§ 12 BORA: Umgehungsverbot um Schutz der Gegenpartei

Der Anwalt darf die anwaltlich vertretene Gegenseite nicht direkt kontaktieren. Schreibt der Anwalt die Gegenseite unter Umgehung des Gegenanwalts an, verstößt er damit gegen § 12 BORA. Geschieht dies auf Bitte des eigenen Mandanten, ändert das nichts an dem Berufsrechtsverstoß. Es ist auch irrelevant, ob er die Kontaktaufnahme fahrlässig veranlasst hat. Das Umgehungsverbot ist verfassungskonform.  

Das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA untersagt es einem Rechtsanwalt, sich in einem Rechtsstreit an einen Beteiligten zu wenden, wenn dieser anderweitig anwaltlich vertreten ist. Es geht so weit, dass der Anwalt auch auf entsprechende Alleingänge seiner Partei achten muss.

§ 12 BORA: anwaltliches Umgehungsverbot zum Schutz der Gegenpartei

Das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts aus § 12 BORA soll die jeweilige Gegenpartei davor schützen, unter Umdribbeln ihres Rechtsbeistandes beeinflusst zu werden oder ohne seinen Rat Willenserklärungen abzugeben.

Eine Kanzlei, die von einem Ehepaar mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen bezüglich eines Mietverhältnisses beauftragt worden war, kam in Konflikt mit dieser Vorgabe.

Zustellung an direkt Gegenpartei: Anwalt verstößt gegen Berufsrecht

Im Laufe des Rechtsstreits kam es zu einem Beratungstermins der Eheleute in der Kanzlei. Daraufhin wurde auf im Detail ungeklärte Weise von dort aus ein Schreiben direkt an die Vermieterin geschickt.

  • Auf diesem Schreiben war im Betreff eine Anwältin als Sachbearbeiterin aufgeführt, die das Schreiben auch unterzeichnete. 
  • Auch von einem weiteren Anwalt war das Schreiben unterzeichnet – allerdings war für dessen Unterschrift ein Faksimile-Stempel verwendet worden.

Die zuständige Rechtsanwaltskammer  erteilte dem Anwalt einen belehrenden Hinweis wegen eines Verstoßes gegen § 12 BORA. 

§ 12 BORA verbietet direktes Kontaktieren des gegenerischen Mandanten

Zu Recht, wie der Anwaltsgerichtshof Sachsen befand. Nach§ 12 BORA darf der Rechtsanwalt nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln. Der Gegner soll nicht überrumpelt werden. 

  • Dieses Verbot gilt nicht bei Gefahr im Verzuge.
  • Der Rechtsanwalt des anderen Beteiligten ist dann unverzüglich zu unterrichten;
  • von schriftlichen Mitteilungen ist ihm eine Abschrift unverzüglich zu übersenden.

Das alles hat die Kanzlei im vorliegenden Fall nicht getan. Das nahmen ihr die Richter aus Sachsen übel. Denn mit dem Umgehungsverbot soll der Gegner davor bewahrt werden, vom Gegenanwalt überraschend persönlich angesprochen oder in Unkenntnis der bestehenden Rechtslage ohne rechtliche Beratung durch seinen Anwalt zur Abgabe nachteiliger Erklärungen veranlasst zu werden.

Unkenntnis des Anwalts bei verstoß gegen  Umgehungsverbot irrelevant

Das Umgehungsverbot gilt selbst dann, wenn sich die Gegenpartei unter Ausschluss des eigenen Anwalts an die Gegenseite wendet. Dass der Anwalt im vorliegenden Fall vielleicht nichts davon wusste, dass das Schreiben an die Gegenseite rausgeschickt wurde, hielt das Gericht für irrelevant.

  • Denn die Gegenpartei habe aufgrund der Faksimile-Unterschrift nicht erkennen können, dass das Schreiben ohne oder gegen den Willen des Anwalts versendet wurde.
  • Auf eine rechtsgeschäftliche Erklärung im engeren Sinn sei es nicht angekommen. Darauf stelle auch § 12 BORA nicht ab, sondern nur auf die Umstände der Umgehung.

Das Gericht hielt deshalb den belehrenden Hinweis für angemessen und rechtmäßig (Anwaltsgerichtshof Sachsen, Urteil v. 27.2.2015, AGH 19/13).



Hintergrund: 

Der Vorwurf, gegen § 12 BORA verstoßen zu haben, ist ein häufig bei den Rechtsanwaltskammern angezeigter, berufsrechtlicher Verstoß.  Das Verbot den Gegenanwalt zu umgehen dient dabei vorrangig dem Schutz der Gegenpartei.

Durch das Verbot, ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Kontakt aufzunehmen oder zu verhandeln, wird der betroffene Rechtsanwalt in seiner Berufsausübung berührt, da er gezwungen wird, Gespräche und Verhandlungen stets mit dem Gegenanwalt zu führen, sofern der gegnerische Anwalt nicht seine Einwilligung zu einem abweichenden Verfahren gibt. Eine solche Regelung ist nur statthaft, soweit sie sich durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen lässt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.

Diese Anforderungen erfüllt § 12 Abs. 1 BORA. Das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts dient vor allem dem Schutz des anwaltlich vertretenen gegnerischen Mandanten und damit dem Gemeinwohlinteresse an der Funktionsfähigkeit einer geordneten Rechtspflege und an einem fairen Verfahren (BVerfG, Beschluss v. 12.07.2001, 1 BvR 2272/00).