Einzelunternehmer müssen laut VG Wiesbaden alle Tätigkeitsfelder zusammenrechnen
Der Fall aus Wiesbaden
Das VG Wiesbaden hat mit Urteil v. 25.9.2025, 7 K 2009/23.WI, entschieden, dass ein Einzelunternehmer, der sowohl eine chemische Reinigung als auch einen Schlüsseldienst betreibt, beide Tätigkeiten für die Überbrückungshilfe III zusammenrechnen muss. Die Klage des Unternehmers gegen die Ablehnung der Überbrückungshilfe und die Rückforderung bereits gezahlter 7.495 EUR wurde abgewiesen.
Ob die Entscheidung bereits rechtskräftig ist, lässt sich derzeit nicht feststellen. Gegen das Urteil kann Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt werden.
Der Kläger hatte im Juli 2021 Überbrückungshilfe III ausschließlich für seine chemische Reinigung beantragt. Den parallel betriebenen Schlüsseldienst hatte er nicht in den Antrag einbezogen. Beide Unternehmen werden an verschiedenen Adressen unter verschiedenen Namen betrieben und verfügen über separate Steuernummern.
Die Argumentation der Bewilligungsstelle
Die Bewilligungsstelle in Hessen hatte den Antrag abgelehnt und die bereits gezahlte Förderung zurückgefordert. Die Begründung: Bei beiden Geschäften handele es sich um ein einziges Unternehmen, da derselbe Rechtsträger vorliege. Diese Betrachtungsweise orientiere sich am Unternehmensbegriff des Umsatzsteuerrechts nach § 2 Abs. 1 UStG.
Nach dieser Vorschrift umfasst das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers, wenn nur ein Rechtsträger vorliegt. Die Frage nach einem Unternehmensverbund und der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Markt stelle sich daher nicht mehr.
Bei konsolidierter Betrachtung beider Betriebe lag in den Fördermonaten kein coronabedingter Umsatzeinbruch von mindestens 30 Prozent vor. Während die Reinigung unter den Corona-Maßnahmen litt, lief der Schlüsseldienst weitgehend normal weiter.
Die Entscheidung des Gerichts
Das VG Wiesbaden bestätigte die Rechtsauffassung der Bewilligungsstelle vollumfänglich. Das Gericht stellte zunächst klar, dass es sich bei der Überbrückungshilfe um eine Ermessensentscheidung der Behörde handele. Ein Rechtsanspruch bestehe nur ausnahmsweise über den Gleichbehandlungsgrundsatz aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis.
Entscheidend für die gerichtliche Prüfung sei, wie die Behörde die Förderrichtlinien im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt habe. Das Gericht ist grundsätzlich an den Zuwendungszweck gebunden, wie ihn der Zuwendungsgeber versteht.
Die Orientierung am umsatzsteuerrechtlichen Unternehmensbegriff sei nicht zu beanstanden. Diese lasse sich mit der Formulierung in Ziffer 2 Abs. 2 der Vollzugshinweise und Ziffer 1.1 der FAQ zur Überbrückungshilfe III in Einklang bringen. Dort wird als Unternehmen jede rechtlich selbstständige Einheit mit eigener Rechtspersönlichkeit definiert, unabhängig von ihrer Rechtsform.
Das Gericht führte aus, dass es naheliege, den Begriff des Unternehmens an den Rechtsträger anzuknüpfen, unabhängig von den Tätigkeitsfeldern. Betriebsstätten oder Zweigniederlassungen desselben Unternehmens gelten ausdrücklich nicht als rechtlich selbständige Einheit.
Praktische Konsequenzen für Steuerberater
Die Entscheidung des VG Wiesbaden hat erhebliche praktische Auswirkungen. Sie bestätigt die in den Schlussabrechnungen bundesweit praktizierte Linie vieler Bewilligungsstellen, insbesondere in Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Aber: Es handelt sich um eine erstinstanzliche Entscheidung! Noch ist die höchstrichterliche Rechtsprechung dazu nicht final.
Für die Praxis bedeutet dies nach Auffassung des Gerichts: Einzelunternehmer mit mehreren Geschäftsbetrieben müssen grundsätzlich alle Umsätze und Fixkosten konsolidiert betrachten. Es spielt keine Rolle, ob die Betriebe auf verschiedenen Märkten tätig sind, an unterschiedlichen Standorten betrieben werden oder über separate Steuernummern verfügen.
Diese Rechtsauffassung weicht von dem Verständnis ab, das viele Steuerberater im Jahr 2021 bei der Antragstellung hatten. Damals gingen zahlreiche prüfende Dritte davon aus, dass die Vorschriften zum Unternehmensverbund nach Ziffer 5.2 der FAQ auch für Einzelunternehmer mit mehreren Firmen gelten würden. Ein Unternehmensverbund wurde demnach nur angenommen, wenn die Unternehmen ganz oder teilweise auf demselben oder einem benachbarten Markt tätig sind.
Kritische Einordnung: Was gegen die Auffassung des VG Wiesbaden spricht
Die Entscheidung des VG Wiesbaden überzeugt uns persönlich nicht. Das Gericht übersieht, dass die FAQ in Ziffer 5.2 ausdrücklich zwischen verschiedenen Unternehmensformen differenzieren und für verbundene Unternehmen das Merkmal des gemeinsamen oder benachbarten Marktes normieren. Diese Differenzierung würde bei der vom Gericht vertretenen Auffassung bei natürlichen Personen vollständig leerlaufen. Zudem ist die Anknüpfung an das Umsatzsteuerrecht systematisch fragwürdig, da es sich um eine Frage des EU-Beihilferechts handelt und damit der EU-beihilferechtliche Unternehmensbegriff maßgeblich sein müsste.
Gravierender noch wiegt, dass die Bewilligungsstellen im Jahr 2021 bundesweit tausende Anträge bewilligt haben, die nur einzelne Geschäftsbereiche von Einzelunternehmern betrafen. Diese Bewilligungen erfolgten nach eingehender Prüfung durch die prüfenden Dritten und die Bewilligungsstellen selbst. Eine nachträgliche Änderung dieser Verwaltungspraxis im Rahmen der Schlussabrechnung verstößt aus unserer Sicht gegen elementare Grundsätze des Vertrauensschutzes. Das wird eine Frage sein, die weitere Instanzen zu klären haben.
Das Gericht hätte zudem prüfen müssen, ob die pauschale Zusammenrechnung aller Geschäftsbereiche unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Verflechtung mit dem Sinn und Zweck der Überbrückungshilfe vereinbar ist. Diese sollte Unternehmen helfen, die konkret von Corona betroffen waren. Wenn ein Schlüsseldienst weiterlief, während eine Reinigung massive Einbußen erlitt, kann die Zusammenrechnung beider Bereiche dazu führen, dass ein tatsächlich existenzgefährdeter Betrieb keine Hilfe erhält. Dies widerspricht dem Förderzweck fundamental.
Haftungsrisiken und Handlungsempfehlungen
Für Steuerberater, die in der Vergangenheit Anträge nur für einzelne Tätigkeitsbereiche ihrer Mandanten gestellt haben, ergeben sich nun gegebenenfalls auch Haftungsrisiken. In den Schlussabrechnungen drohen nun umfangreiche Rückforderungen.
Betroffene Unternehmer und ihre Steuerberater sollten die rechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten sorgfältig prüfen. Gegen Rückforderungsbescheide sind – je nach Bundesland - Widerspruch und/oder Klage möglich, die nach § 80 Abs. 1VwGO aufschiebende Wirkung haben. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung muss daher keine Rückzahlung erfolgen.
Die Erfolgsaussichten von Rechtsbehelfen sind allerdings nach dieser Entscheidung in Hessen durchaus kritisch zu bewerten. Das VG Wiesbaden stützt sich auf die ständige Verwaltungspraxis des Beklagten und sieht diese als maßgeblich an. Eine andere Auslegung des Unter-nehmensbegriffs durch Gerichte in anderen Bundesländern erscheint möglich, ist aber derzeit nicht absehbar.
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