Entscheidungsstichwort (Thema)
Staffelmiete für Gewerberaum. Anpassung an unvorhersehbar gesunkenem Mietpreisniveau. Wegfall der Geschäftsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Anpassung einer Staffelmiete für Gewerberaum bei unvorhergesehenem Absinken des Mietpreisniveaus nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
Normenkette
BGB § 535
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 17.11.1999) |
LG Berlin (Urteil vom 22.01.1999) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Beklagten wird das Urteil der 32. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 22. Januar 1999 im Kostenpunkt dahingehend abgeändert, daß dem Beklagten die Kosten der ersten Instanz mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Mehrkosten, die die Klägerin alleine trägt, auferlegt werden.
Im übrigen wird die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 26. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 17. November 1999 auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Mit Mietvertrag vom 23. April 1991 vermietete die Klägerin (zunächst mit einem weiteren Miteigentümer) dem Beklagten Gewerberäume in Berlin für die Zeit vom 1. Juni 1991 bis 31. Mai 2001 (mit Verlängerungsklausel) „zur Benutzung als Rechtsanwaltspraxis”. Der Mietvertrag sah eine Staffelmiete vor. Danach erhöhte sich der Mietzins von anfangs 6.400 DM jährlich zum 1. Juni um jeweils 5 Prozent. Er belief sich somit ab Juni 2000 auf 9.928 DM monatlich. Durch Vereinbarung mit dem Beklagten verzichtete die Klägerin auf die Staffelerhöhungen zum 1. Juni 1995 und 1. Juni 1996. Der Beklagte hat ab Juni 1997 den Mietzins nicht mehr in voller Höhe entrichtet. Er hat dies unter anderem damit begründet, der vereinbarte Staffelmietzins sei nach Treu und Glauben an den marktüblichen Mietzins, der zwischenzeitlich wider Erwarten drastisch gesunken sei, anzupassen. Die ortsübliche Nettokaltmiete habe im April 1998 nur noch 26,60 DM pro Quadratmeter betragen, bei Neuvermietungen sei der Mietzins sogar auf 22,30 DM pro Quadratmeter gefallen, während er nach dem Staffelmietvertrag ab Juni 1997 53,60 DM und ab Juni 1998 56,28 DM pro Quadratmeter zahlen müsse. Die Zahlung eines im Vergleich zur Marktüblichkeit derart überhöhten Mietzinses sei ihm nicht zuzumuten.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin die Mietdifferenz bis einschließlich Juni 1998 geltend, die sie mit 13.335,02 DM beziffert hat. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 12.814,02 DM stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Beklagten, mit der er sein Begehren auf vollständige Abweisung der Klage weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg, sie führt lediglich zu einer Abänderung der landgerichtlichen Kostenentscheidung.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte könne weder unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage noch aus anderweitigen Erwägungen gemäß § 242 BGB eine Herabsetzung des vertraglich vereinbarten Mietzinses verlangen.
Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Geschäftswille der Parteien nicht auf der Vorstellung aufgebaut gewesen, die Gewerberaummieten würden nach 1991 weiter ansteigen. Die Mietzinsstaffelung sei vielmehr der von der Vermieterseite verlangte Preis dafür gewesen, daß der Beklagte, wie unstreitig sei, die 10-jährige Laufdauer des Vertrages gewünscht habe. Keine der Parteien habe eine sichere Vorstellung von der Entwicklung der Mietpreise haben können. Ein Absinken der Mietpreise gegenüber dem bei Vertragsschluß 1991 bestehenden hohen Niveau sei auch aus damaliger Sicht ebenso denkbar gewesen, wie ein weiteres Ansteigen. Das Absinken der Mietpreise sei nicht durch einen grundlegenden Wandel der politischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse ausgelöst worden. Vielmehr sei es Folge einer wirtschaftlichen Entwicklung, die nicht den erhofften dauerhaften Aufschwung genommen habe, sondern nach der anfänglichen Aufwärtsentwicklung früher als erwartet zum Erliegen gekommen sei. Diese Umstände könnten die Wirksamkeit einmal geschlossener Verträge von Rechts wegen nicht berühren.
Eine Anpassung beziehungsweise Herabsetzung des Mietzinses sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Äquivalenzstörung von Leistung und Gegenleistung möglich. Dem Beklagten könne nicht darin gefolgt werden, daß der Wert der gemieteten Gewerberäume nicht (mehr) annähernd der Höhe des jeweils zu zahlenden Mietpreises entspreche. Da das Mietobjekt unverändert dem Beklagten für den mietvertraglichen Zweck zur Verfügung stehe und dessen finanzielle Leistungsfähigkeit von der Mietpreisentwicklung unabhängig sei, könne auch bei einem deutlichen Absinken der Mietpreise in der Umgebung nicht von einer Störung des Äquivalenzverhältnisses zwischen den Parteien in der Weise gesprochen werden, daß dem Beklagten die Zahlung des vereinbarten Mietpreises nicht mehr zuzumuten wäre. Die hierin liegende Beschwer des Beklagten rühre lediglich aus dem für ihn ungünstigen Vergleich mit anderen Mietobjekten und aus dem Umstand her, daß er während der Vertragsdauer gehindert sei, die inzwischen eingetretenen günstigen Anmietungsmöglichkeiten für sich zu nutzen.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision – jedenfalls im Ergebnis – stand.
2. Die Höhe des nach den mietvertraglichen Vereinbarungen der Parteien im hier streitigen Zeitraum noch offenstehenden Mietzinses (12.814,02 DM) ist von der Revision zu Recht nicht angegriffen.
3. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Beklagte nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) aufgrund des geltend gemachten Verfalls der allgemeinen Mietpreise für vergleichbare Gewerberäume ganz oder teilweise von seiner Pflicht, den vereinbarten Mietzins zu entrichten (§ 535 Satz 2 BGB a.F.), frei geworden.
a) Es kann dahinstehen, ob der bei Vertragsschluß vorhandene Geschäftswille beider Parteien auf der Vorstellung aufbaute, der marktübliche Mietzins vergleichbarer Objekte in Berlin werde weiterhin kontinuierlich ansteigen, wie die Revision geltend macht. Denn auch in diesem Fall wäre der Mietzins für den fraglichen Zeitraum nicht im Wege der Vertragsanpassung herabzusetzen.
Auch wesentliche Änderungen der Geschäftsgrundlage – hier etwa die bei Vertragsschluß vorhandene Vorstellung und Erwartung der Parteien, der marktübliche Mietzins werde weiter ansteigen – führen nicht zur Anpassung des Vertrages, wenn sich durch die Störung ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat (vgl. BGHZ 74, 370 [373]; Senatsurteil vom 16. Februar 2000 – XII ZR 279/97 – NJW 2000, 1714, 1716).
aa) Bei Vereinbarung einer Staffelmiete besteht regelmäßig die nicht fernliegende Möglichkeit, daß der vereinbarte Mietzins im Laufe der Zeit erheblich von der Entwicklung des marktüblichen Mietzinses abweicht. Dieses typische Vertragsrisiko trägt grundsätzlich die jeweils benachteiligte Vertragspartei (vgl. Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl., Rdn. 429). Der Mieter bleibt daher grundsätzlich auch bei einem gravierenden Absinken des allgemeinen Mietniveaus an die vertraglich vereinbarten Staffelerhöhungen gebunden, es sei denn die Parteien haben eine – hier nicht festgestellte und auch nicht ersichtliche – abweichende Regelung getroffen.
bb) Diese der Staffelmietvereinbarung immanente Risikoverteilung ändert sich nicht dadurch, daß nicht nur der Mieter, sondern auch der Vermieter erwartet, das allgemeine Mietniveau werde im gesamten Zeitraum der Staffelmietvereinbarung weiterhin steigen. Es ist grundsätzlich Sache der jeweiligen Partei des Mietvertrages abzuschätzen, ob sich die vereinbarte Staffelmiete im Vergleich zur Entwicklung des Marktes als ihr günstig erweisen wird oder nicht. Die Vereinbarung einer langfristigen Staffelmiete schafft beiden Parteien eine zuverlässige Kalkulationsgrundlage. Allein der Umstand, daß auch der Vermieter im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von weiter ansteigenden Mietpreisen ausgeht, verlagert das Risiko der Entwertung der Sachleistung während der Dauer der Staffelmietvereinbarung nicht vom Mieter auf den Vermieter.
b) Die Staffelmietvereinbarung ist auch nicht aus Gründen der Äquivalenzstörung abzuändern. Zwar gehört bei gegenseitigen Verträgen der Gedanke der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zur objektiven Geschäftsgrundlage. Wird dieses Gleichgewicht nach Vertragsschluß durch unvorhergesehene Veränderungen so schwer gestört, daß damit das von einer Partei normalerweise zu tragende Risiko in unzumutbarer Weise überschritten wird, ist der Vertrag an die veränderten Umstände anzupassen (Senatsurteil vom 17. Februar 1993 – XII ZR 232/91 – NJW-RR 1993, 773, 774; Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 242 Rdn. 135 bis 139 m.w.N.).
Eine solch schwerwiegende, die Unzumutbarkeitsgrenze überschreitende Äquivalenzstörung liegt hier jedoch nicht vor.
aa) Die Revision vertritt hierzu die Auffassung, bei einer Staffelmietvereinbarung mit einer Laufzeit von „lediglich” 10 Jahren seien für die Annahme eines Anpassungsgrundes wegen des Wegfalls oder der Änderung der Geschäftsgrundlage nicht so strenge Anforderungen zu stellen, wie sie die Rechtsprechung für über mehrere Jahrzehnte fest abgeschlossene Verträge aufgestellt habe. Staffelmietvereinbarungen von solcher Dauer seien vielmehr schon dann unter dem Gesichtspunkt der Äquivalenzstörung an die geänderten Verhältnisse anzupassen, wenn der vereinbarte Mietzins um mehr als einen bestimmten Prozentsatz unter das Niveau der (bei Vertragsschluß erwarteten) ortsüblichen Mieten absinke.
In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anpassung des Erbbauzinses bei drastischem Geldwertschwund (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Februar 1986 – V ZR 195/84 – NJW 1986, 2698, 2699) sei diese Grenze bei einem Mietzinsverfall um mehr als 60 % zu ziehen. Im Streitfall sei diese Grenze bei weitem überschritten, mithin sei eine entsprechende Vertragsanpassung vorzunehmen.
Damit hat die Revision keinen Erfolg.
bb) Im Gegensatz zur Meinung der Revision ist eine unzumutbare Überschreitung des übernommenen Risikos im dargelegten Sinne eher anzunehmen, wenn die Bindung an den Vertrag, wie zum Beispiel bei Erbbauverträgen, noch viele Jahre besteht. Im vorliegenden Fall war der Beklagte an die vereinbarte Staffelmiete nur noch vier Jahre gebunden, als er die hier streitige Herabsetzung begehrte. Welcher Maßstab bei der Entscheidung der Frage, ob Unzumutbarkeit vorliegt, anzulegen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die zur Unzumutbarkeit führenden Umstände müssen jedenfalls auf die in Frage stehende Äquivalenzstörung zurückzuführen sein. Bereits daran fehlt es hier.
Der Beklagte hat insoweit geltend gemacht, seine Einnahmen aus seiner Anwaltspraxis hätten sich nicht in gleichem Maße erhöht wie die Mietzinsstaffel. Durch die Belastung mit der sehr hohen Miete sei er gehindert, weiteren benötigten Gewerberaum anzumieten, um vorhandenes oder weiteres Personal angemessen unterbringen zu können, was für eine etwaige Erhöhung seiner Einnahmen unerläßlich sei.
Diese Entwicklung ist jedoch nicht durch das Absinken der marktüblichen Mietpreise verursacht worden. Hierzu wäre es vielmehr auch dann gekommen, wenn die Mietpreise allgemein entsprechend der vereinbarten Staffelmiete – wie vom Beklagten ursprünglich erwartet – gestiegen wären. Die Vertragsvorteile, insbesondere die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, sind dem Beklagten trotz des behaupteten Verfalls der Mietpreise unverändert erhalten geblieben (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. April 1960 – VIII ZR 160/59 – NJW 1960, 240, 242 f.).
cc) Allein die Tatsache, daß der Beklagte mittlerweile vergleichbare Geschäftsräume zu einem wesentlich günstigeren Mietzins anmieten könnte, rechtfertigt nicht die Annahme einer zur Vertragsanpassung führenden Äquivalenzstörung. Überhaupt genügt der Umstand, daß jemand durch eine nachträgliche Veränderung der Verhältnisse wirtschaftlich ungünstiger steht, als nach den getroffenen Vereinbarungen zu erwarten war, regelmäßig nicht, um ihm aus Billigkeitsgründen ein auch nur teilweises Abgehen vom Vertrag zu erlauben. Eine andere Beurteilung wäre eine Verletzung der gesetzlichen Grundentscheidung, daß Verträge, so wie sie geschlossen sind, gehalten werden müssen (BGH, Urteil vom 1. Oktober 1975 – VIII ZR 108/74 – NJW 1976, 142). Eine Anpassung eines langfristigen abgeschlossenen Mietvertrags wegen einer nachträglich eingetretenen Äquivalenzstörung kann nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen, zum Beispiel wenn das Festhalten am Vertrag für eine Partei existenzgefährdend wäre. Dies ist hier nicht der Fall.
Unterschriften
Gerber, Sprick, Weber-Monecke, Ahlt, Vézina
Fundstellen
Haufe-Index 767915 |
NJW 2002, 2384 |
NWB 2002, 2672 |
BGHR 2002, 817 |
NZM 2002, 659 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 2513 |
ZMR 2002, 654 |
ZfIR 2002, 980 |
MDR 2002, 1114 |
NJ 2003, 86 |
WuM 2002, 576 |
GuT 2002, 134 |
RdW 2003, 29 |
AIM 2002, 14 |
JURAtelegramm 2003, 4 |
KammerForum 2002, 388 |