Wertberechnung

Im Gerichtskostengesetz und in der ZPO wird der Gegenstandswert „Streitwert“ genannt (§ 3 Abs. 1 GKG, § 2 ZPO), im FamGKG „Verfahrenswert“ (§ 3 Abs. 1 FamGKG). Wie genau ist er festzustellen und zu berechnen?

Streitwertkataloge der Arbeits-, Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (leider oft veraltet) geben ergänzend zum GKG und dem GNotKG eine gewisse Hilfestellung.

Vereinzelt geben auch die jeweiligen Gerichte auf ihren Internetseiten eine Übersicht über die aktuelle Streitwertrechtsprechung „vor Ort“ (z. B. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil v. 17.3.2016, 5 Ta 15/16; eine vereinbarte Nettovergütung ist auf den Bruttobetrag hochzurechnen).         

Die Gegenstandswerte für die Gebührenabrechnung des Anwalts finden sich in unterschiedlichen Gesetzen, zunächst kommt es darauf an, ob der Anwalt vor Gericht oder außergerichtlich tätig wird.

Streitwert bei gerichtlichen Tätigkeiten des Anwalts

In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gilt über § 48 Abs. 1 GKG (§ 23 Abs. 1 Satz 1 RVG verweist auf das GKG), dass sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands richten, soweit nichts anderes bestimmt ist. §§ 3 ZPO ff. regeln den Zuständigkeitsstreitwert und § 511 ZPO den Rechtsmittelstreitwert. Diese beiden Werte sind auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgebend, soweit das GKG nicht von den Wertvorschriften des Verfahrensrechts abweicht (§ 62 GKG).

Die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 a. E. GKG verweist auf die Regelungen der ZPO, „soweit nichts anderes bestimmt ist” (§§ 3 bis 9 ZPO).

In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist gemäß § 48 Abs. 2 GKG der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (OLG Köln, Beschluss v. 5.2.2018, 9 U 120/17: Streitwert einer Datenauskunft nach dem BDSG ohne wirtschaftliches Interesse; LG Köln, Beschluss v. 19.3.2019, 14 O 86/19: Streitwert bei Verletzung des Urheberrechts von 25.000 EUR im eistweiligen Rechtschutzverfahren gem. § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO).

Der in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG genannte „Ausgangswert“ von derzeit 5.000 EUR ist laut OLG Saarbrücken, Urteil v. 5.12.2018, 5 U 58/18 (Streitwert des Anspruchs auf Unterlassung ehrverletzender Äußerungen), lediglich ein erster Anhalt und je nach den Umständen zu ermäßigen oder zu erhöhen. Der Regelstreitwert bei einer durchschnittlichen nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit liegt laut BGH, Beschluss v. 17.11.2015, II ZB 8/14, bei 5.000 EUR, wenn keine Anhaltspunkte für ein höheres oder geringeres Interesse vorliegen.

Streitwert für wiederkehrende Leistungen

Für wiederkehrende Leistungen ist für die Gerichtskosten/Anwaltsgebühren gemäß § 9 Satz 1 ZPO der Wert nach dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Bezugs maßgeblich. Gemäß § 9 Satz 2 ZPO ist bei bestimmter Dauer des Bezugs der Gesamtbetrag maßgeblich, wenn er geringer ist.

Unter § 9 ZPO fallen u.a.:


  • Schadensersatzrenten
  • vertraglichen Unterhaltsrenten
  • Reallasten
  • laufende Ansprüche aus Versicherungsverträgen

Für gesetzliche Unterhaltsansprüche gilt § 51 FamGKG.

Die Vorschrift des § 9 ZPO gilt nicht, soweit §§ 41, 42 GKG als Spezialregelungen vorgehen.

Werden Mieterhöhungen für Wohnraum (§ 43 Abs. 2 GKG) geltend gemacht oder geht es um den Bestand eines Mietvertrags über Wohnraum oder die Räumung ist maximal der Jahresbetrag der Miete der Streitwert (§ 41 Abs. 1 und Abs. 2 GKG) für die Gerichtskosten und die Anwaltsgebühren.

Achtung: In einer Streitigkeit über die Räumung von Wohnraum bestimmt sich der Wert der Beschwer gemäß §§ 8, 9 ZPO nach dem dreieinhalbfachen Jahreswert der Nettomiete, wenn es sich um ein Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit handelt und sich deshalb die „streitige" Zeit nicht bestimmen lässt (BGH, Beschluss v. 17.1.2017, VIII ZR 178/16).

Der Gebührenstreitwert einer Feststellungsklage des Mieters, dass der Mietzins um einen bestimmten Betrag bzw. Prozentsatz gemindert sei, bestimmt sich gem. §§ 48 GKG, 9 ZPO.

Handelt es sich nach dem für die Streitwertbemessung maßgeblichen Vortrag des Mieters um einen behebbaren Mangel und ist die Mangelbeseitigung ebenfalls ein (nicht notwendig prozessuales) Anliegen des Mieters, gilt § 9 Satz 2 ZPO. Nach dem Rechtsgedanken des § 41 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. GKG ist im Allgemeinen von einem Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung auszugehen (KG Berlin, Beschluss v. 6.6.2016, 12 W 19/16).

Für arbeitsgerichtliche Streitigkeiten gilt gem. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts.

Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsverfahren

In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit (§ 52 GKG) ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (LSG München, Beschluss v. 23.1.2019, L 16 BA 154/18 B: Zur Festsetzung des Streitwerts in einem Statusfeststellungsverfahren).

Bietet der Sach- und Streitstand dafür keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen (z. B. VGH München, Beschluss v. 11.3.2019, 12 C 18.1823: Gegenstandswert einer Klage gegen die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers).

Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend.

Hinweis: Betrifft ein Rechtsstreit über Umsatzsteuer zwei Streitjahre und hat der Streitfall i.S.v. § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG offensichtlich absehbare Auswirkungen für nachfolgende Streitjahre, so ist die in dieser Vorschrift vorgesehene Erhöhung des Streitwerts auf das Dreifache des durchschnittlichen Streitwerts für die anhängigen beiden Streitjahre begrenzt (BFH, Beschluss v. 17.8.2015, XI S 1/15).

Außergerichtliche Tätigkeiten des Anwalts

Die unter 3.1 genannten Grundsätze und Wertvorschriften gelten auch entsprechend für die Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, wenn der Gegenstand der Tätigkeit auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte bzw. diesem vorausgeht (§ 23 Abs. 1 Satz 3 RVG).

Beauftragt der Vermieter einen Rechtsanwalt, den Mietvertrag auf Kündigungsmöglichkeiten zu prüfen und ggf. die Kündigung auszusprechen, so bemisst sich der Gegenstandswert für die Vergütung des Rechtsanwalts nach § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG i. V. m. § 41 Abs. 1 GKG, auch wenn es wegen der Beendigung des Mandats nicht mehr zur Kündigungserklärung kommt (OLG München, Urteil v. 12.10.2016, 15 U 2340/16 Rae).

Die Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 1 RVG verweist für im RVG nicht geregelten Fälle bezüglich des  Gegenstandswertes auf die Bewertungsvorschriften des GNotKG und die §§ 37, 38, 42 bis 45 sowie 99 bis 102 GNotKG.

Hinweis: Manche Streitgegenstände sind nicht bezifferbar, z.B. bei Rufschädigung, Unterlassungsansprüche oder Schmerzensgeld. Hier sind die Gegenstandswerte zum Teil an Hand der Rechtsprechung geregelt. Fehlen Regelung und Hinweise, ist zu schätzen. Bestehen für eine Schätzung keine tatsächlichen Anhaltspunkte, wird ein Gegenstandswert von 5.000 EUR angenommen (§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG), ggf. jedoch auch darüber (maximal 500.000 EUR).

Für Beratungstätigkeiten sollte man im Zweifel zwecks späterer Streitvermeidung im Rahmen einer Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) den Gegenstandswert und auch die Berechnungsart festlegen. Denn § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG beinhaltet, dass mangels Vereinbarung bei Beratung eines Verbrauchers die Gebühr für die Beratung oder für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens jeweils höchstens 250 EUR beträgt. §14 Abs. 1 RVG gilt entsprechend; für ein erstes Beratungsgespräch beträgt die Gebühr höchstens 190 EUR.

Hinweis:

Die auftragsgemäß auf den Entwurf eines Testaments beschränkte Tätigkeit eines Rechtsanwalts ist als Beratung und nicht als Betreiben eines Geschäfts zu vergüten. Der auftragsgemäße Entwurf zweier abgestimmter Testamente ist keine die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG auslösende Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags (BGH, Urteil v. 22.2.2018, IX ZR 115/17).

Eine Mitwirkung bei Vertragsgestaltung ist auf jeden Fall gegeben, wenn der Rechtsanwalt z. B. einen Mietvertrag entwirft. Der Gegenstandswert berechnet sich nach § 99 GNotKG. Prüft der Anwalt den Entwurf eines Mietvertrags der Gegenseite mit dem Auftrag bei Bedarf Änderungsvorschläge zu machen, so geht der Auftrag auch dahin, bei der Gestaltung des Vertrags mitzuwirken. In diesen Fällen entsteht die Geschäftsgebühr auch dann, wenn es aus welchen Gründen auch immer nicht zu einer tatsächlichen Mitwirkung an der Gestaltung kommt (siehe auch OLG, Hinweisbeschluss v. 18.9.2014, 15 U 3046/14 Rae: Rechtsanwaltsvergütung bei Entwerfen von Verträgen für Gesellschaftsgründung).

Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Im Familienrecht werden die Gegenstandswerte grundsätzlich Verfahrenswerte genannt. Das FamGKG enthält einheitlich für alle Familiensachen anwendbare Verfahrenswerte, die auch für die Gebührenabrechnung des Anwalts gelten, soweit er mit dem Mandanten nichts anderes vereinbart (§§ 23 Abs. 1 Satz2 und 3 RVG, §§ 55 FamGKG). Das FamGKG enthält weitestgehend pauschale Verfahrenswerte, aber auch Wertvorschriften, die ein Ermessen des Gerichts zulassen. Die Vorschriften der §§ 33 bis 42 FamGKG enthalten die allgemeinen und §§ 43 bis 52 FamGKG die besonderen Wertvorschriften.


Hinweis: Für die Vertretung im Scheidungsverfahren gilt § 43 FamGKG: In Ehesachen ist der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Hier hat der Anwalt die Möglichkeit den Verfahrenswert „mitzubestimmen“ bzw. in seinem Sinne zu beeinflussen, indem er entsprechende Fakten beim Familiengericht vorträgt.

Anwälte können sich (vor allem) an Gerichtsentscheidungen der für sie relevanten Gerichte orientieren:

  • Vermögen und Einkommen prägen das Ehescheidungsverfahren aufgrund ihrer gleichwertigen Bedeutung regelmäßig im gleichen Maße (OLG Naumburg, Beschluss v. 24.8.2018, 9 WF 92/18).
  • Bei der Festsetzung des Verfahrenswerts in Ehesachen ist das Kindergeld nicht als Einkommen der Beteiligten i.S.d. § 43 FamGKG zu berücksichtigen (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.12.2018, II - 3 WF 68/18).
  • Das Vermögen ist nicht mit seinem vollen Wert zu berücksichtigen, sondern mit einem Teilbetrag von 5%. Es sind Freibeträge in Höhe von 60.000 EUR für jeden Ehegatten und 30.000 EUR für jedes gemeinsame Kind abzusetzen (OLG Hamburg, Beschluss v. 8.3.2019, 12 WF 184/18).

Die Mindestgebühr für den Versorgungsausgleich nach § 50 Abs. 3 FamGKG kann nach Wortlaut und Gesetzesbegründung auch unter der des § 50 Abs. 1 Satz 2 FamGKG liegen (OLG Brandenburg, Beschluss v. 5.11.2018, 13 UF 171/17). Haben beide Eheleute in der Ehezeit keine Rentenanrechte erworben, ist es angemessen, den Wert des Versorgungsausgleichsverfahrens lediglich in Höhe der Mindestgebühr auf 500 EUR festzusetzen KG Berlin, Beschluss v. 13.3.2018, 18 WF 12/18).

In Unterhaltssachen und in sonstigen den Unterhalt betreffenden Familiensachen, soweit diese jeweils Familienstreitsachen sind und wiederkehrende Leistungen betreffen, ist der für die ersten zwölf Monate nach Einreichung des Antrags geforderte Betrag maßgeblich, höchstens jedoch der Gesamtbetrag der geforderten Leistung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FamGKG: OLG Frankfurt/M., Beschluss v. 2.12.2019, 5WF 204/18).

In Kindschaftssachen (§ 45 FamGKG) wie Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge kann der Verfahrenswert 3.000 EUR betragen (OLG Brandenburg, Beschluss v. 20.12.2018, 9 UF 86/18 zum vollständigen Umgangsausschluss des leiblichen Vaters bis zur Volljährigkeit eines Kindes). Das Gesetz sieht diesen Wert grundsätzlich bei 4.000 EUR.

In Gewaltschutzsachen nach § 1 GewSchG und in Verfahren nach dem EU-GewSchVG beträgt der Verfahrenswert 2.000 EUR, in Gewaltschutzsachen nach § 2 GewSchG 3.000 EUR (§ 49 Abs. 1 FamGKG). Unter bestimmten Umständen kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen (§ 49 Abs. 1 FamGKG). Sind Gegenstand des Verfahrens mehrere Gewaltschutzanordnungen, die alle auf Grundlage nach § 1 GewSchG erlassen werden, so ist hierfür der Verfahrenswert nach § 49 FamGKG nur einmal anzusetzen, nicht für jede Einzelanordnung gesondert (AG Bergen auf Rügen, Beschluss v. 28.5.2014, 4 F 293/14).