BGH: Hohe Anforderungen an anwaltliche Fristenkontrolle

Wird in einer Anwaltskanzlei die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft übertragen, so ist sowohl organisatorisch als auch durch Einzelanweisung sicherzustellen, dass eine Frist sofort richtig notiert und dies auch kontrolliert wird.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in verschiedenen Entscheidungen in diesem Jahr mehrfach die strengen Anforderungen an die Fristennotierung in Anwaltskanzleien bekräftigt. In einer aktuellen Entscheidung hat das Gericht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Notierung von Fristen nochmals präzisiert.

Verwerfung der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

Gegenstand des aktuellen Verfahrens war die Beschwerde einer Prozesspartei gegen die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsantrags und gegen die Verwerfung einer eingelegten Berufung als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

Voraussichtliche Berufungsbegründungsfrist dreifach notiert

Der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ging ein Antrag auf eine einmonatige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist voraus. Der Anwalt hatte namens seiner Partei eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 4.8.2022 beantragt. Daraufhin hatte die für die Fristennotierung zuständige Kanzleimitarbeiterin die Frist zum Ablauf der Berufungsbegründung auf den 4.8.2022 im schriftlichen Fristenkalender, in dem über Microsoft Outlook geführten Digitalkalender und im Rechtsanwaltsprogramm notiert.

Gewährte Fristverlängerung war 2 Tage kürzer als beantragt

Anschließend hat das zuständige OLG lediglich eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 2.8.2022 ­‑ also 2 Tage weniger als beantragt – gewährt. Nach Eingang der gerichtlichen Verlängerungsverfügung hat der Anwalt – laut der im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags abgegebenen eidesstattlichen Versicherung – die betreffende Mitarbeiterin angewiesen, die bereits auf den 4.8.2022 eingetragene Ablauffrist auf den 2.8.2022 zu korrigieren.

Fristversäumnis wegen fehlender Korrektur im Fristenkalender

Nach einer zwischenzeitlichen Coronaerkrankung des Anwalts wurde ihm die betreffende Akte nach seiner Rückkehr am 4.8.2022 vorgelegt. Erst jetzt bemerkte er, dass die von ihm verfügte Korrektur des Fristablaufs weisungswidrig von der Kanzleimitarbeiterin nicht eingetragen worden war. Noch am selben Tag reichte der Anwalt die Berufungsbegründung bei Gericht ein und beantragte hinsichtlich der abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt

Das OLG lehnte die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf die Berufung wegen Fristablaufs als unzulässig. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Rechtsanwalts hatte beim BGH keinen Erfolg. Nach der Entscheidung des BGH hatte die Vorinstanz die Berufungsbegründungsfrist zurecht als versäumt bewertet. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in vorigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO seien nicht erfüllt.

Fehler des Büropersonals stehen einer Wiedereinsetzung nicht entgegen

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass eine Frist unverschuldet versäumt wurde. Fehler des Büropersonals stehe nach der Entscheidung des BGH einer Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht entgegen, es sei denn, den Prozessbevollmächtigten trifft ein eigenes Verschulden in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens (BGH, Beschluss v. 6.9.2023, IV ZB 4/23). Gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO habe die Partei bzw. deren Bevollmächtigter einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden zweifelsfrei ausschließt. Die Darlegung einer bloßen Möglichkeit fehlenden Verschuldens reiche nicht (BGH, Beschluss v. 1.3.2023, XII ZB 228/23).

Organisatorische Maßnahmen zur Fristenkontrolle erforderlich

Im konkreten Fall ging der Senat davon aus, dass ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten, das der von ihm vertretenen Partei zuzurechnen sei, nicht auszuschließen ist. Die Berechnung und Notierung von Fristen dürfte der Anwalt zwar grundsätzlich einer gut ausgebildeten und sich als zuverlässig erwiesenen Bürokraft übertragen, jedoch habe der Anwalt flankierend geeignete organisatorische Maßnahmen zu treffen, um die ordnungsgemäße Notierung von Fristen sicherzustellen und zu kontrollieren (BGH, Beschluss v. 17.5.2023, XII ZB 533/22).

Grundsätze bei der Notierung von Rechtsmittelbegründungsfristen

Der Senat stellte folgende Grundsätze bei der Notierung einer Rechtsmittelbegründungsfrist heraus:

  • Die Einhaltung der Rechtsmittelbegründungsfrist ist nicht nur durch Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine angemessene Vorfrist sicherzustellen.
  • Im Fall eines Fristverlängerungsantrags ist das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung im Fristenbuch einzutragen und
  • als vorläufig zu kennzeichnen.
  • Mit Eingang der gerichtlichen Verlängerungsmitteilung ist das wirkliche Ende der Frist festzustellen und zu notieren.

Fehlender Hinweis auf Vorläufigkeit der ursprünglich notierten Frist

Im konkreten Fall bemängelte der BGH – wie auch schon die Vorinstanz -, dass aus dem Vorbringen des Anwalts nicht ersichtlich sei, dass nach den kanzleiinternen Vorgaben das hypothetische Ende einer beantragten Fristverlängerung mit dem Zusatz vorläufig gekennzeichnet werde. Bereits insoweit sei ein Verschulden des Anwalts nicht auszuschließen und damit der Wiedereinsetzungsantrag schon aus diesem Gesichtspunkt unbegründet.

Fristenkorrektur muss sofort erfolgen

An diesem Ergebnis ändere auch die nach Eingang der Verlängerungsmitteilung des OLG erteilte Einzelanweisung des Anwalts an die Mitarbeiterin, die eingetragene Frist zu korrigieren, nichts. Bei einer so wichtigen Frist wie einer Rechtsmittelfrist müsse der Anwalt zusätzliche Vorkehrungen treffen, dass seine Einzelanweisung im allgemeinen Kanzleistress nicht in Vergessenheit gerät und die Korrektur trotz Anweisung unterbleibt. Erforderlich sei eine klare und präzise Anweisung, die Rechtsmittelbegründungsfrist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender einzutragen. Alles andere begründe den Vorwurf eines Organisationsverschuldens.

Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag war lückenhaft

Nach Auffassung des BGH hatte der Anwalt in seinem Wiedereinsetzungsantrag das Vorliegen dieser strengen Voraussetzungen nicht ausreichend dargetan. Auch habe der Anwalt nicht hinreichend dargelegt, dass er ausreichende Vorkehrungen im Hinblick auf seinen von ihm dargelegten krankheitsbedingten Ausfall getroffen hatte, um mögliche Fristversäumnisse zu vermeiden, zum Beispiel durch eine rechtzeitige Vorlage der entsprechenden Akte an einen Vertreter (BGH, Beschluss v. 19.10.2022, XII ZB 113/21).

Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen

Im Ergebnis hatte das OLG daher die Berufung wegen Fristversäumnis zu Recht als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht abgelehnt. Die Grundsätze zum Verschulden im Falle eines Fristversäumnisses sind nach Auffassung des BGH inzwischen in der Rechtsprechung auch so weitgehend geklärt, dass die Rechtsbeschwerde gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung bereits als unzulässig zu verwerfen war.

(BGH, Beschluss v. 18.10.2023, XII ZB 31/23)


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