Leitsatz (amtlich)
a) Die sekundäre Hinweispflicht des Rechtsanwalts, der sich gegenüber dem Mandanten möglicherweise schadensersatzpflichtig gemacht hat, hat sich zumindest in allgemeiner Form auf die kurze Verjährung des § 51 BRAO a.F. (§ 51 b BRAO n.F.) zu erstrecken.
b) Der Umstand allein, daß der Mandant den Rechtsanwalt um Verzicht auf die Einrede der Verjährung bittet, läßt nicht den Schluß zu, der Mandant brauche über die kurze Verjährungsfrist des § 51 BRAO a.F. (§ 51 b BRAO n.F.) nicht belehrt zu werden.
Normenkette
BRAO § 51 a.F. (§ 51b F.: 2. September 1994)
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Juli 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger beauftragte den verklagten Rechtsanwalt mit der Durchführung der Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts München I, mit dem eine Schadensersatzklage des Klägers überwiegend abgewiesen worden war. Der Beklagte versäumte die am 24. Mai 1994 ablaufende Berufungsbegründungsfrist. Seinen Wiedereinsetzungsantrag lehnte das Oberlandesgericht München mit Beschluß vom 27. Juni 1994 ab; gleichzeitig verwarf es die Berufung. Der Beschluß wurde dem Kläger am 7. Juli 1994 zugestellt. Dessen sofortige Beschwerde wies der Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 8. November 1994 zurück. Bereits mit Schreiben vom 19. Juli 1994 hatte der Beklagte dem Kläger folgendes mitgeteilt:
„Pflichtgemäß mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie mich wegen eines etwaigen Schadens, der durch ein Verschulden der Kanzlei entstehen sollte, haftbar machen können.”
Mit der am 14. Juli 1997 eingereichten und am 23. Juli 1997 zugestellten Klage hat der Kläger den Beklagten auf Schadensersatz wegen der Verletzung anwaltlicher Pflichten in Anspruch genommen. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der primäre Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrags sei gemäß § 51 b BRAO (in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994) verjährt. Mit Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO, spätestens aber mit der am 7. Juli 1994 erfolgten Zustellung des die Wiedereinsetzung versagenden Beschlusses des Oberlandesgerichts, sei der geltend gemachte Schaden entstanden und habe der Lauf der Verjährungsfrist begonnen. Drei Jahre später, am 7. Juli 1997, sei Verjährung eingetreten. Die Klageerhebung sei zu spät gekommen. Ein Sekundäranspruch, der gegebenenfalls den Beklagten daran hindere, die Einrede der Verjährung zu erheben, stehe dem Kläger nicht zu. Denn der Beklagte habe in seinem Schreiben vom 19. Juli 1994 den Kläger darauf aufmerksam gemacht, daß er ihm möglicherweise wegen Anwaltsverschuldens haftbar sei. Damit sei der Kläger ausreichend über seine Rechte unterrichtet gewesen. Einer von ihm selbst – „zur Vermeidung der Verjährung” – eingereichten „Klage” vom 30. Dezember 1995 und der am 3. März 1997 telefonisch geäußerten Bitte, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, habe sich immerhin entnehmen lassen, daß dem Kläger die Verjährungsproblematik als solche bekannt gewesen sei. Ein Hinweis auf die Dauer der Verjährungsfrist sei nicht erforderlich gewesen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
1. Unbegründet sind allerdings die von der Revision erhobenen Bedenken gegen die Annahme, der Primäranspruch sei verjährt.
Im vorliegenden Fall ist der Schaden in jedem Falle vor der Beendigung des dem Beklagten erteilten Mandats eingetreten. Zwar ist nicht festgestellt, wann das Mandat geendet hat. Es hat aber jedenfalls bei der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde durch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 8. November 1994 noch bestanden, weil der Beklagte im Rubrum dieses Beschlusses als Bevollmächtigter des Klägers aufgeführt ist [Anl. K 3 zu GA 1/21]. Gemäß § 51 BRAO a.F. verjährte der Primäranspruch deshalb in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Schaden entstanden ist.
Nach Meinung der Revision ist der Schaden erst mit der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gegen die Verwerfung der Berufung eingetreten. Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden. Die früher geäußerte Meinung, daß durch ein fehlerhaftes Prozeßverhalten eines Rechtsanwalts, das zu einer für den Mandanten nachteiligen Gerichtsentscheidung führe, ein Schaden regelmäßig nicht eintrete, solange eine Änderung der Entscheidung in einem weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten nicht auszuschließen sei (BGH, Urt. v. 9. Juli 1992 – IX ZR 50/91, NJW 1992, 2828, 2829), hat der Senat aufgegeben. Er hat vielmehr angenommen, daß sich die Vermögenslage des Auftraggebers in der Regel bereits mit der ersten ihm nachteiligen Gerichtsentscheidung infolge des Fehlverhaltens seines Beraters verschlechtere. Eine Unsicherheit, ob der Schaden bestehenbleibe und endgültig werde, sei dafür unerheblich (so zur Steuerberaterhaftung: BGH, Urt. v. 12. Februar 1998 – IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 788; zur Anwaltshaftung: Urt. v. 9. Dezember 1999 – IX ZR 129/99, z.V.b.). Es spricht viel dafür, daß im vorliegenden Fall ein Schaden des Klägers bereits mit dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingetreten ist (dafür OLG Karlsruhe MDR 1990, 336, 337; Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung 1999 Rdnr. 1236; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung 3. Aufl. Kap. X Rdnr. 17, 19 u. 20; Feuerich/Braun, BRAO 4. Aufl. § 51 b Rdnr. 20; Henssler/Prütting, BRAO § 51 b Rdnr. 43; vgl. auch für die Versäumung der Frist zum Einspruch gegen ein Versäumnisurteil BGH, Urt. v. 21. September 1995 – IX ZR 228/94, NJW 1996, 48, 50). Das braucht hier aber nicht entschieden zu werden. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist der Kläger spätestens geschädigt worden, als die Berufung mit Beschluß vom 27. Juni 1994 verworfen wurde. Diese Schädigung entfiel nicht wegen der Möglichkeit, daß der sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags stattgegeben werden konnte (vgl. BGH, Urt. v. 9. Dezember 1999 – IX ZR 129/99, z.V.b. m.w.N.).
Die ab 7. Juli 1994 (Tag der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses) laufende Verjährungsfrist ist nicht durch die „Klage” vom 30. Dezember 1995 unterbrochen worden. Es handelte sich nicht um eine wirksame Klage, weil sie weder einen bestimmten Antrag enthielt, noch den Klagegrund erkennen ließ, noch – weil der Kläger auch keinen Vorschuß einzahlte – der Gegenseite zugestellt wurde.
2. Zu Recht rügt die Revision die Ablehnung eines Sekundäranspruchs als rechtsfehlerhaft.
a) Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß der Beklagte vor Beendigung des Mandats spätestens aufgrund der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs und der Verwerfung der Berufung begründeten Anlaß hatte zu prüfen, ob er durch eine Pflichtverletzung den Kläger geschädigt hat, und diesen entsprechend zu informieren.
b) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht indes in der Ansicht, mit der Bemerkung in dem Schreiben vom 19. Juli 1994 habe der Beklagte seiner sekundären Hinweispflicht genügt. Zur Erfüllung dieser Pflicht gehört nicht nur, daß der Rechtsanwalt offenlegt, er habe möglicherweise seine Pflichten verletzt und könne von dem Mandanten deswegen in Anspruch genommen werden. Der Anwalt schuldet auch einen Hinweis darauf, daß der Anspruch einer Verjährungsfrist von drei Jahren, gerechnet ab Schadensentstehung, unterliegt (BGHZ 94, 380, 386; BGH, Urt. v. 20. Mai 1975 – VI ZR 138/74, NJW 1975, 1655, 1656 f; v. 18. September 1986 – IX ZR 204/85, NJW 1987, 326; v. 14. November 1991 – IX ZR 31/91, NJW 1992, 836, 837; v. 21. September 1995 – IX ZR 228/94, aaO). Ob der Rechtsanwalt regelmäßig gehalten ist oder zumindest im Einzelfall gehalten sein kann, nähere Angaben zum Beginn oder Ende der Verjährung zu machen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 18. September 1986 – IX ZR 204/85, aaO S. 327; Zugehör, aaO Rdnr. 1253), braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Denn hier ist der Beklagte auf die Verjährungsfrist überhaupt nicht eingegangen.
Zwar entfällt die Pflicht zum Hinweis auf die kurze Verjährungsfrist, wenn der Anwalt davon ausgehen darf, daß der Mandant die entsprechende Kenntnis hat (BGH, Urt. v. 21. September 1995 – IX ZR 228/94, aaO; v. 15. April 1999 – IX ZR 328/97, WM 1999, 1330, 1335 f). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hatte der Beklagte aber keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, daß der Kläger über die Verjährung des Schadensersatzanspruchs Bescheid wisse. Aus der Einreichung der „Klageschrift” vom 30. Dezember 1995 – die zeitlich später liegt als das Schreiben vom 19. Juli 1994, die also für den vom Beklagten bei Abfassung dieses Schreibens zu berücksichtigenden Kenntnisstand des Klägers unmittelbar nicht von Bedeutung ist – ergibt sich mit hinlänglicher Sicherheit nur, daß der Kläger damit rechnete, sein Ersatzanspruch unterliege grundsätzlich einer Verjährung. Daß er die Kürze der Verjährungsfrist gekannt habe, folgt daraus nicht. Nach Ansicht des Berufungsgerichts läßt die versuchte Klageerhebung des Klägers erkennen, er habe „sogar mit einer kürzeren Verjährungsfrist, als in § 51 b BRAO bestimmt”, gerechnet; dieser Ansicht ist jedoch nicht zuzustimmen, weil allein das Datum des Klageversuchs keine sicheren Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Klägers erlaubt und dieser im folgenden auch untätig geblieben ist. Die Kenntnis des Klägers von der kurzen Verjährung folgte aus der Sicht des Beklagten ferner nicht aus der am 3. März 1997 – also wiederum erst nach dem Schreiben vom 19. Juli 1994 – telefonisch geäußerten Bitte, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Daß der Kläger nach Erhalt des abschlägigen Schreibens des Beklagten vom 4. März 1997 nicht sogleich die notwendigen rechtlichen Schritte einleitete, legte vielmehr das Gegenteil nahe. Der Bildungsstand des Klägers, eines Diplom-Chemikers, durfte – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – dem Beklagten ebenfalls nicht die Überzeugung vermitteln, jener sei über die Verjährungsregelung des § 51 BRAO a.F. im Bilde.
Für die Verletzung der sekundären Hinweispflicht genügt jedes Verschulden, also auch leichte Fahrlässigkeit (BGHZ 94, 380, 387). Von ihr ist auszugehen: Dem Beklagten mußte Bestehen und Umfang seiner Hinweispflicht bekannt sein. Bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte er zudem erkennen können, daß das Verhalten des Klägers keine sicheren Rückschlüsse auf seine Kenntnis von der kurzen Verjährungsfrist zuließ. Unter solchen Umständen entfällt der Sekundäranspruch des Mandanten nicht schon dann, wenn dieser nach seinen – hier nicht einmal festgestellten – Rechtskenntnissen den Zeitpunkt der Verjährung hätte erkennen können; das würde nicht einmal für die Annahme eines Mitverschuldens ausreichen (BGH, Urt. v. 15. April 1999 – IX ZR 328/97, aaO S. 1336 m.w.N.).
III.
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit nunmehr geprüft wird, ob der Klageanspruch begründet ist.
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.01.2000 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556415 |
BB 2000, 691 |
NJW 2000, 1267 |
EBE/BGH 2000, 87 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 969 |
ZAP 2000, 652 |
MDR 2000, 672 |
NJ 2000, 376 |
VersR 2001, 716 |
MittRKKöln 2000, 171 |
BRAK-Mitt. 2000, 127 |