BMJ plant weitere Digitalisierungsschritte für die Justiz

Der vom BMJ im Oktober 2023 vorgelegte Refe­ren­ten­ent­wurf eines „Gesetzes für die weitere Digi­ta­li­sie­rung der Justiz“ wurde am 6.3.2024 von der Bundesregierung beschlossen. Einige zentrale Punkte der geplanten Digitalisierung von Strafverfahren (Revisionshauptverhandlung per Videokonferenz, Straf­an­träge per einfacher E-Mail)  stoßen zunehmend auf die Kritik der Anwaltschaft.    

Bun­des­jus­tiz­mi­nister Marco Busch­mann hält eine weitere Aus­wei­tung der bereits ein­ge­führten Digi­ta­li­sie­rung der Justiz für drin­gend erfor­der­lich. Nach dem bereits 2023 gefassten Beschluss der Bun­des­re­gie­rung zur Digi­ta­li­sie­rung der Kom­mu­ni­ka­tion von Anwältinnen und Anwälten sowie von Bür­ge­rinnen und Bürgern mit dem BVerfG sollen Ände­rungen ins­be­son­dere im Straf­ver­fah­rens­recht und bei diversen Schrift­form­er­for­der­nissen die Kom­mu­ni­ka­tion inner­halb der Justiz und die Kom­mu­ni­ka­tion der Justiz mit Rechts­su­chenden deut­lich ver­ein­fa­chen.

Redu­zie­rung der Schrift­form­er­for­der­nisse

In vielen Berei­chen der Justiz wird die digi­tale Kom­mu­ni­ka­tion zwi­schen Gerichten, Anwälten und Rechts­su­chenden durch diverse Schrift­form­er­for­der­nisse erschwert. Ist für bestimmte Erklä­rungen eine Schrift­form vor­ge­schrieben, so müssen die ent­spre­chenden Doku­mente in der Regel in ana­loger Form bei Gericht ein­ge­reicht werden. Dies soll sich ändern.

  • Doku­mente, für die die Schrift­form vor­ge­schrieben ist, sollen Anwälte künftig scannen und statt in Schrift­form in gescannter Form bei Gericht ein­rei­chen dürfen.
  • Daneben soll für Erklä­rungen, die ein Anwalt im Namen seines Man­danten inner­halb eines über das beA bei Gericht ein­ge­reichten Schrift­satzes gegen­über dem Gegner abgibt (z. B. eine Ver­trags­kün­di­gung) und die nach dem Gesetz der Schrift­form bedarf, die Erfül­lung des Schrift­form­er­for­der­nisses fin­giert werden.

Digi­tale Anwalts­rech­nungen

Für Anwälte beson­ders inter­es­sant ist die geplante neue Mög­lich­keit der digi­talen Rech­nungs­stel­lung. Die Rech­nungs­stel­lung soll künftig durch eine Ände­rung von § 10 RVG künftig nicht mehr der Schrift­form bedürfen, sondern in Text­form (also ohne Unter­schrift, z. B. per E-Mail) zulässig sein.

Option der hybriden Akten­füh­rung durch die Justiz

Begin­nend mit dem Jahr 2026 wird es nach der der­zei­tigen Geset­zes­lage auch für die Justiz mit der Digi­ta­li­sie­rung ernst. Sämt­liche neu ange­legten Akten müssen ab diesem Zeit­punkt elek­tro­nisch geführt werden. Der Gesetzentwurf beinhaltet inso­weit ent­gegen dem Digi­ta­li­sie­rungs­trend eine Ein­schrän­kung und erlaubt der Justiz eine soge­nannte Hybridak­ten­füh­rung. D. h.: Bereits vor­han­dene analoge Akten müssen nicht kom­plett gescannt, sondern dürfen als Papier­akten ergän­zend zur elek­tro­ni­schen Akte wei­ter­ge­führt werden. Grund: Der Digi­ta­li­sie­rungs­termin 2026 dürfte infolge des erheblichen Aufwandes sonst wohl nicht zu halten sein.

Revi­si­ons­ver­hand­lung in Straf­sa­chen per Video­kon­fe­renz

Das Bundesjustizministerium plant eine Ausweitung der Option der Führung der gerichtlichen Revisionshauptverhandlung in Strafsachen per Videokonferenz. Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Angeklagte sollen in Revisionsverfahren durch die Neuregelung des § 350 StPO-E künftig die Möglichkeit erhalten – ähnlich der für den Zivilprozess für die Beteiligten bereits geltenden Regelung –, einen Antrag auf Teil­nahme an der Revi­si­onshaupt­ver­hand­lung per Video­kon­fe­renz zu stellen.

Video­kon­fe­renz inzwi­schen bei Gericht erprobt

Das BMJ begründet die geplante Ände­rung damit, dass – anders als in der Tat­sa­chen­in­stanz – in der Revi­si­ons­in­stanz auch in Straf­sa­chen kein zwin­gender Grund für eine kör­per­liche Anwe­sen­heit der Betei­ligten bestehe, da es dort allein um die rich­tige Anwen­dung des Rechts gehe und die Richter sich nicht zwin­gend einen per­sön­li­chen Ein­druck von den betei­ligten Per­sonen machen müssten. In einer Rede im Bun­destag hat Bun­des­jus­tiz­mi­nister Marco Busch­mann kürz­lich darauf hin­ge­wiesen, dass während der Zeit der Corona-Pan­demie in Deutsch­land ca. 50.000 Gerichts­ver­hand­lungen per Video­kon­fe­renz statt­ge­funden hätten. Dies zeige, wie gut die Technik funk­tio­niere und dass die Gerichte – abge­sehen von klei­neren Pro­blemen – mit der Technik inzwi­schen ver­traut seien. Eine Aus­wei­tung auf die Revi­si­ons­ver­hand­lung im Straf­pro­zess hält der Minister für unbe­denk­lich.

Rücknahme von Berufung und Revision zwingend digital

In Abänderung des ursprünglichen Referentenentwurfs soll gemäß § 32d StPO-E künftig für die Rücknahme einer Berufung oder Revision in Strafverfahren zwingend der elektronische Weg erforderlich sein.

Digi­tale Straf­an­zeige und Straf­an­trag

Eine weitere wesentliche Neuerung betrifft eben­falls den Straf­pro­zess. Das Schrift­form­er­for­dernis für Straf­an­träge soll ent­fallen. Straf­an­zeigen und Straf­an­träge sollen gemäß neuem § 158 StPO-E künftig per E-Mail gestellt werden können. Hierzu sollen als Vorlage For­mu­lare online gestellt werden. Diese sollen vom Antrag­steller unter Nach­weis seiner Iden­tität online aus­ge­füllt und ein­ge­reicht werden können. Eine Unter­schrift oder eine elek­tro­ni­sche Signatur sind nicht erfor­der­lich. Die ein­fache Straf­an­zeige soll sogar elek­tro­nisch formlos gestellt werden können. Letz­teres haben alle Bun­des­länder aller­dings bereits ohnehin ein­ge­führt und Inter­net­wa­chen ein­ge­richtet, bei denen Straf­an­zeigen pro­blemlos per Smart­phone ein­ge­reicht werden können.

Neben Zustim­mung scharfe Kritik aus der Anwaltschaft

Seitens der Anwalt­schaft wird die geplante Reform nur in Teilen begrüßt. Scharfe Kritik kommt aus der Anwaltschaft vor allem an einigen der geplanten strafprozessualen Änderungen.

Kritik der BRAK an Revisionsvideohauptverhandlung

So kritisiert die BRAK in ihrer Stellungnahme die Neuregelung der Revisionshauptverhandlung in Strafsachen gemäß geändertem § 350 StPO-E. Die BRAK begrüßt zwar den neu eingeführten Anspruch eines inhaftierten Angeklagten, auf Antrag an der Revisionshauptverhandlung mittels Videotechnik teilzunehmen, wenn das Gericht von einer Vorführung absieht. Jedoch übt die BRAK scharfe Kritik an der vorgesehenen Option für Staatsanwaltschaft und Verteidiger, an dem Revisionshauptverhandlungstermin per Videokonferenz teilzunehmen, § 350 Abs. 3 StPO-E. Die Kammer weist darauf hin, dass die Revisionshauptverhandlung vom unmittelbaren Austausch von Rede und Gegenrede lebt, die durch die Videotechnik deutlich erschwert werde. Die Kammer befürchtet eine Aushöhlung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und hierdurch eine deutlich reduzierte Qualität der Revisionshauptverhandlung.

Strafantrag per E-Mail ist abzulehnen

Auch die Neuregelung des § 158 StPO wird kritisiert. Es sei nicht nachvollziehbar, wie bei der Stellung eines Strafantrages per einfacher E-Mail die Identität der antragstellenden Person sichergestellt werden könne. Die Versendung von E-Mails über Fake-Accounts gehöre inzwischen zum Alltag, sodass eine sichere Identifizierung des Antragstellers nicht gewährleistet werden könne. Im Hinblick auf die Bedeutung und Tragweite des Strafantrages als Verfahrensvoraussetzung für die Eröffnung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bedürfe es auch in Zukunft einer rechtssicheren Dokumentation von Herkunft, Inhalt und Authentizität eines Strafantrages.

Weitere Kritikpunkte

Weitere Kritikpunkte der BRAK betreffen die Absenkung der Anforderungen an die Schriftform gemäß §§ 81f, 81g, 81h StPO-E sowie die nach § 114b Abs.1 StPO-E vorgesehene schriftliche Bestätigung des Erhalts der erforderlichen Belehrungen über die Beschuldigtenrechte bzw. deren Dokumentation durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen in Gegenwart des Beschuldigten. Inwieweit die von der BRAK vorgebrachten Kritikpunkte im weiteren Gesetzgebungsverfahren bei der Beratung in Bundesrat und Bundestag noch Berücksichtigung finden werden, bleibt abzuwarten.