E-Mail-Zugang bei Coronahilfen: Beweislast liegt bei der Behörde
Die Ausgangslage: Wenn wichtige E-Mails verschwinden
Stellen Sie sich vor: Sie haben erfolgreich Neustarthilfe beantragt, die Gelder sind geflossen, und bei der Endabrechnung läuft zunächst alles glatt. Monate später dann der Schock: Die Bewilligungsstelle fordert die komplette Förderung zurück – angeblich hätten Sie auf mehrere Nachfragen nicht reagiert. Sie beteuern, niemals eine E-Mail erhalten zu haben. Wer muss nun was beweisen?
Genau diese Frage hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem aktuellen Urteil vom 31.7.2025 (Az. 16 K 4549/24) geklärt. Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für alle Corona-Hilfsprogramme und stärkt die Position von Antragstellern und ihren Beratern erheblich.
Der Fall: 7.500 EUR Rückforderung wegen nicht erhaltener E-Mails
Ein Reiseunternehmer hatte im Februar 2021 Neustarthilfe beantragt und prompt 7.500 EUR als Vorschuss erhalten. Bei der Endabrechnung im Januar 2022 stimmte aus seiner Sicht alles. Die Bezirksregierung sah das nach einem Datenabgleich mit dem Finanzamt anders und forderte im Oktober 2023 weitere Nachweise an – per E-Mail und über das Direktantragstellerportal.
Als keine Reaktion erfolgte, erließ die Behörde im Juni 2024 einen Ablehnungsbescheid mit vollständiger Rückforderung. Die Begründung: mangelnde Mitwirkung des Antragstellers. Dieser wehrte sich vor Gericht mit dem Argument, die E-Mails nie erhalten zu haben.
Die wegweisende Entscheidung: Behörde in der Beweispflicht
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf gab dem Kläger Recht und verpflichtete die Behörde zur Neubescheidung. Die zentralen Aussagen des Urteils sind für die Praxis von erheblicher Bedeutung:
Beweislast für E-Mail-Zugang trägt der Absender
Die Behörde als Absender muss nachweisen, dass ihre E-Mails tatsächlich beim Empfänger angekommen sind. Es genügt nicht, auf die eigenen Sendeprotokolle zu verweisen oder zu behaupten, man habe die E-Mail abgeschickt. Das Gericht forderte konkrete Nachweise wie SMTP-Protokolle, die den erfolgreichen Zugang beim Empfänger-Server dokumentieren.
Keine proaktive Kontrollpflicht für Portale
Besonders praxisrelevant ist die Feststellung des Gerichts, dass Antragsteller nicht verpflichtet sind, das Direktantragstellerportal regelmäßig und in kurzen Abständen auf neue Nachrichten zu kontrollieren. Zwischen der ersten Anfrage und dem Ablauf der letzten Antwortfrist lag im konkreten Fall nur etwas mehr als ein Monat – zu kurz für eine Obliegenheit zur ständigen Kontrolle.
Spam-Filter als realistisches Szenario anerkannt
Das Gericht akzeptierte die Erklärung des Antragstellers, dass E-Mails möglicherweise im Spam-Ordner gelandet und dort automatisch gelöscht worden sein könnten. Diese alltägliche IT-Realität müssen Behörden bei ihrer Kommunikation berücksichtigen.
Bedeutung für Überbrückungshilfen und andere Corona-Programme
Es ist noch offen, ob die Grundsätze dieser Entscheidung sich auf die Überbrückungshilfen übertragen lassen. Dort gibt es immerhin das bundesweite Portal, auf das Steuerberaterinnen und Steuerberater zugreifen müssen. Sie erhalten jedoch auch Nachrichten über neue Nachrichten im Portal per E-Mail. Wer trägt die Beweislast für den Zugang einer solchen E-Mail? In der Logik dieser Entscheidung dann die Bewilligungsstelle.
Allerdings ist die Lage hier komplexer, da durch das Einloggen der Steuerberater im Portal hier eine andere Nachweismöglichkeit besteht. Dennoch gibt es auch in der Praxis Fälle, in denen Steuerberater und deren Unternehmen darauf verwiesen, nie per E-Mail über den Zugang von Bescheiden oder Nachfragen informiert worden zu sein – und dann dennoch Rückforderungsbescheide erhalten. Hier kann die neue Entscheidung helfen. Abzuwarten bleibt, ob das beklagte Land in Berufung geht.
Ein Freifahrtschein dafür, E-Mails oder das Portal zu ignorieren, ist die Entscheidung damit natürlich nicht. Das Risiko ist viel zu groß. Aber in Fällen, in denen Steuerberater nie E-Mails erhalten haben, kann die Entscheidung durchaus hilfreich sein. Sie zeigt jedenfalls: auch für die Bewilligungsstellen gibt es einige rechtliche Unsicherheiten in ihrer Praxis.
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