BGH zur Darlegungslast bei unverschuldeter Säumnis

Ist ein Verfahrensbevollmächtigter durch kurzfristig eingetretene Umstände an der Wahrnehmung eines Gerichtstermins verhindert, so hat er alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um das Gericht unverzüglich zu unterrichten.

In einer kürzlich bekannt gewordenen Entscheidung hat sich der BGH dezidiert mit den Anforderungen befasst, unter denen ein Versäumnisurteil bzw. ein Versäumnisbeschluss wegen unverschuldeter Säumnis gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Berufung bzw. mit der Beschwerde angefochten werden kann.

Zweifache Säumnis der Antragsgegnerin

Dem vom BGH entschiedenen Fall lag ein familiengerichtliches Verfahren zugrunde, in welchem der Antragsteller gegen seine getrenntlebende Ehefrau einen Zahlungsanspruch in Höhe von 44.000 EUR geltend machte. Zu dem im April 2022 anberaumten Termin erschien für die Antragsgegnerin niemand, sodass ein dem Antrag stattgegebener Versäumnisbeschluss erging. Auf den rechtzeitig eingelegten Einspruch wurde ein neuer Termin bestimmt. Auch dort erschien für die Antragsgegnerin niemand, sodass ein 2. Versäumnisbeschluss erging.

Beschwerde gegen 2. Versäumnisbeschluss

Gegen den 2. Versäumnisbeschluss legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Zur Begründung führte sie aus, dass ihre Berliner Verfahrensbevollmächtigte den angesetzten 2. Termin in Frankfurt/Oder persönlich wahrnehmen wollte. Sie sei rechtzeitig mit ihrem Fahrzeug in Berlin losgefahren. Während der Fahrt habe sie unerwartet und plötzlich schubweise schwere Krampfzustände verbunden mit Brechreiz und Durchfall bekommen. Trotz mehrfacher Versuche sei es weder ihr noch ihrer Kanzleimitarbeiterin gelungen, das Amtsgericht rechtzeitig vor dem auf 10:00 Uhr angesetzten Termin telefonisch zu erreichen und darüber zu informieren, dass ihr die rechtzeitige Teilnahme am Termin nicht möglich sein würde. Erst gegen Mittag habe die Bevollmächtigte ihre Fahrt fortsetzen können und sich direkt in ärztliche Behandlung begeben müssen.

Beschwerde als unzulässig verworfen

Das OLG verwarf die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den 2. Versäumnisbeschluss als unzulässig. Die Antragsgegnerin habe nicht schlüssig dargelegt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte kein Verschulden an der Säumnis treffe. Der hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde blieb der Erfolg beim BGH versagt.

Verschuldensgrundsätze wie bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Der BGH stützte seine ablehnende Entscheidung auf § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG in Verbindung mit § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Danach ist die Beschwerde gegen einen 2. Versäumnisbeschluss statthaft, wenn sie darauf gestützt wird, dass die Säumnis unverschuldet war. Laut BGH ist die Verschuldensfrage nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für die Beurteilung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten.

Unverschuldete Säumnis ist detailliert darzulegen

Wie bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nach dem Diktum des Senats hohe Anforderungen an die dezidierte Darlegung des mangelnden Verschuldens zu stellen. Sei die unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, sei die Beschwerde unzulässig (BGH, Beschluss v. 11.11.2015, XII ZB 407/12). Dabei sei der Sachverhalt innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist so vollständig und schlüssig vorzutragen, dass der Vortrag einen Rückschluss auf das fehlende Verschulden erlaubt. Hierbei dürften allerdings die Anforderungen mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz auch nicht unangemessen überspannt werden (BGH, Beschluss v. 23.6.2022, VII ZB 58/21).

Beschwerde zurecht als unzulässig verworfen

Nach Auffassung des BGH genügte die Begründung der abschlägigen Entscheidung des Beschwerdegerichts diesen Anforderungen. Zwar sei zugunsten der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu unterstellen, dass diese krankheitsbedingt zu dem festgesetzten Einspruchstermin vor dem Amtsgericht nicht erscheinen konnte. Dieser Umstand begründe aber noch keine unverschuldete Säumnis. Vielmehr müsse eine Verfahrensbevollmächtigte in einer solchen Situation alles ihr Mögliche und Zumutbare tun, um dem Gericht rechtzeitig ihre Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen (BGH, Urteil v. 25.11.2008, VI ZR 317/07).

Detaillierte Darlegung der Unterrichtungsversuche erforderlich

Die Darlegungen der Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung waren nach Auffassung des BGH nicht schlüssig. So habe die Bevollmächtigte keine konkreten Angaben zum Ablauf der Fahrt, zu den genauen Zeitpunkten ihrer jeweiligen Bemühungen um eine Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht – ab 9.00 Uhr oder erst kurz vor 10.00 Uhr? - gemacht. Es fehle die Darlegung, ob die Anwältin versucht habe, die Richterin selbst und/oder die Geschäftsstelle und/oder die Telefonzentrale des Amtsgerichts zu erreichen. Die Behauptung mehrerer erfolgloser Kontaktversuche vor dem auf 10:00 Uhr angesetzten Termin sei so pauschal und ungenau, dass hiernach keine gerichtliche Überprüfung möglich sei, ob die Bevollmächtigte tatsächlich alles in ihrer Macht Stehende getan habe.

Keine substantiierte Darlegung der an die Kanzleimitarbeiterin erteilten Weisung

Das Gleiche gilt nach der Entscheidung des Senats für die angeblichen Bemühungen der Kanzleimitarbeiterin. Nach Auffassung des BGH hätte die Bevollmächtigte ihre Kanzleimitarbeiterin anweisen müssen, sämtliche zur Verfügung stehenden Telefonnummern des AG einschließlich Geschäftsstelle und Zentrale anzurufen, um das Nichterscheinen rechtzeitig mitzuteilen. Die zum Teil erst nach der Terminstunde unternommenen Bemühungen der Kanzleimitarbeiterin seien verspätet erfolgt und für die Entscheidung nicht erheblich (BGH, Urteil v. 3.11.2005, I ZR 53/05).

Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen

Damit lag nach Auffassung des Senats im Ergebnis keine hinreichend substantiierte Begründung einer unverschuldeten Säumnis vor. Die Rechtsbeschwerde war daher ebenso wie zuvor die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(BGH, Beschluss v. 24.1.2024, XII ZB 171/23)

Weitere Beiträge:

OLG Hamm: „Zustellzertifikat“ ist kein Ersatz für gerichtliche Eingangsbestätigung

BGH: Für die Fristwahrung ist ausschließlich Eingang bei Gericht entscheidend

BGH: Neuester Stand des beA durch Updates ist Pflicht