Verzinsung von Kostenerstattungsansprüchen
Der BGH hat im Fall einer Klage auf Verzinsung eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Erstattung für verauslagte Gerichtskosten entschieden, dass ein solcher Anspruch die Durchsetzbarkeit des materiellrechtlichen Erstattungsanspruchs voraussetzt.
Dualität von materiellrechtlichem und prozessualem Kostenerstattungsanspruch
Die Entscheidung des BGH befasst sich mit der Problematik, ob ein Anspruch auf Verzinsung verauslagter Gerichtskostenvorschüsse gemäß §§ 286, 288 BGB grundsätzlich möglich ist. Einem solchen materiellrechtlichen Verzinsungsanspruch könnte § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO als lex specialis entgegenstehen. Nach dieser Vorschrift ist im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens auszusprechen, dass die festgesetzten Kosten vom Eingang des Festsetzungsantrags an mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszins nach § 247 BGB zu verzinsen sind.
Verzinsung materiellrechtlicher Kostenerstattungsansprüche bisher ungeklärt
Ob darüber hinaus ein Anspruch auf Verzinsung gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB für den Zeitraum vor Eingang eines Kostenfestsetzungsantrags in Betracht kommt, ist in der Rechtsprechung äußerst umstritten. Einige Oberlandesgerichte lehnen einen solchen Anspruch im Hinblick auf die Spezialvorschrift des § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO grundsätzlich ab (OLG München, Urteil v. 30.11.2016, 7 U 2038/16; OLG Brandenburg, Urteil v. 6.2.2013, 76/12). Der BGH hat diese Frage in mehreren Entscheidungen bisher ausdrücklich offengelassen (BGH, Urteil v. 9.5.2017, XI ZR 314/15).
Keine Verzinsung wenn Kostenerstattungsanspruch nicht durchsetzbar ist
In seiner aktuellen Entscheidung hat der BGH die Frage teilweise entschieden. Danach kommt ein Anspruch auf Verzinsung eines materiellrechtlichen Erstattungsanspruchs für verauslagte Gerichtskosten gemäß § 286 Abs. 1,288 Abs. 1 BGB jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der materiellrechtliche Erstattungsanspruch wegen des Vorrangs des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nicht durchgesetzt werden kann.
Vorrang des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs
In seiner Entscheidung betont der BGH, dass der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch im Grundsatz selbstständig neben dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch besteht. Allerdings sei die Möglichkeit der Geltendmachung des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs in Bezug auf sogenannte reine Prozesskosten im Hinblick auf den diesbezüglichen Vorrang des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs während eines laufenden Zivilprozesses und auch im Nachgang zu diesem eingeschränkt und schließe insoweit den Verzug als Voraussetzung einer Verzinsung des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs nach §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB aus.
Grundsätzliche Unterschiede der Kostenerstattungsansprüche
Der Senat beschäftigte sich in seiner Entscheidung ausführlich mit der Natur sowohl des prozessualen als auch des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs. Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch folge ausschließlich aus dem Prozessrecht,
- knüpfe verschuldensunabhängig an die Veranlassung der Kosten an,
- werde erst mit Rechtskraft des Kostenausspruchs zu einem unbedingten Anspruch und
- werde mit Erlass der vorläufigen Vollstreckbarkeitsentscheidung fällig (BGH, Beschluss v. 30.5.2006, VI ZB 64/05).
- § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO sehe in diesem Fall eine Verzinsung ab dem Eingang des Festsetzungsantrags vor.
Demgegenüber folge der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch ausschließlich aus materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen, unter anderem als Anspruch auf Schadenersatz. Seine Durchsetzung sei in der Regel nur im Rahmen eines Klageverfahrens möglich.
Materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch ist eingeschränkt
Der BGH wies darauf hin, dass viele der mit der Konkurrenz der beiden Kostenerstattungsansprüche verbundene Rechtsfragen bis heute nicht abschließend geklärt seien.
- Geklärt sei, dass die prozessuale Kostenregelung nicht erschöpfend ist und daneben Raum für die Durchsetzung materiellrechtlicher Ansprüche auf Kostenerstattung verbleiben.
- Geklärt sei auch, dass die Durchsetzung eines materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs dann eingeschränkt ist, wenn dieser mit den Kosten identisch ist, die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können (BGH, Urteil v. 22.10.2020, VII ZR 10/17).
- Für eine Klage auf materielle Kostenerstattung fehle in einem solchen Fall das Rechtsschutzinteresse, da das Kostenfestsetzungsverfahren regelmäßig weniger aufwendig ist.
Verzug setzt Durchsetzbarkeit der Forderung voraus
Im Ergebnis besteht nach Auffassung des BGH somit ein Vorrang des prozessualen Kostenrechts, das einen vereinfachten Ausgleich der durch einen Prozess verursachten Kosten ermöglicht. Aus diesem Vorrangverhältnis folge, dass im Umfang der Beschränkung des materiellrechtlichen Kostenanspruchs ein Verzug gemäß § 286 Abs. 1 BGB ausscheide, weil dieser Anspruch während eines laufenden Prozesses und im Nachgang dazu infolge des Vorrangs des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nicht erfolgreich durchgesetzt werden könne. Verzug setze neben der Fälligkeit einer Forderung nämlich auch deren Durchsetzbarkeit voraus.
Klage auf Verzinsung abgewiesen
Im konkreten Fall hat der BGH den Antrag auf Verzinsung der verauslagten Gerichtskostenvorschüsse im Hinblick auf die Identität des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs mit dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch und die infolgedessen nicht gegebene Durchsetzbarkeit des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs abgewiesen.
(BGH, Urteil v. 24.4.2023, VIII ZR 125/21)
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