BGH: Erkrankung einer anwaltlich vertretenen Partei

Der BGH hat sich in einer Leitsatzentscheidung mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen die Erkrankung einer anwaltlich vertretenen Partei ein Gericht zur Vertagung einer mündlichen Verhandlung zwingt.

Im konkreten Fall machte die Klägerin Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Darlehen geltend. Nachdem das erstinstanzlich zuständige LG die Klage abgewiesen hatte, erließ das OLG im Berufungsverfahren ein Versäumnisurteil, da für die Klägerin niemand erschienen war.

Zweites Versäumnisurteil nach Ablehnung des Vertagungsantrages

Auf den von der Klägerin eingelegten Einspruch hat das OLG erneut terminiert. Im Termin erschien lediglich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und beantragte Vertagung. Begründung: Der Geschäftsführer seiner Mandantin sei infolge eines Unfalls erkrankt und könne nicht an der Verhandlung teilnehmen. Das Gericht hat die Vertagung abgelehnt und – nachdem der Prozessbevollmächtigte keinen Sachantrag gestellt hat – den Einspruch der Klägerin durch ein zweites Versäumnisurteil verworfen.

Revision gegen das zweite Versäumnisurteil

Gegen das Verwerfungsurteil hat die Klägerin Revision beim BGH eingelegt. Der BGH hat zunächst darauf hingewiesen, dass Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil gemäß §§ 565 Satz 1, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ohne Zulassung und ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes grundsätzlich eingelegt werden kann (BGH, Urteil v. 2.12.2021, IX ZR 53/21).

Revision kann nur auf unverschuldete Säumnis gestützt werden

Allerdings fehlte es nach Auffassung des BGH an einer weiteren Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision gegen das zweite Versäumnisurteil. Statthaft sei die Revision in diesen Fällen gemäß §§ 565 Satz 1, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall einer schuldhaften Säumnis nicht vorgelegen habe. Die Revision sei also nur zulässig, wenn sie eine schlüssige Darlegung dazu enthalte, dass der Gerichtstermin nicht schuldhaft versäumt wurde. Andernfalls sei die Revision als unzulässig zu verwerfen (BGH, Urteil v. 5.7.2018, IX ZR 264/17).

Verhandlungsunfähigkeit muss substantiiert dargelegt werden

Im konkreten Fall hatte die Klägerin nach der Bewertung des BGH nicht schlüssig dargetan, dass sie den Einspruchstermin unverschuldet versäumt hätte. Der Senat stellte klar, dass eine bestehende Arbeitsunfähigkeit nicht mit Verhandlungsunfähigkeit gleichzusetzen ist. Auch bei bestehender Arbeitsunfähigkeit sei die Unfähigkeit der Partei, an einer Verhandlung teilzunehmen, zusätzlich substantiiert zu begründen. Daran fehle es im vorliegenden Fall.

Erfordernis der persönlichen Anwesenheit ist ebenfalls darzulegen

Daneben müsse schlüssig dargelegt werden, dass gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erfordern. Solche gewichtigen Gründe seien im konkreten Fall nicht ersichtlich. Die Klägerin werde von ihrem Prozessbevollmächtigten in dieser Sache bereits seit 5 Jahren vertreten. Der Bevollmächtigte sei also voll im Streitstoff. Gewichtige Gründe dafür, dass die Anwesenheit des Geschäftsführers im Termin – z. B. zur Aufklärung des Sachverhalts – unabdingbar gewesen sei, seien daher nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen.

Vorbereitungszeit von 2 Monaten ausreichend

Im Übrigen sei auch die Vorbereitungszeit von mehr als 2 Monaten zwischen Ladung und Verhandlung nicht unangemessen kurz gewesen, zumal zwischen dem ersten Versäumnisurteil und der Verhandlung über den Einspruch ein Zeitraum von fast 2 Jahren gelegen habe.

Vertagung von Vorinstanz zu Recht abgelehnt

Vor diesem Hintergrund war nach Auffassung des BGH auch die Ablehnung des Vertagungsantrages durch die Vorinstanz nicht zu beanstanden. Gemäß § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO könne ein Termin nur aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe in diesem Sinne lägen nur dann vor, wenn die Gewährleistung rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebot erforderten (BGH, Urteil v. 25.11.2008, VI ZR 317/07 und Urteil v. 24.1.2019, VII ZR 123/18). Solche erheblichen Gründe seien angesichts der anwaltlichen Vertretung der Klägerin nicht ersichtlich.

Revision als unzulässig verworfen

Im Ergebnis hat der BGH die Revision wegen fehlender Darlegung der Gründe für eine unverschuldete Versäumung des Einspruchstermins als unzulässig verworfen.

(BGH, Urteil v. 14.9.2023, IX ZR 219/22)

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