Rn 3

Erfasst sind Verfahrenshandlungen, die entweder die geforderte Form, die Voraussetzungen, die Zeit oder den Ort einer Prozesshandlung des Gerichts oder der Parteien missachten, zB §§ 253, 166 ff, 271, 274, 283, 311 ff, 355 ff. Unter § 295 fallen nicht Bestimmungen, die den Inhalt der Prozesshandlung betreffen, wie zB §§ 139, 286, 287, 308 (§ 308 Rn 11).

 

Rn 4

Eine Heilung ist nur bei verzichtbaren Rügen möglich (Abs 2). Das ist idR bei Vorschriften der Fall, die das Parteiinteresse schützen wollen. Insoweit besteht Parteiherrschaft (Wieczorek/Schütze/Assmann Rz 3, 10). Dagegen bleiben Mängel, über deren Heilung die Parteien nicht disponieren können, unabhängig von einer Rüge mittels Berufung und Revision angreifbar (§§ 520 II 2 Nr 2, 538 II Nr 1, 546, 547): Nicht heilbar sind insb Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein gerichtliches Verfahren konkretisieren (BVerwG 1.7.21 – 2 B 71/20 Rz 14), dem öffentlichen Interesse oder dem Schutz der anderen Partei dienen und daher idR vAw zu beachten sind (§ 282 Rn 15; BVerwG 18.7.19 – 2 B 7.19 Rz 11 f; Wieczorek/Schütze/Assmann Rz 22), zB die Zulässigkeit des Rechtsweges, die Partei- (§ 50 Rn 11), Prozess- (§§ 51 ff) und Postulationsfähigkeit (§ 78 Rn 2 – zu den Sachurteilsvoraussetzungen s § 50 Rn 11, § 56 Rn 2), der Eintritt der Rechtshängigkeit (§ 261 III), die ausschließliche Zuständigkeit (§ 40 II; BGH NJW 06, 1660, 1661 [BGH 31.01.2006 - VI ZR 135/04]), die Entscheidung durch den gesetzlichen Richter (Art 101 I 2 GG, § 16 GVG; BGH NJW 09, 1351, 1352 f [BGH 16.10.2008 - IX ZR 183/06]; 15.10.13 – II ZR 112/11 Rz 7; § 41 Rn 15), mithin die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts (BVerwG NJW 97, 674 [BVerwG 23.08.1996 - BVerwG 8 C 19.95]; BSG NJW 11, 107 [BSG 27.04.2010 - B 2 U 344/09 B]; 30.7.19 – B 1 KR 92/18 B Rz 9; vgl §§ 22, 75, 122, 132, 139, 192 GVG), ua die Zuständigkeitsverteilung zwischen Einzelrichter und Kammer (BGH NJW 01, 1357; 93, 600, 601 [BGH 19.10.1992 - II ZR 171/91]; einschr bei anwaltlicher Vertretung BVerwG NVwZ-RR 22, 75 [BVerwG 06.09.2021 - BVerwG 1 B 39.21] Rz 5), der Öffentlichkeitsgrundsatz (BAG NJW 22, 2949 [BAG 02.03.2022 - 2 AZN 629/21] Rz 10), soweit nicht ein schriftliches Verfahren angeordnet ist (BAG NJW 16, 3611 Rz 18f), oder umgekehrt das Gebot, nicht öffentlich zu verhandeln (BGH 23.3.21 – XIII ZB 29/19; Köln NJW-RR 86, 560 f; Wieczorek/Schütze/Assmann Rz 26; aA Zö/Greger Rz 5), Formmängel eines Prozessvergleichs (§ 160 Rn 11), die Protokollierungspflicht nach § 161 III Nr 4, wobei aber auf förmliche Protokollierung verzichtet werden kann, so dass zB die Wiedergabe in den Urteilsgründen (BGH 12.2.19 – VI ZR 141/18, NJW 19, 2538 Rz 18) oder ein Berichterstattervermerk genügt (BGH NJW 03, 3057, 3058; 87, 1200, 1201: die tatsächlichen Unterlagen der Entscheidung müssen für das Rechtsmittelgericht ersichtlich sein; BGH 26.5.04 – VIII ZR 310/03; zur Parteivernehmung s BGHZ 40, 84, 86 f, zur Zeugenaussage BGH NJW 87, 1200 f; s § 161 Rn 4; s.a. Dötsch MDR 14, 755, 756f), der Antragsgrundsatz (§ 308), der Verhandlungsgrundsatz (RGZ 156, 376), Klagausschlussfristen (BGH NJW 90, 3085, 3086 [BGH 07.06.1990 - III ZR 142/89]), die Vereidigung des Dolmetschers (§ 189 GVG; BGH NJW 87, 260 [BGH 07.10.1986 - VI ZR 262/85]), die Vorschriften über das Urt (§§ 300 ff; vgl St/J/Thole Rz 20), die Urteilszustellung (BGH NJW 76, 2263, 2264 [BGH 11.02.1976 - VIII ZR 220/75]) und -verkündung (BAG NJW 21, 1833 [BAG 23.03.2021 - 3 AZR 224/20] Rz 28) oder über die Begründung eines anfechtbaren Berufungsurteils (BGH 18.7.07 – XII ZR 87/05 Rz 22; BGH FamRZ 07, 1314), die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen (BGH NJW-RR 89, 441) oder Rechtsmitteln (BGH NJW 75, 1704; zur Unterschrift s BAG NJW 15, 3533 [BAG 25.02.2015 - 5 AZR 849/13] Rz 27) einschließlich der Form etwa des § 130d S 1 (BGH 24.11.22 – IX ZB 11/22 Rz 7; 20.9.22 – IX ZR 118/22 Rz 14; zu den technischen Standards BAG NJW 22, 3172 [BAG 01.08.2022 - 2 AZB 6/22] Rz 10 ff; 1832 Rz 23 ff), die Beachtung der Rechtsmittelzuständigkeit und der dadurch bedingten Besetzung des Rechtsmittelgerichts (BGH NJW-RR 92, 1152 [BGH 13.12.1991 - LwZR 2/91]); die wirksame Fristsetzung als Voraussetzung einer Präklusion nach § 296 (§ 296 Rn 11; BGH NJW 90, 2389, 2390 [BGH 05.03.1990 - II ZR 109/89]). Nicht heilbar ist auch fehlendes Feststellungsinteresse (§ 256; BAG 20.6.13 – 6 AZR 842/11 Rz 25) oder die Zulassung einer Streitverkündung, wenn der Schriftsatz den Klageanspruch und die Regressmöglichkeit nicht klar genug für den Streitverkündungsempfänger erkennen lässt (BGH NJW 08, 519, 522 [BGH 06.12.2007 - IX ZR 143/06]) oder der Dritte nicht erklärt, auf wessen Seite er beitritt (BAG 31.1.08 – 8 AZR 11/07 Rz 43). Zum Verstoß gegen § 273 IV 1 s Rn 11; zur Versäumnis der nicht disponiblen Klagefrist des § 246 AktG s Karlsr NZG 08, 714 [OLG Karlsruhe 26.03.2008 - 7 U 152/07]; zu § 929 II Köln NJW-RR 87, 575, 576 [OLG Köln 19.12.1986 - 6 U 141/86].

 

Rn 5

Heilbar sind die praxis...

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