BGH: Erfordernisse einer Sicherung der Fristenkontrolle

Jeder Anwalt muss im Rahmen der Kanzleiorganisation Sicherungsmechanismen für eine effektive Fristenkontrolle schaffen. Dies beinhaltet auch organisatorische Maßnahmen, damit mündliche Einzelanweisungen nicht in Vergessenheit geraten.

Die Fristenfalle dürfte in der Anwaltspraxis der häufigste Anlass für den gefürchteten Anwaltsregress sein. Die Rechtsprechung zu den Erfordernissen einer wirksamen anwaltlichen Fristenkontrolle ist umfangreich. Eine aktuelle BGH-Entscheidung präzisiert erneut die Anforderungen an die in der Anwaltspraxis erforderlichen organisatorischen Sicherungsmaßnahmen.

Wiedereinsetzungsantrag nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

In dem aktuell vom BGH entschiedenen Fall hatte die von einer Anwältin vertretene Prozesspartei wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Wie häufig in diesen Fällen hat die Prozessbevollmächtigte die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist mit einem Versehen der erfahrenen und bisher immer zuverlässig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten begründet.

Mündliche Anweisung zur Notierung der Berufungsbegründungsfrist

Die Rechtsanwaltsfachangestellte habe erstmalig der nach Eingang des erstinstanzlichen Urteils ausgesprochenen ausdrücklichen mündlichen Arbeitsanweisung der Anwältin zuwidergehandelt, sowohl die einmonatige Notfrist zur Einlegung der Berufung als auch die zweimonatige Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung zu notieren. Die Angestellte habe nur die Berufungsfrist notiert, nicht aber die Frist zur Begründung der Berufung.

Mängel in der Organisation des Fristenwesens

Nachdem in der Folge die Frist zur Begründung der Berufung verpasst wurde, beantragte die Anwältin für die von ihr vertretene Prozesspartei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Berufungsgericht verwehrte die begehrte Wiedereinsetzung mit der Begründung, die Darlegungen der Anwältin ließen Mängel in der Organisation des Fristenwesens in ihrer Anwaltskanzlei erkennen. Die Anwältin habe keine organisatorischen Maßnahmen zur Sicherung der Umsetzung ihrer mündlichen Anweisungen dargelegt.

Besondere Sorgfaltspflichten bei mündlichen Anweisungen

Die Rechtsbeschwerde gegen die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags war erfolglos. Auch der BGH vertritt die Auffassung, dass der Rechtsanwalt bei einer mündlichen Anweisung zur Eintragung einer Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender besondere organisatorische Vorkehrungen zu treffen hat, die sicherstellen, dass der Fristeneintrag entweder sofort erfolgt oder im Fall einer späteren Eintragung zusätzlich abgesichert wird. Gerade mündliche Anweisungen könnten im Fall einer verzögerten Umsetzung leicht in Vergessenheit geraten.

Sämtliche Begründungstatsachen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist

Im Beschwerdeverfahren hatte die Anwältin vorgetragen, in ihrer Kanzlei seien die geforderten zusätzlichen Sicherheitselemente vorhanden. Diese erst im Beschwerdeverfahren gemachten Angaben berücksichtigte der BGH in seiner Entscheidung nicht. Der Senat stellte klar, dass gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits sämtliche, die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten muss (BGH, Beschluss v. 25.3.2009, XII ZB 150/88). Vorbringen nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist sei grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen (BGH, Beschluss v. 13.7.2017, IX ZB 110/16).

Keine gerichtliche Hinweispflicht auf Begründungslücken

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin vertrat der BGH die Ansicht, dass die Vorinstanz die Beschwerdeführerin auch nicht gemäß § 139 ZPO auf Lücken in ihrer Begründung für den Wiedereinsetzungsantrag hätte hinweisen müssen. Die richterliche Hinweispflicht betreffe nur unklare oder ungenaue Angaben, die durch ergänzenden Vortrag erläutert und klargestellt werden könnten (BGH, Beschluss v. 16.10.2018, VI ZB 68/16). Die Ausführungen der Anwältin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag seien aber nicht unklar oder ungenau, vielmehr fehlten entscheidende Elemente, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten.

Anwälte müssen Anforderungen an Fristenkontrolle kennen

Schließlich war der Senat der Auffassung, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Fristenkontrolle und Kanzleiorganisation auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein müssten. Aufgrund ihrer juristischen Ausbildung müssten sie in der Lage sein, von sich aus einen Wiedereinsetzungsantrag in der rechtlich erforderlichen Weise zu begründen (BGH, Beschluss v. 21.5.2019, II ZB 4/18). Fehlten in der Begründung maßgebliche Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung, so lasse dies den Schluss auf das tatsächliche Vorhandensein organisatorischer Mängel in der Kanzlei zu.

Wiedereinsetzungsantrag erfolglos, Berufung verfristet

Im Ergebnis hatte der Wiedereinsetzungsantrag damit keinen Erfolg. Die Verwerfung der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch die Vorinstanz war daher nach der Entscheidung des BGH nicht zu beanstanden.


(BGH, Beschluss v. 15.2.2022, VI ZB 37/20)


Hintergrund

In den letzten Monaten und Jahren hat der BGH sich mehrfach mit den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Fristenkontrolle sowohl betreffend die Versendung von Dokumenten per beA als auch noch zur alten Rechtslage der analogen Versendung von Schriftsätzen befasst.

Erfordernis einer allabendlichen Ausgangskontrolle

So hat der BGH eine Wiedereinsetzung in dem Fall verweigert, in dem der Rechtsanwalt keine organisatorischen Maßnahmen zur allabendlichen Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen getroffen hat (BGH, Beschluss v. 17.3.2020, VI ZB 99/19).

Der Senat stellte in seiner Entscheidung klar, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich befugt ist, routinemäßige Büroarbeiten auf erfahrene Mitarbeiter zu übertragen. Hierzu gehöre auch die Erledigung der ausgehenden Post und auch die Versendung von fristgebundenen Telefax-Schreiben, deren Umsetzung er aber kontrollieren müsse (BGH, Beschluss v. 28.1.2018, IX ZB 4/17).

Persönliche Überprüfungspflicht

Fehlerquellen beim Umgang mit Rechtsmittelfristen hat der Anwalt nach Möglichkeit auszuschließen (BGH, Beschluss v. 29.10.2019, VIII ZB 103/18). Dazu gehört auch eine persönliche Gegenkontrolle in der Form, dass der Anwalt zumindest in der Handakte überprüft, ob eine Frist ordnungsgemäß eingetragen wurde (BGH, Beschluss v. 23.6.2020, VI ZB 63/19). Dies umfasst auch die Verpflichtung des Anwalts, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass er infolge einer unvorhergesehenen Erkrankung an einer persönlichen Fristenkontrolle verhindert ist (BGH, Beschluss v. 21.7.2020, VI ZB 25/19).

Fristen dürfen erst nach tatsächlicher Erledigung gestrichen werden

In mehreren Entscheidungen legte der BGH Wert darauf, dass Fristen erst dann gestrichen oder als erledigt gekennzeichnet werden dürfen, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt wurde. Für fristgebundene Schriftsätze heiße das, der Schriftsatz müsse gefertigt und abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sein. Erst danach dürfe eine Frist gestrichen oder als erledigt gekennzeichnet werden. Dies habe der Anwalt durch eine klare Allgemeinanweisung gegenüber seinem Büropersonal sicherzustellen (BGH, Beschluss v. 9.12.2014, VI ZB 42/13).

Beim beA ist Eingangsbestätigung entscheidend

Übertragen auf das beA dürfte diese Rechtsprechung bedeuten, dass eine Frist erst nach Zugang der gerichtlichen Eingangsbestätigung gestrichen werden darf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 11.11.2020, OVG 6 S 49/20; BGH, Beschluss v. 11.5.2021, VIII ZB 9/20). Erst mit der Eingangsbestätigung besteht nach der Entscheidung des BGH Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich durchgeführt wurde.