Leitsatz (amtlich)
Kann die Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO zunächst nicht eingehalten werden, kann das Gericht erneut die Zustimmung beider Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren einholen und auf dieser Grundlage gem. § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO erkennen (Anschluss an BGH, Urt. v. 17.1.2012 - XI ZR 457/10, WM 2012, 312 Rz. 34).
Normenkette
ZPO § 128 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 6.10.2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Anschlussberufung der Beklagten die Klage i.H.v. 483,16 EUR abgewiesen und die Berufung des Klägers in Höhe weiterer 31.438,27 EUR zurückgewiesen worden ist. Das Urteil wird insgesamt wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil der 21. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 2.9.2014 unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31.921,43 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 95 % und die Beklagte 5 %. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger 62 % und die Beklagte 38 %. Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 49 % und die Beklagte zu 51 %.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Rechtsfolgen des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags.
Rz. 2
Die Parteien schlossen am 23.12.2005 einen Darlehensvertrag über ein Darlehen i.H.v. 580.000 EUR. Der Sollzins war für zehn Jahre festgeschrieben und betrug 3,6 % p.a. Der effektive Jahreszins belief sich auf 3,66 % p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten dienten Grundschulden. Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen i.H.v. insgesamt 577.500 EUR. Unter dem 25.4.2013, der Beklagten am selben Tag zugegangen, widerrief er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Anschließend erbrachte er bis zum 27.8.2014 weitere Leistungen an die Beklagte i.H.v. 52.500 EUR, aus denen die Beklagte Nutzungen i.H.v. 919,20 EUR zog.
Rz. 3
Der Kläger hat zunächst Klage mit dem Antrag erhoben festzustellen, dass "der Darlehensvertrag [...] durch Widerrufserklärung [...] beendet worden" sei. Nachdem ihn das LG im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, es hege Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags, ist der Kläger zur Leistungsklage übergegangen. Seiner Klage zuletzt auf Zahlung eines angeblichen Saldos zu seinen Gunsten aus dem Rückgewährschuldverhältnis i.H.v. 31.227,97 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.4.2013, auf Zahlung von 52.500 EUR und auf Zahlung weiterer 919,20 EUR hat das LG i.H.v. 483,16 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.3.2014 entsprochen. Die weitergehende Klage hat das LG abgewiesen. Gegen die Entscheidung des LG haben der Kläger Berufung und die Beklagte Anschlussberufung eingelegt.
Rz. 4
Der Vorsitzende des zuständigen Senats des Berufungsgerichts hat mit Verfügung vom 9.6.2015, ausgefertigt am 10.6.2015, die Parteien um Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten. Der Kläger hat am 15.6.2015 und die Beklagte am 19.6.2015 zugestimmt. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 23.6.2015 das schriftliche Verfahren angeordnet, Schriftsatzfrist bis zum 17.7.2015 gesetzt und Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 28.7.2015 bestimmt. Mit Verfügung vom 27.7.2015 hat der Vorsitzende den Termin zur Verkündung einer Entscheidung aus dienstlichen Gründen auf den 15.9.2015 verlegt. Zugleich hat er die Parteien gebeten, erneut ihre Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu erklären. Der Kläger hat am 4.8.2015 und die Beklagte hat am 8.8.2015 zugestimmt. Das Berufungsgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 10.8.2015, ausgefertigt auf den 11.8.2015, erneut das schriftliche Verfahren angeordnet, Schriftsatzfrist bis zum 28.8.2015 gesetzt und den Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 22.9.2015 verlegt. Den Verkündungstermin hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 21.9.2015 aus dienstlichen Gründen nochmals auf den 6.10.2015 verlegt.
Rz. 5
Mit der am 6.10.2015 verkündeten Entscheidung hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt hat, soweit das LG die Klage abgewiesen hat, zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage vollständig abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er zunächst auf der Basis von von der Beklagten mutmaßlich gezogenen Nutzungen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz begehrt hat, die Beklagte zur Zahlung von 31.006,52 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.5.2013 sowie zur Zahlung weiterer 52.500 EUR und 919,20 EUR zu verurteilen. Zuletzt hat der Kläger im Revisionsverfahren eine Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen nur noch mit dem Ziel verfolgt, die Beklagte zur Zahlung von 31.921,43 EUR zu verurteilen.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (ZIP 2015, 2211) - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - ausgeführt:
Rz. 8
Die Beklagte schulde dem Kläger Herausgabe mutmaßlich gezogener Nutzungen nur auf die vom Kläger erbrachten Zins-, nicht auch auf die Tilgungsleistungen, die nicht im Zuge des Rückgewährschuldverhältnisses zu erstatten seien. Bei Immobiliardarlehensverträgen sei widerleglich lediglich zu vermuten, dass die Beklagte auf empfangene Zinsleistungen Nutzungen i.H.v. zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, nicht aber von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gezogen habe. Diese rechtliche Bewertung zugrunde gelegt sei nach Aufrechnung der wechselseitigen Ansprüche nicht die Beklagte dem Kläger, sondern der Kläger der Beklagten zur Zahlung verpflichtet. Deshalb sei die Klage in Gänze abzuweisen.
II.
Rz. 9
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
Rz. 10
1. Keinen Erfolg hat allerdings die Verfahrensrüge der Revision, mit der sie geltend macht, das Berufungsgericht habe entgegen § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO mehr als drei Monate nach Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren ein Urteil gefällt. Wie der Senat bereits entschieden hat (BGH, Urt. v. 17.1.2012 - XI ZR 457/10, WM 2012, 312 Rz. 34), kann das Gericht dann, wenn die Frist des § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO zunächst nicht eingehalten werden kann, erneut die Zustimmung beider Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren einholen und auf dieser Grundlage gem. § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO erkennen. So ist das Berufungsgericht verfahren.
Rz. 11
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht indessen, wie die Revision zu Recht geltend macht, unterstellt, der Kläger habe nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung (künftig: a.F.) i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbs. 1 BGB keinen Anspruch auf Rückgewähr der von ihm auf den Darlehensvertrag erbrachten Tilgungsleistungen und daher auch keinen Anspruch aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbs. 2 BGB auf Herausgabe der mittels dieser Tilgungsleistungen mutmaßlich gezogenen Nutzungen. Zu dem Umfang der sich aus dem Rückgewährschuldverhältnis ergebenden Pflichten, die die Rückgewähr empfangener Tilgungsleistungen mit einschließen, hat der Senat mit Beschluss vom 12.1.2016 (XI ZR 366/15, WM 2016, 454 Rz. 12 ff., 18 ff.) umfänglich Stellung genommen und sich eingehend mit den für und wider diese Ansicht vorgetragenen Argumenten befasst. Gesichtspunkte, die dem Senat Anlass gäben, von seiner dort niedergelegten Auffassung abzugehen, zeigt die Revision nicht auf (vgl. auch BGH, Urt. v. 12.7.2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rz. 50; v. 25.4.2017 - XI ZR 573/15, WM 2017, 1004 Rz. 27).
Rz. 12
3. Aufgrund des vorgenannten Rechtsfehlers hat das Berufungsgericht dem Kläger eine Forderung gegen die Beklagte i.H.v. 31.921,43 EUR aberkannt, die dem Kläger tatsächlich zusteht.
Rz. 13
Der Kläger hat an die Beklagte vor Zugang des Widerrufs Zins- und Tilgungsleistungen i.H.v. 577.500 EUR erbracht. Der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen - gerechnet mit zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - auf diese Zins- und Tilgungsleistungen beläuft sich auf 67.306,81 EUR. Der Kläger hat nach Zugang des Widerrufs weitere 52.500 EUR geleistet, die von der Beklagten zu erstatten sind (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB). Die Beklagte hat daraus nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien in der Revisionsinstanz Nutzungen i.H.v. 919,20 EUR gezogen. Daraus ergibt sich ein Gesamtanspruch des Klägers i.H.v. 698.226,01 EUR. Abzüglich der vom Kläger gem. § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. §§ 346 ff. BGB geschuldeten Leistung von 580.000 EUR (Darlehensvaluta) und 86.304,58 EUR (Nutzungsersatz in Höhe des Vertragszinses) beläuft sich die restliche Forderung des Klägers nach Aufrechnung noch auf 31.921,43 EUR.
III.
Rz. 14
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit es über die vom Kläger nicht weiter verfolgte Zinsforderung hinaus auf die Anschlussberufung der Beklagten die Klage i.H.v. 483,16 EUR abgewiesen und die Berufung des Klägers in Höhe weiterer 31.438,27 EUR zurückgewiesen hat (§ 562 ZPO). In diesem Umfang ist die Beklagte zur Zahlung verpflichtet (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 11119983 |
FamRZ 2017, 1698 |
FA 2017, 307 |
WM 2017, 1705 |
JZ 2017, 704 |
MDR 2017, 1140 |
MDR 2017, 1346 |