Wahlrechte und Sachverhaltsinformationen spätestens im Schlussabrechnungsverfahren
Der Fall: Betriebsrente verhindert Neustarthilfe
Im entschiedenen Fall beantragte ein Soloselbstständiger aus der Unternehmensberatung im Jahr 2021 Neustarthilfe und Neustarthilfe Plus in Höhe von insgesamt 16.500 EUR. Die Gelder wurden zunächst auch ausgezahlt. Das böse Erwachen kam mit dem Schlussbescheid: Die Bezirksregierung forderte alles zurück.
Der Grund: Der Berater bezog neben seinen Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit auch eine Betriebsrente aus früherer Angestelltentätigkeit. Diese zählte steuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit und überwog im Jahr 2019 seine selbstständigen Einkünfte deutlich. Damit fehlte die für die Förderung erforderliche "Haupterwerblichkeit" - mehr als 51 Prozent der Gesamteinkünfte mussten aus selbstständiger oder freiberuflicher Tätigkeit stammen.
Das versäumte Wahlrecht
Die Förderrichtlinien sahen allerdings ein Wahlrecht vor: Statt des Jahres 2019 konnten Antragsteller auch den Januar oder den Februar 2020 als Bezugszeitraum wählen. Die Bezirksregierung hatte den Kläger im Prüfverfahren sogar ausdrücklich auf die entsprechende Passage in den FAQs hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Der Kläger nutzte diese Chance jedoch nicht. Er argumentierte lediglich, seine Betriebsrente solle nicht berücksichtigt werden, da sie keine aktuelle Erwerbstätigkeit darstelle. Das Wahlrecht für einen alternativen Bezugszeitraum übte er trotz des behördlichen Hinweises nicht aus.
Die Entscheidung: Zu spät ist zu spät
Das VG Düsseldorf (Urteil v. 9.7.2025, 16 K 10447/24) wies die Klage ab und stellte einen für die Praxis bedeutsamen Grundsatz auf: Eine nachträgliche Ausübung des Wahlrechts nach Bescheiderlass ist nicht möglich.
Das Gericht begründete dies mit dem formalisierten Charakter des Massenverfahrens. Die Corona-Hilfen waren auf schnelle Bearbeitung und Rechtssicherheit ausgelegt. Sowohl die Antragstellung als auch die Endabrechnung unterlagen Ausschlussfristen. Würde man nachträgliche Erklärungen im Gerichtsverfahren zulassen, könnten diese Fristen umgangen werden.
Entscheidend sei der Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Angaben, Nachweise und Wahlrechtsausübungen, die erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgen, fänden keine Berück-sichtigung mehr. Dies gelte selbst dann, wenn die Behörde zuvor auf die Wahlmöglichkeit hingewiesen hatte.
Warum Betriebsrenten mitzählen
Das Gericht bestätigte auch die Berücksichtigung der Betriebsrente bei der Haupterwerblich-keitsprüfung. Die Neustarthilfen sollten Betriebe unterstützen, deren Inhaber zur Existenzsicherung auf die gefährdete selbstständige Tätigkeit angewiesen waren. Wer überwiegend andere Einkünfte - gleich welcher Art - bezog, galt als nicht existenziell gefährdet.
Dass Renten typischerweise der Altersvorsorge dienen und nicht mit der aktuellen Geschäfts-tätigkeit zusammenhängen, spielte keine Rolle. Die Hilfen kompensierten keine pandemiebe-dingten Schäden, sondern dienten der Existenzsicherung. Wer seine Existenz überwiegend durch andere Einkünfte sichern konnte, war nicht förderwürdig.
Lehren für die Praxis
1. Frühzeitig alle Optionen prüfen
Steuerberater sollten spätestens im laufenden Schlussabrechnungsverfahren alle Wahlrechte und Gestaltungsmöglichkeiten durchspielen. Im orliegenden Fall hätte eine Prüfung der Einkommensverhältnisse in Januar oder Februar 2020 möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt.
2. Im Zweifel anwaltlichen Rat einholen
Spätestens, wenn die Bewilligungsbehörde im Prüfverfahren kritische Punkte anspricht, sollte fachkundiger Rat eingeholt werden. Die Schlussabrechnung ist die letzte Chance, alle relevanten Argumente vorzubringen und Wahlrechte auszuüben.
3. Dokumentation ist alles
Alle Kommunikation mit der Bewilligungsstelle sollte sorgfältig dokumentiert werden. Behördliche Hinweise auf Wahlrechte oder Gestaltungsmöglichkeiten müssen ernst genommen und zeitnah beantwortet werden.
4. Vorsicht bei gemischten Einkünften
Mandanten mit verschiedenen Einkunftsarten sollten besonders sorgfältig beraten werden. Die 51-Prozent-Grenze ist starr und lässt keinen Spielraum für Billigkeitserwägungen. Auch Renten, Mieteinkünfte oder Kapitaleinkünfte zählen voll mit.
Prävention statt Prozess
Das Urteil zeigt einmal mehr: Bei den Corona-Hilfen gilt "Gründlichkeit vor Schnelligkeit". Was im Antrags- und Abrechnungsverfahren versäumt wird, lässt sich vor Gericht nicht mehr heilen.
Steuerberater tragen hier eine besondere Verantwortung. Sie sollten ihre Mandanten proaktiv auf kritische Konstellationen hinweisen und bei Unsicherheiten frühzeitig spezialisierte Rechtsberatung empfehlen. Die Kosten für eine präventive Beratung sind allemal geringer als eine aussichtslose Klage und die Rückzahlung der gesamten Förderung.
Die strikte Haltung der Gerichte mag hart erscheinen, ist aber konsequent: Massenverfahren mit Milliardenvolumen funktionieren nur mit klaren Regeln und festen Fristen. Wer diese nicht beachtet, hat das Nachsehen - selbst, wenn er im Recht gewesen wäre.
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