Höheres Haftungsrisiko wegen Mitwirkungspflichten bei Überbrückungshilfen
Das VG Gelsenkirchen hat mit Urteil v. 26.8.2025, 19 K 1208/23, eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Konsequenzen für die Praxis der Schlussabrechnungsverfahren bei den Corona-Überbrückungshilfen haben dürfte. Obwohl das Verfahren noch ein ursprüngliches Antragsverfahren zur Überbrückungshilfe III Plus betraf, entfaltet die Rechtsprechung unmittelbare Ausstrahlungswirkung auf laufende Schlussabrechnungen.
Im entschiedenen Fall hatte ein Konzertveranstalter Überbrückungshilfe III Plus in Höhe von rund 102.500 EUR beantragt. Die Bezirksregierung Düsseldorf stellte im Rahmen der Antragsprüfung mehrfach Rückfragen zur Corona-Bedingtheit der geltend gemachten Umsatzeinbrüche. Diese Anfragen blieben seitens des prüfenden Dritten unbeantwortet.
Das Gericht bestätigte die vollständige Ablehnung der Förderung. Die Begründung: Der Antragsteller habe seine Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt.
Kernaussagen des Urteils für die Praxis
Die Entscheidung trifft mehrere Feststellungen, die für Steuerberater von erheblicher Bedeutung sind.
Zurechnung des Verhaltens des prüfenden Dritten
Das Gericht stellt unmissverständlich klar: Den Antragsteller trifft im Rahmen der Antragsprüfung eine Mitwirkungsobliegenheit, die er in Person seines prüfenden Dritten wahrzunehmen hat. Das bedeutet: Jedes Versäumnis des Steuerberaters wird dem Mandanten zugerechnet.
Diese Zurechnung erfolgt unabhängig davon, ob den prüfenden Dritten ein Verschulden trifft. Das Gericht führt aus, dass es für die Verwaltungspraxis unerheblich sei, ob schuldhaft oder schuldlos gehandelt worden ist. Die Begründung: Es liege grundsätzlich allein in der Risikosphäre des Antragstellers, die Mitwirkung zu gewährleisten.
Ständige Verwaltungspraxis der vollständigen Ablehnung
Besonders praxisrelevant ist die Bestätigung der Verwaltungspraxis durch das Gericht. Stellt der prüfende Dritte die zur Überprüfung notwendigen Nachweise oder Auskünfte nicht zur Verfügung, wird die Überbrückungshilfe in ständiger Verwaltungspraxis in voller Höhe abgelehnt.
Diese Praxis wird durch Ziffer 3.13 der FAQ gestützt und gilt bundesweit. Die Konsequenz ist drastisch: Selbst, wenn nur einzelne Nachfragen unbeantwortet bleiben, droht die komplette Versagung der Förderung.
Praktische Konsequenzen für Schlussabrechnungsverfahren
Obwohl das Urteil ein Antragsverfahren betrifft, sind die Grundsätze unmittelbar auf Schlussabrechnungsverfahren übertragbar. Die Bewilligungsstellen – allen voran die NBank in Niedersachsen – wenden diese Maßstäbe bereits konsequent an.
Mehrfache Rückfragen sind die Regel
Im entschiedenen Fall stellte die Bezirksregierung vier Rückfragen zur Corona-Bedingtheit (28.10.2022, 8.11.2022, 4.1.2023 und 19.1.2023). Diese zeitliche Streckung zeigt: Die Bewilligungsstellen prüfen intensiv und geben durchaus Gelegenheit zur Nachbesserung.
Allerdings: Nach einer gewissen Anzahl unbeantworteter Anfragen erfolgt die Ablehnung. Das Gericht akzeptierte diese Praxis ausdrücklich als Teil der Missbrauchsbekämpfung.
Nachträgliche Erklärungen sind wertlos
Besonders bedeutsam: Das Gericht ließ nachträgliche Ausführungen zur Corona-Bedingtheit im gerichtlichen Verfahren nicht zu. Die Begründung: Nachträgliche Auskünfte seien irrelevant, weil sie im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Ablehnungsentscheidung nicht vorlagen.
Diese Rechtsprechung bedeutet: Was im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen wurde, kann später nicht mehr nachgeholt werden. Die oft gehörte Praxis, sich zunächst zurückzuhalten und im Streitfall umfassend vorzutragen, ist damit gescheitert.
Allerdings ist das auch umstritten. Es gibt auch Gegenargumente, die im Einzelfall vor allem sich daraus herleiten lassen,
- was die Bewilligungsstelle nach dem Amtsermittlungsgrundsatz hätte selbst ermitteln müssen und
- welchen Vertrauensschutz aufgrund bekannter Sachverhalte der Antragsteller genießt.
Es kommt also durchaus auch noch auf den Einzelfall an.
Haftungsrisiken für Steuerberater
Die Entscheidung verschärft die bereits bestehenden Haftungsrisiken für Steuerberater erheblich.
Dokumentation der Kommunikation
Das Gericht stellte fest, dass die Rückfragen der Bezirksregierung im Verwaltungsvorgang vollumfassend dokumentiert waren. Sowohl die Anfragen als auch die versandten Benach-richtigungs-E-Mails ließen sich nachvollziehen. Auch im automatisch generierten Audit waren die Vorgänge vermerkt.
Die pauschale Behauptung der Klägerin, keine Rückfragen erhalten zu haben, wurde vom Gericht als unplausibel zurückgewiesen. Besonders kritisch: Die Klägerin räumte selbst ein, die Kommunikation über das spezielle Online-System nur schwer nachvollziehen zu können.
Für Steuerberater bedeutet dies: Eine lückenlose Dokumentation aller Portaleingänge ist zwingend erforderlich. Technische Ausreden werden nicht akzeptiert.
Fristversäumnisse haben existenzbedrohende Folgen
Werden Rückfragen nicht innerhalb der gesetzten Fristen beantwortet, droht nicht etwa eine Mahnung oder eine Zinszahlung. Die Konsequenz ist die sofortige Rückforderung der gesam-ten Förderung.
Das Gericht betonte: Die Bezirksregierung durfte die unterbliebene Mitwirkung zu Lasten der Klägerin werten und mangels jeglicher Erläuterung zur erforderlichen Corona-Bedingtheit zugrunde legen, dass keine Antragsberechtigung bestand.
Aber: Es kommt immer auch auf den Einzelfall an, z.B.:
- Kann nachgewiesen werden, dass kein Zugang erfolgte?
- Kann plausibel vorgetragen werden, dass es technische Probleme gab?
- Kann die Bezirksregierung/Bewilligungsstelle den störungsfreien Ablauf des Portals belegen?
Es ist daher wichtig, dass Steuerberater und Unternehmen in solchen Fällen schnell fachkun-digen anwaltlichen Rat einholen.
Handlungsempfehlungen für die Praxis
Aus dem Urteil lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten.
Ständige Kontrolle der Portale
Steuerberater sollten die Förderportale ständig auf neue Nachrichten kontrollieren. Die E-Mail-Benachrichtigungen allein reichen nicht aus, wie der Fall zeigt. Technische Probleme beim E-Mail-Versand gehen zu Lasten des Antragstellers.
Empfehlenswert ist die Einrichtung eines systematischen Wiedervorlagesystems. Jede Anfrage sollte sofort in die Fristenkontrolle aufgenommen werden.
Umfassende Beantwortung aller Rückfragen
Jede Rückfrage der Bewilligungsstelle muss vollständig und substantiiert beantwortet werden. Pauschale Verweise auf die Branchenzugehörigkeit oder allgemeine Ausführungen zur Corona-Pandemie reichen nicht aus.
Das Gericht stellte klar: Nach Ziffer 1.2 der FAQ ist über die Corona-Bedingtheit der Einbußen stets ein individueller und für jeden Fördermonat gesonderter Nachweis vom Antragsteller zu erbringen. Auch die Zugehörigkeit zur Veranstaltungs- und Kulturbranche ändert daran nichts.
Präventive Einbeziehung rechtlicher Beratung
Bei komplexen Sachverhalten sollten Steuerberater frühzeitig spezialisierte Rechtsberatung einschalten. Das Urteil zeigt: Die rechtlichen Anforderungen an die Plausibilisierung der Corona-Bedingtheit sind hoch.
Besonders kritisch sind Fälle, in denen der Jahresumsatz 2020 oder 2021 über dem Umsatz 2019 lag oder in denen andere Faktoren (Personalrekrutierung, Lieferkettenprobleme) eine Rolle spielten.
Mandanteninformation ist unverzichtbar
Steuerberater müssen ihre Mandanten unverzüglich über eingehende Rückfragen informieren. Das Haftungsrisiko steigt massiv, wenn Mandanten erst nachträglich von unbeantworteten Anfragen erfahren.
Die Praxis zeigt: Die Bereitschaft von Unternehmen, Steuerberater wegen verspäteter Mitteilungen in Anspruch zu nehmen, wächst erheblich. Dies gilt umso mehr, als die Konsequenzen existenzbedrohend sein können.
Fazit
Das Urteil des VG Gelsenkirchen markiert eine Verschärfung der Anforderungen an prüfende Dritte. Die konsequente Anwendung dieser Grundsätze in Schlussabrechnungsverfahren zwingt Steuerberater zu höchster Sorgfalt. Versäumnisse bei der Beantwortung von Rückfragen können nicht mehr korrigiert werden und führen zur vollständigen Versagung der Förderung.
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