Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderzuschlag bzw Waisenrente über 27. Lebensjahr. Verzögerung der Berufsausbildung. Zweitstudium. Parkstudium

 

Orientierungssatz

Eine Verzögerung iS des § 33b Abs 4 S 7 BVG respektive § 45 Abs 3 S 5 BVG liegt nicht darin, daß ein Kind infolge des Numerus clausus sein Wunschstudium der Medizin erst nach Zwischenschaltung eines sogenannten Parkstudiums verspätet aufnehmen konnte. Durch eine andere Ausbildung, die ihrerseits laufend einen Anspruch auf Waisenrente - bis ggf zur Vollendung des 27. Lebensjahres - zu begründen vermag, kann eine "Verzögerung" iS einer verspäteten Aufnahme des Hochschulstudiums nicht bewirkt werden (Bestätigung von BSG vom 25.1.1984 9a RV 18/83 = BSGE 56, 125 = SozR 3100 § 45 Nr 9).

 

Normenkette

BVG § 33b Abs 4 S 7, § 45 Abs 3 S 5

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 07.02.1983; Aktenzeichen L 11 V 1768/82)

SG Konstanz (Entscheidung vom 13.08.1982; Aktenzeichen S 2 V 92/82)

 

Tatbestand

Der schwerbeschädigte Kläger, der ua auch Pflegezulage bezieht, begehrt für seinen Sohn H. Kinderzuschlag über den nach Vollendung des 27. Lebensjahres um 15 Monate verlängerten Zeitraum hinaus.

H. ist am 6. Juni 1953 geboren. Er bestand die Reifeprüfung im Juli 1973 mit dem Notendurchschnitt 3,1. Seine Bewerbung um Zulassung zum Medizinstudium im Anschluß an den abgeleisteten 15-monatigen Grundwehrdienst blieb erfolglos. Er nahm ab Wintersemester 1973/74 das Studium der Anglistik und Geschichte auf, das er Ende des Wintersemesters 1977/78 abbrach. Von Mai bis September 1978 leistete H. ein Krankenpflegepraktikum gegen Entgelt ab. Vom Wintersemester 1978/79 an studiert er Medizin.

Die Versorgungsverwaltung gewährte mit Ausnahme der Zeit des Grundwehrdienstes und des Krankenpflegepraktikums Kinderzuschlag. Es verlängerte die Bezugsdauer über das 27. Lebensjahr hinaus um die Zeit des Grundwehrdienstes von 15 Monaten bis zum 30. September 1981. Für die Zeit danach stellte es mit Bescheid vom 30. Juni 1981 die Zahlung ein. Den Widerspruch des Klägers sah die Versorgungsverwaltung als unbegründet an (Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1981).

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verpflichtet, dem Kläger über den Entziehungszeitpunkt hinaus Kinderzuschlag für seinen Sohn H. bis zum Abschluß des begonnenen Medizinstudiums, längstens jedoch für weitere 60 Monate zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es hat ua ausgeführt: Das von Anfang an angestrebte Studium der Medizin habe sich aus Gründen verzögert, die weder vom Kläger noch dessen Sohn H. zu vertreten seien. Die erfolgreiche Ablegung des Abiturs gestehe die unbeschränkte Hochschulreife zu. H. habe das angestrebte Medizinstudium nur wegen Überfüllung der medizinischen Fakultäten und der deswegen eingeführten Zulassungsbeschränkung (numerus clausus) zunächst nicht aufnehmen können. Diese Umstände könnten weder dem Kläger noch H. angelastet werden. Die Verzögerung umfasse den Zeitraum, um den der Beginn des Medizinstudiums durch die Auswirkungen des numerus clausus hinausgeschoben worden sei (= 60 Monate).

Der Beklagte rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 33b Abs 4 letzter Satz Bundesversorgungsgesetz (BVG). Dem Kläger stünde - meint der Beklagte - über den bisher zugebilligten Verlängerungszeitraum hinaus Kinderzuschlag nicht zu. Die weitere Verzögerung hätten der Kläger bzw H. selbst zu vertreten. Die verspätete Zulassung zum Medizinstudium sei nicht auf schädigungsbedingte wirtschaftliche Schwierigkeiten des Klägers zurückzuführen. H. habe wegen der in der Reifeprüfung erzielten Durchschnittsnote von 3,1 das Studium der Medizin nicht früher aufnehmen können.

Der Beklagte beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ein Zuschlag in Höhe des für das erste Kind vorgesehenen Kindergeldes nicht zu.

Ein solcher Zuschlag wird Pflegezulageempfängern - wie hier dem Kläger - auch dann gewährt, wenn ihm wegen des Anspruchs auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz -BKGG(zuletzt idF vom 21. Januar 1982 - BGBl I 13 -) ein Kinderzuschlag nach § 33b Abs 1 Satz 2 BVG nicht zusteht (§ 33b Abs 6 Satz 2 BVG). Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings, daß nach der für den Kinderzuschlag maßgebenden Grundnorm des § 33b BVG ein Anspruch auf Kinderzuschlag überhaupt besteht.

Dies ist bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig davon der Fall, daß das Kind sich noch in Schul- oder Berufsausbildung befindet (§ 33b Abs 4 Satz 1 BVG). Für den folgenden Zeitabschnitt bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres kommt Kinderzuschlag nur noch in Betracht, wenn das Kind sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder in der Person des Kindes die im Gesetz näher bezeichneten Hinderungsgründe bestehen, um sich selbst zu unterhalten und demzufolge davon ausgegangen werden kann, daß das Kind weiterhin von dem Schwerbeschädigten unterhalten wird (§ 33b Abs 4 Satz 2 Buchst a bis c BVG). Verzögert sich die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht, ist der Kinderzuschlag für eine der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 27. Lebensjahr hinaus zu gewähren (§ 33b Abs 4 Satz 5 BVG). Dementsprechend hat die Versorgungsverwaltung die Bezugsdauer des Zuschlags um die Zeit des abgeleisteten Wehrdienstes von 15 Monaten verlängert. Auch wird nach § 33b Abs 4 letzter Satz BVG Kinderzuschlag entsprechend dem Zeitraum der nachgewiesenen Verzögerung länger gezahlt, wenn die Schul- oder Berufsausbildung sich aus einem Grunde verzögert hat, den weder der Beschädigte noch das Kind zu vertreten haben. Letzteres ist zu verneinen.

Entgegen der Meinung der Vorinstanzen liegt eine Verzögerung nicht darin, daß H. infolge der Zulassungsbeschränkung sein Wunschstudium der Medizin erst nach Zwischenschaltung eines sogenannten Parkstudiums verspätet aufnehmen konnte. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 56, 125 = SozR 3100 § 45 Nr 9) zu § 45 Abs 3 Satz 5 BVG (idF seit dem 4. Anpassungsgesetz-KOV vom 24. Juli 1972 - BGBl I 1284 -; diese Vorschrift entspricht dem hier einschlägigen § 33b Abs 4 letzter Satz BVG) kann eine "Verzögerung" im Sinne einer verspäteten Aufnahme des Hochschulstudiums nicht durch eine andere Ausbildung bewirkt werden, die ihrerseits laufend einen Anspruch auf Waisenrente - bis gegebenenfalls zur Vollendung des 27. Lebensjahres - zu begründen vermag. Zur Begründung hat er ua ausgeführt: Der Umstand, der die Ausbildung verzögere, dürfe nicht selbst anspruchsbegründend sein. Diese Gesetzesauslegung werde auch durch die in § 45 Abs 3 Satz 3 und 4 BVG enthaltenen Verzögerungstatbestände wie zB Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstpflicht, Leistung eines freiwilligen Wehrdienstes oder entsprechenden Vollzugsdienstes bei der Polizei mit einer Verpflichtung auf nicht mehr als 3 Jahre Tätigkeit als Entwicklungshelfer bis zur Dauer des Grundwehrdienstes (gleichlautend: § 33b Abs 4 Satz 5 BVG), bestätigt. Eine solche Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung bewirke eine Verlängerung der Waisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus, ohne selbst einen solchen Rentenanspruch auszulösen. Die Gleichwertigkeit aller Arten von Schul- und Berufsausbildung verbiete es, einzelne Abschnitte auszunehmen, um so eine Verzögerung bezüglich eines anderen annehmen zu können. Hiernach sei auch eine zweite Ausbildung zu beurteilen.

Dieser Rechtsprechung ist hier uneingeschränkt zu folgen. Sie ist zu einer Vorschrift ergangen, die im Wortlaut mit § 33b Abs 4 letzter Satz BVG - mit Ausnahme der Einbeziehung des Beschädigten zum Tatbestand des "Vertretens", was bei der Waisenrente begrifflich ausscheidet - übereinstimmt. Auch ist Sinn und Zweck beider Vorschriften identisch. Dem Beschädigten bzw dessen Kindern soll finanzielle Hilfe zuteil werden, weil nach der kausalen Verknüpfung, wie sie in den Gesetzesvorschriften unmißverständlich zum Ausdruck kommt, die schädigungsbedingten Auswirkungen wirtschaftlicher Art eines Ausgleichs bedürfen (vgl § 1 Abs 1 BVG).

Nach alledem schließt die ununterbrochene Ausbildung in verschiedenen gleichartigen Abschnitten bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres eine "Verzögerung" im Sinne des § 33b Abs 4 letzter Satz BVG aus. Dann kann es für den weiteren Anspruch über den gesetzlich festgelegten Zeitpunkt hinaus auf eine etwaige Verlängerung des Studiums nicht ankommen. Eine Ausbildung ist nicht deshalb "verzögert", weil sie nicht mit dem 27. Lebensjahr abgeschlossen wurde. Auch kann die Weitergewährung des Zuschlages entgegen dem LSG nicht damit begründet werden, die Versorgungsverwaltung habe trotz Kenntnisnahme von der Aufnahme des Zweitstudiums den Zuschlag bewilligt; sie müsse deshalb an dieser Entscheidung bis zum Abschluß dieses Studiums festhalten. Dem steht entgegen, daß infolge der - wie ausgeführt - Gleichwertigkeit verschiedener, aufeinanderfolgender Ausbildungsgänge die Versorgungsverwaltung innerhalb des vorgegebenen zeitlichen Rahmens zur Leistung verpflichtet ist. Sie ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht befugt, den Zuschlag zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656020

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