Überbrückungshilfe III und Umsatzeinbruch

Im Rahmen der Schlussabrechnungen zur Überbrückungshilfe vertreten Bewilligungsstellen bundesweit zunehmend folgende Auffassung: Auch wenn ein Unternehmen im Förderzeitraum November 2020 bis Juni 2021 große Umsatzeinbußen hatte, scheide ein coronabedingter Umsatzeinbruch aus, wenn das Unternehmen insgesamt im Jahr 2021 den annähernd gleichen oder sogar einen höheren Umsatz als im Vergleichsjahr 2019 erzielte. Der Beitrag untersucht, ob diese Praxis rechtmäßig ist.

Aktuelle Verwaltungspraxis und ihre rechtliche Bewertung

In der Praxis mehren sich Fälle, in denen Bewilligungsstellen die gewährte Überbrückungshilfe III vollständig zurückfordern. Die Begründung: Bei einem höheren Gesamtumsatz im Jahr 2021 gegenüber 2019 könne kein coronabedingter Umsatzeinbruch vorliegen. Diese Verwaltungspraxis basiert auf einer unzulässigen Analogie zur sogenannten 100%-Regel.

Besonders betroffen sind hiervon derzeit Landwirte in Niedersachsen, die im ersten Halbjahr 2021 starke Umsatzeinbrüche hatten. Im zweiten Halbjahr 2021 erholten sich aber die Preise und es konnten vereinzelt gute Umsätze erzielt werden. Anlass genug für die Investitions- und Förderbank Niedersachsen – NBank, gewährte Überbrückungshilfen III zurückzufordern.

Die 100%-Regel nach den FAQ: Eindeutige zeitliche Begrenzung

Die FAQ zur Überbrückungshilfe III regeln unter Ziffer 1.2 die Vermutung fehlender Coronabedingtheit wie folgt:

„Liegt der Umsatz eines Unternehmens im Jahr 2020 bei mindestens 100 Prozent des Umsatzes des Jahres 2019, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass etwaige monatliche Umsatzschwankungen des Unternehmens nicht coronabedingt sind. Dies gilt nicht, wenn die oder der Antragstellende stichhaltig nachweisen kann, dass er trotz der positiven Umsatzentwicklung im Jahr 2020 im Förderzeitraum individuell von einem coronabedingten Umsatzeinbruch betroffen ist.“

Der Wortlaut ist eindeutig: Die Vermutungsregelung bezieht sich ausschließlich auf das Jahr 2020. Diese identische Formulierung findet sich unverändert in den FAQ zur Überbrückungshilfe III Plus (Ziffer 1.2) und zur Überbrückungshilfe IV (Ziffer 1.2).

Rechtliche Einordnung

Die große Frage ist: Bindet dies die Bewilligungsstellen?

Diese sind der Ansicht: Nein. Zum einen verweisen sie darauf, dass unabhängig von der Regel in Ziff. 1.2 der FAQ saisonale Schwankungen keinen coronabedingten Umsatzeinbruch begründen. Wer in 2021 noch einen hohen Umsatz erzielt, habe wohl eine saisonale Schwankung.

Zum anderen argumentieren sie gelegentlich mit dem Förderzweck und Billigkeitsregeln: Antragsteller dürfen durch die Überbrückungshilfen keine Überkompensation im Vergleich zum Vor-Pandemie-Zeitraum erhalten. Wer einen annähernd gleichen Umsatz erziele, stehe besser dar als 2019, wenn er dann noch Überbrückungshilfe erhalte.

Wir vertreten dagegen, dass die FAQ nie auf das Jahresergebnis des Jahres 2021 als Vorbehalt für die Gewährung der Überbrückungshilfe IIII abgestellt haben und leiten hieraus eine Selbstbindung der Verwaltung ab. Unsere Ansicht, die wir unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur in Widerspruchs- und Klageverfahren für den Einzelfall ausarbeiten: Die Bewilligungsstellen können nicht über den eindeutigen Wortlaut der FAQ hinaus zusätzliche Anforderungen aufstellen. Dies gilt umso mehr, als die unterschiedliche Behandlung der Jahre 2020 und 2021 der unterschiedlichen Pandemieentwicklung Rechnung trägt.

Systematik der Überbrückungshilfe: Monatsbezogene Betrachtung

Zudem sind wir der Ansicht, dass eine Gesamtbetrachtung für 2021 schon deswegen ausscheide, weil die Überbrückungshilfen von einem System der Monatsförderung ausgehen.

Die FAQ betonen durchgängig die monatsbezogene Förderlogik:

"Überbrückungshilfe III kann nur für diejenigen Monate im Zeitraum November 2020 bis Juni 2021 beantragt werden, in denen ein coronabedingter Umsatzrückgang von mindestens 30 Prozent im Vergleich zum Referenzmonat im Jahr 2019 erreicht wird."

Diese monatliche Betrachtungsweise ist aus unserer Sicht konzeptionell zwingend. Eine nachträgliche Gesamtjahresbetrachtung für 2021 widerspricht der Systematik der Förderung fundamental.

Individuelle Coronabedingtheit: Differenzierte Betrachtung erforderlich

Selbst bei Anwendung der 100%-Regel für 2020 sehen die FAQ vor, dass der Antragsteller "stichhaltig nachweisen kann, dass er trotz der positiven Umsatzentwicklung im Jahr 2020 im Förderzeitraum individuell von einem coronabedingten Umsatzeinbruch betroffen ist."

Diese Möglichkeit des individuellen Nachweises muss erst recht gelten, wenn eine nicht existente Regel auf 2021 übertragen werden soll. Typische Fallkonstellationen sind:

  • Betriebe mit pandemiebedingten Geschäftsmodellanpassungen
  • Unternehmen mit Kompensationsgeschäften im zweiten Halbjahr 2021

Handlungsempfehlungen für die Beratungspraxis

1. Präventive Beratung im Schlussabrechnungsverfahren: Die frühzeitige Einbindung spezialisierter Rechtsberatung bereits im Schlussabrechnungsverfahren ist dringend anzuraten. In diesem Stadium können noch umfassend:

  • Die individuelle Coronabedingtheit der Umsatzeinbrüche dokumentiert werden
  • Besondere betriebliche Umstände dargelegt werden
  • Die rechtliche Unzulässigkeit der Jahresbetrachtung 2021 präventiv adressiert werden

Vor allem aber: Verwaltungsgerichte sind der Ansicht, dass sie nur Sachverhalte berücksichtigen dürfen, die bereits im Schlussabrechnungsverfahren vorgetragen worden sind. Daher ist es sinnvoll, bei hohen Fördersummen schon in diesem Verfahrensstadien Rechtsrat hinzuzuziehen.

2. Argumentation bei Rückforderungen: Bei bereits ergangenen Rückforderungsbescheiden sollte primär argumentiert werden mit:

  • Dem eindeutigen Wortlaut der FAQ (Ziffer 1.2)
  • Der fehlenden Rechtsgrundlage für eine Jahresbetrachtung 2021
  • Der Verletzung der Selbstbindung der Verwaltung
  • Der monatsbezogenen Systematik der Förderung

Daneben muss im Einzelfall der coronabedingte Umsatzeinbruch explizit dargelegt werden.

Fazit: Auch Argumente für die Antragsteller

Die Verwaltungspraxis, bei höherem Gesamtumsatz 2021 gegenüber 2019 pauschal die Coronabedingtheit zu verneinen, ist angreifbar. Es kommt aber immer auch auf die Umstände des Einzelfalls an.

Für die Beratungspraxis gilt: Eine frühzeitige, präventive Befassung mit der Thematik – idealerweise unter Einbeziehung spezialisierter Rechtsberatung – kann erhebliche Rückforderungsrisiken vermeiden und die Position der Mandanten nachhaltig stärken.

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