfrei sein soll, hat im Hinblick auf das Schutzgut Gesundheit seinen Sinn. Es geht um eine präventive Kontrolle, die nicht nur die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern auch die Eignung für den Heilkundeberuf im Allgemeinen erfasst (vgl. BVerfGE 78, 179 ≪194≫).
b) Die angegriffenen Entscheidungen haben jedoch Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG verkannt, indem sie die Tätigkeit des Beschwerdeführers als “Ausübung der Heilkunde” im Sinne des Heilpraktikergesetzes angesehen haben. Die hieraus abgeleitete Erlaubnispflicht und die aus diesem Umstand resultierende strafrechtliche Sanktionierung führen zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufswahlfreiheit des Beschwerdeführers. Eingriffe in die Freiheit der Berufswahl sind nach ständiger Rechtsprechung nur unter engen Voraussetzungen zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 93, 213 ≪235≫ m.w.N.).
aa) Die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz ist im Falle des Beschwerdeführers schon nicht geeignet, den mit ihr erstrebten Zweck des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung zu erreichen.
Die Heilertätigkeit des Beschwerdeführers beschränkt sich nach den fachgerichtlichen Feststellungen im Wesentlichen auf das Handauflegen. Ärztliche Fachkenntnisse sind hierfür nicht erforderlich, zumal der Beschwerdeführer unabhängig von etwaigen Diagnosen einheitlich durch Handauflegen handelt.
Eine mittelbare Gesundheitsgefährdung durch die Vernachlässigung einer notwendigen ärztlichen Behandlung ist mit letzter Sicherheit nie auszuschließen, wenn Kranke nicht bei Ärzten, sondern bei anderen Menschen Hilfe suchen. Dieser Gefahr kann aber gerade im vorliegenden Fall durch das Erfordernis einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz nicht adäquat vorgebeugt werden. Arzt und Heilpraktiker stehen einander im Behandlungsansatz viel näher als die Heiler. Wer einen Heilpraktiker aufsucht, wird den Arzt eher für entbehrlich halten, weil ein Teil der ärztlichen Funktion vom Heilpraktiker übernommen werden darf. Deshalb wird bei den Heilpraktikern das Vorliegen gewisser medizinischer Kenntnisse geprüft und für die Erteilung der Erlaubnis vorausgesetzt. Die Heilpraktikererlaubnis bestärkt den Patienten in gewisser Hinsicht in der Erwartung, sich in die Hände eines nach heilkundlichen Maßstäben Geprüften zu begeben (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 – 1 BvR 784/03 –, a.a.O.).
Nach den fachgerichtlichen Feststellungen vermeidet der Beschwerdeführer diesen Eindruck. Ungeachtet dessen, dass von dem Handauflegen vornehmlich Personen betroffen waren, deren vorangegangene ärztliche Behandlung erfolglos geblieben war, hielt der Beschwerdeführer die Kranken in allen Fällen dazu an, weiter mit der Schulmedizin zusammenzuarbeiten und den Kontakt zu den behandelnden Ärzten nicht abzubrechen.
Ein so genannter Wunderheiler, der spirituell wirkt und den religiösen Riten näher steht als der Medizin, weckt im Allgemeinen die Erwartung auf heilkundlichen Beistand schon gar nicht. Die Gefahr, notwendige ärztliche Hilfe zu versäumen, wird daher eher vergrößert, wenn geistiges Heilen als Teil der Berufsausübung von Heilpraktikern verstanden wird (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 – 1 BvR 784/03 –, a.a.O.). Jedenfalls zielen die Heilpraktikererlaubnis und die ärztliche Approbation nicht auf rituelle Heilung. Wer Letztere – insbesondere bei einer vorangegangenen Erfolglosigkeit schulmedizinischer Behandlung – in Anspruch nimmt, geht einen dritten Weg. Er setzt sein Vertrauen nicht in die Heilkunde und wählt etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes, wenngleich auch von diesem Weg Genesung erhofft wird. Dies zu unterbinden ist nicht Sache des Heilpraktikergesetzes. Je weiter sich das Erscheinungsbild des Heilers von einer medizinischen Behandlung entfernt, desto geringer wird das Gefährdungspotential, das im vorliegenden Zusammenhang alleine geeignet ist, die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz auszulösen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 – 1 BvR 784/03 –, a.a.O.).
bb) Ferner fehlt es hier auch an der Erforderlichkeit der Erlaubnispflicht – und der damit zusammenhängenden Strafdrohung – zum Schutz der Gesundheit.
Da die mit der Tätigkeit verbundenen Gesundheitsgefahren ersichtlich nur im Versäumen ärztlicher Hilfe liegen können, muss lediglich sichergestellt werden, dass ein solches Unterlassen nicht vom Beschwerdeführer veranlasst oder gestärkt wird. Einer Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten auf den Gebieten, die den Heilpraktiker kennzeichnen, bedarf es hierzu aber nicht. Ausreichend sind vielmehr charakterliche Zuverlässigkeit und verantwortungsbewusstes Handeln. Es muss gewährleistet sein, dass der Beschwerdeführer die Kranken zu Beginn des Besuchs ausdrücklich darauf hinweist, dass er eine ärztliche Behandlung nicht ersetzt. Hierfür hat der Beschwerdeführer Sorge getragen; ob darüber hinausgehend das bloße Auslegen entsprechender Informationsblätter ausreichend gewesen wäre, kann daher dahinstehen (vgl. hierzu LG Verden, MedR 1998, S. 183 mit Anmerkung Taupitz). Kontrollen der Gewerbeaufsicht können die Einhaltung derartiger Aufklärungsverpflichtungen durchsetzen; eine gewerberechtliche Anzeigepflicht kann eine Kontrolle erleichtern. Einer Kenntnisprüfung auf der Grundlage des Heilpraktikergesetzes bedarf es für die Bekämpfung von Gesundheitsgefährdungen im vorliegenden Zusammenhang nicht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 – 1 BvR 784/03 –, a.a.O.).
c) Auch im Übrigen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht der hier notwendig strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Vorliegend ist der Eingriff in die Berufswahlfreiheit nur mit mittelbaren Gefahren für den zu schützenden Gemeinwohlbelang der Gesundheit der Bevölkerung begründet worden. Damit entfernen sich Verbot und Schutzgut so weit voneinander, dass bei der Abwägung besondere Sorgfalt geboten ist. Die Gefahren müssen hinlänglich wahrscheinlich und die gewählten Mittel eindeutig Erfolg versprechend sein (vgl. auch BVerfGE 85, 248 ≪261≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. August 2000 – 1 BvR 254/99 –, GewArch 2000, S. 418 ≪419≫). Insbesondere an letzterem fehlt es hier. Der Beschwerdeführer hätte auf der Grundlage der fachgerichtlichen Rechtsauffassung seine Verurteilung nur abwenden können, indem er die für die Erlaubniserteilung nach dem Heilpraktikergesetz erforderliche Heilpraktikerprüfung abgelegt hätte. Diese Forderung ist jedoch unangemessen, weil eine derartige Prüfung mit der Tätigkeit, die der Beschwerdeführer ausübt, kaum noch in einem erkennbaren Zusammenhang steht. Die in der Prüfung vorausgesetzten Kenntnisse kann der Beschwerdeführer bei seiner Berufstätigkeit nicht verwerten (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 – 1 BvR 784/03 –, a.a.O.).
2. Auf dieser Grundlage bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob die fachgerichtliche Auffassung, wonach die Tätigkeit eines Wunderheilers durch Handauflegen der Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz unterliege, den möglichen Wortsinn des Gesetzes als äußerste Grenze einer zulässigen richterlichen Interpretation (vgl. BVerfGE 92, 1 ≪12≫) überschritten hat.
3. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG war die Sache an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main als zuständiges Gericht zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Osterloh, Mellinghoff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1167343 |
ArztR 2005, 102 |
NPA 2005, 0 |