Digitale Bescheide: Pflichten für prüfende Dritte bei Coronahilfen
Elektronische Bekanntgabe nach bayerischem Recht
Das VG München hat mit Urteil v. 12.8.2024, M 31 K 22.6494, eine wichtige Entscheidung zur elektronischen Bekanntgabe von Bescheiden getroffen. Der Fall betraf einen Änderungsbescheid zur Überbrückungshilfe III, der über das digitale Antragsportal bereitgestellt wurde. Die Klage wurde als unzulässig abgewiesen, da sie erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist erhoben wurde.
Die Besonderheit liegt in der Anwendung des bayerischen Landesrechts: Nach Art. 24 Abs. 1 und 2 BayDiG (Bayerisches Digitalgesetz) können Verwaltungsakte über Portale bekannt gegeben werden. Der Verwaltungsakt gilt dabei (nach dem anzuwenden Recht zum damaligen Zeitpunkt) am dritten Tag nach Absendung der digitalen Benachrichtigung über die Bereitstellung als bekannt gegeben – unabhängig vom tatsächlichen Abruf. Diese Drei-Tages-Fiktion greift auch dann, wenn der dritte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt.
Wichtiger Hinweis: Diese Regelung gilt spezifisch für Bayern. Andere Bundesländer haben eigene Digitalgesetze mit möglicherweise abweichenden Fristen und Verfahren. Die Entscheidung des VG München kann daher nicht ohne Weiteres auf Verfahren in anderen Bundeslän-dern übertragen werden.
Zentrale Verantwortung des prüfenden Dritten
Das Gericht stellte unmissverständlich klar: Die Weiterleitung des Bescheids vom prüfenden Dritten an den Antragsteller liegt allein im Verantwortungsbereich des prüfenden Dritten. Weder technische Probleme noch organisatorische Versäumnisse entlasten von dieser Pflicht.
Im entschiedenen Fall hatte der prüfende Dritte bei der Antragstellung ausdrücklich in die elektronische Bekanntgabe eingewilligt. Die Behörde versandte am 12.10.2022 eine E-Mail-Benachrichtigung über die Bereitstellung des Bescheids im Portal. Nach der Drei-Tages-Fiktion galt der Bescheid am 15.10.2022 als bekannt gegeben – obwohl weder der Geschäftsführer der antragstellenden GmbH noch der Steuerberater nach eigenen Angaben den Bescheid erhalten hatten.
Praktische Konsequenzen für die Berufsausübung
Steuerberater und andere prüfende Dritte müssen aus dieser Entscheidung mehrere Lehren ziehen:
- Systematische Portalüberwachung: Bei digitalen Antragsverfahren müssen die verwendeten Portale regelmäßig und systematisch auf neue Nachrichten überprüft werden – zumindest in Bayern gilt diese Pflicht nun nach dieser Rechtsprechung. Aber auch für andere Bundeslän-der ist diese Empfehlung nach unserer Wahrnehmung uneingeschränkt zu geben. Ein nur gelegentlicher oder unregelmäßiger Abruf genügt nicht den Sorgfaltspflichten. Das Gericht wertete es als Indiz gegen den behaupteten Nichtzugang, dass behördliche Rückfragen über das Portal teilweise verspätet oder gar nicht beantwortet wurden.
- Technische Infrastruktur: Prüfende Dritte trifft eine erhöhte Sorgfaltspflicht bezüglich ihrer elektronischen Kommunikationsinfrastruktur. Hard- und Software müssen verlässlich sende- und empfangsbereit sein. Technische Probleme gehen zu Lasten des prüfenden Dritten, nicht der Behörde.
- Dokumentation und Weiterleitung: Die unverzügliche Weiterleitung von Bescheiden an Mandanten sollte dokumentiert werden. Im Streitfall muss nachgewiesen werden können, wann und wie die Information weitergegeben wurde. Eine bloße Behauptung, man habe die Benachrichtigung nicht erhalten, reicht ohne konkrete Nachweise nicht aus.
- Fristenmanagement: Die Bekanntgabe-Fiktion läuft unerbittlich – auch an Wochenenden und Feiertagen. Bei der Fristenberechnung ist äußerste Vorsicht geboten. Im Zweifel sollten Rechtsmittel vorsorglich fristwahrend eingelegt werden.
Fazit
Die Entscheidung verdeutlicht die Risiken digitaler Verwaltungsverfahren für prüfende Dritte. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Entgegennahme und Weiterleitung von Bescheiden kann nicht delegiert werden. Steuerberater sollten ihre internen Prozesse überprüfen und sicherstellen, dass digitale Portale täglich kontrolliert und eingehende Bescheide unverzüglich an Mandanten weitergeleitet werden. Nur so lassen sich fristgebundene Rechtsverluste vermeiden.
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