Leitsatz (amtlich)

Eine Verzinsung eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs für verauslagte Gerichtskostenvorschüsse gemäß § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, soweit dieser materiell-rechtliche Erstattungsanspruch wegen des Vorrangs des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nicht durchgesetzt werden kann.

 

Normenkette

BGB § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1; ZPO § 104 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Münster (Entscheidung vom 30.03.2021; Aktenzeichen 1 S 65/19)

AG Münster (Entscheidung vom 12.04.2019; Aktenzeichen 59 C 3503/17)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 30. März 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf pauschale Verzinsung eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs für verauslagte Gerichtskostenvorschüsse.

Rz. 2

Der Kläger ist Mieter einer Wohnung des Beklagten in Münster. Er hat gegen den Beklagten im Wege der Klage verschiedene Zahlungs- und Feststellungsanträge geltend gemacht. Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung hat er erstinstanzlich insbesondere begehrt festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, auf die vom Kläger verauslagten Gerichtskosten in Höhe von 32 € ab dem 2. Juni 2017, auf weitere 73 € ab dem 18. Dezember 2017 und auf weitere 54 € ab dem 1. August 2018 an den Kläger Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.

Rz. 3

Der Kläger hat geltend gemacht, er habe am 2. Juni 2017 einen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 32 € und am 18. Dezember 2017 einen weiteren Vorschuss in Höhe von 73 € eingezahlt. Mit Telefax vom 26. Juli 2018 habe er den Beklagten aufgefordert, ihm geleistete Gerichtskostenvorschüsse in Höhe von insgesamt 159 € bis zum 1. August 2018 zu erstatten. Der Beklagte befinde sich seit der Widerspruchseinlegung in dem der Klage vorangegangenen Mahnverfahren beziehungsweise seit der aktenkundigen Ankündigung des Klageabweisungsantrags, spätestens aber ab dem 2. August 2018 in Verzug.

Rz. 4

Das Amtsgericht hat den hier in Rede stehenden auf die Verzinsungspflicht der Gerichtskostenvorschüsse gerichteten Feststellungsantrag mit seinem am 12. April 2019 verkündeten Urteil abgewiesen.

Rz. 5

Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Feststellungsantrag hinsichtlich der Verzinsungspflicht der Gerichtskostenvorschüsse primär in einen Zahlungsantrag geändert und zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 32 € vom 2. Juni 2017 bis zum 30. März 2021, aus weiteren 73 € vom 18. Dezember 2017 bis zum 30. März 2021 sowie aus weiteren 54 € vom 1. August 2018 bis zum 30. März 2021 nach Maßgabe der Kostenquote des Tenors des Urteils zu zahlen.

Rz. 7

Hilfsweise hat er den Antrag ohne die Formulierung "nach Maßgabe der Kostenquote des Tenors des Urteils" gestellt.

Weiterhin hilfsweise hat der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die vom Kläger verauslagten Gerichtskosten in Höhe von 32 € ab dem 2. Juni 2017, in Höhe von weiteren 73 € ab dem 18. Dezember 2017 sowie in Höhe von weiteren 54 € ab dem 1. August 2018 Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.

Rz. 10

Die Berufung des Klägers ist vor dem Landgericht insoweit ohne Erfolg geblieben.

Rz. 11

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge zur Verzinsung der Gerichtskostenvorschüsse aus der Berufungsinstanz weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 12

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Rz. 13

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 14

In Rechtsprechung und Literatur werde überwiegend die Ansicht vertreten, dass die Erstattung reiner Prozesskosten grundsätzlich nur im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens nach Maßgabe der prozessrechtlichen Kostenerstattungsregelungen erfolgen könne. Ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch, welchen der Kläger vorliegend geltend mache, komme daneben regelmäßig nicht in Betracht. Zum einen werde dem Anliegen einer Partei, in einen Prozess investierte Geldbeträge verzinst zu bekommen, durch § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO ausreichend Rechnung getragen. Dies gelte vor allem im Hinblick darauf, dass die Verzinsung unabhängig von sonstigen Voraussetzungen des Schuldnerverzugs erfolge. Zum anderen sprächen prozesswirtschaftliche Gründe für einen Ausschließlichkeitscharakter der Verzinsungsregelung in § 104 ZPO. Wollte man nämlich einen materiell-rechtlichen Anspruch nach § 288 BGB neben der Verzinsung nach § 104 ZPO anerkennen, so würde dies dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnen, die Forderung selbständig gerichtlich geltend zu machen. Dies würde dazu führen, dass unter Umständen ein anderes Gericht über die Wirksamkeit der Forderung unabhängig vom ursprünglichen Verfahren und dessen Ausgang befinden und dabei gleichzeitig inzidenter die im ursprünglichen Verfahren maßgebliche Rechtslage überprüfen müsste. Eine solche Situation könne unabhängig von der Frage der Rechtskraft und der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen schon unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit nicht gewollt sein.

Rz. 15

Insoweit könne der Kläger auch mit den von ihm gestellten Hilfsanträgen nicht durchdringen. Der Feststellungsantrag sei mangels Feststellungsinteresses ohnehin unzulässig. Da eine Bezifferung des Anspruchs möglich gewesen sei, habe der Kläger einen Leistungsantrag stellen können, der sich gemäß § 258 ZPO auch auf künftig fällig werdende Zahlungen hätte erstrecken können; der Endtermin der beantragten Verzinsung sei jedenfalls bestimmbar gewesen.

II.

Rz. 16

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

Rz. 17

Das Berufungsgericht hat zwar übersehen, dass der vom Kläger primär gestellte Zahlungsantrag schon mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig ist, weil er auf die gerichtliche Kostenquote Bezug nimmt. Es hat allerdings im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf pauschale Verzinsung eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs für verauslagte Gerichtskostenvorschüsse verneint. Zutreffend hat das Berufungsgericht den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag als unzulässig angesehen.

Rz. 18

1. Das Berufungsgericht hat nicht bedacht, dass der in der Berufungsinstanz primär gestellte Zahlungsantrag des Klägers nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und damit unzulässig ist, weil der Kläger mit der vermeidbar ungenauen Formulierung "nach Maßgabe der Kostenquote des Tenors des Urteils" das Risiko eines Unterliegens auf den Beklagten abgewälzt hat (so zu Recht Arz/Gemmer, NJW 2019, 263, 266 gegen die ausdrücklichen Formulierungsvorschläge von Enders, JurBüro 2015, 225; Lüttringhaus, NJW 2014, 3745, 3748; Saenger/Uphoff, MDR 2014, 192, 197; keine prozessrechtlichen Bedenken sehend OLG Brandenburg, Urteil vom 4. Juli 2012 - 7 U 204/11, jurisRn. 27; vgl. auch BGH, Urteile vom 20. Januar 2011 - I ZR 28/09, NJW 2011, 2972; vom 7. April 2011 - I ZR 34/09, NJW 2011, 2787). Die nicht hinreichende Bestimmtheit des Klageantrags ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten, auch wenn - wie hier - nur der Kläger die Revision führt (Senatsurteil vom 27. November 2019 - VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208 Rn. 29 mwN, insoweit in BGHZ 224, 89 nicht abgedruckt).

Rz. 19

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift einen bestimmten Antrag enthalten. Hinreichend bestimmt ist ein Klageantrag grundsätzlich, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko des Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (BGH, Urteile vom 22. Januar 2021 - V ZR 12/19, NJW-RR 2021, 401 Rn. 9; vom 13. Oktober 2015 - VI ZR 271/14, BGHZ 207, 163 Rn. 19; vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, BGHZ 230, 296 Rn. 19 mwN).

Rz. 20

Bei Zinsansprüchen sind insoweit der Kapitalbetrag, der Zinssatz (wobei der Verweis auf den Basiszinssatz als variable Größe ausreicht), der Beginn und gegebenenfalls das Ende des Zinszeitraums anzugeben (Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 5. Aufl., § 253 Rn. 143 mwN; BeckOK-ZPO/Bacher, Stand: 1. Dezember 2022, § 253 Rn. 67). Zwar genügt der in der Berufungsinstanz gestellte Hauptantrag des Klägers diesen Anforderungen. Er nimmt allerdings Bezug auf die "Kostenquote des Tenors des Urteils" und bewirkt hierdurch eine vermeidbare Ungenauigkeit, mittels derer sich der Kläger von dem Risiko des Teilunterliegens entlasten will. Dies ist unzulässig.

Rz. 21

Zwar ist die Höhe des als Gerichtskostenvorschuss verauslagten Betrags, auf den gegebenenfalls Zinsen verlangt werden könnten, von dem Erfolg der Klage, der auch in der zugunsten des Klägers ausgesprochenen Kostenquote Niederschlag findet, abhängig. Sofern der Kläger hinsichtlich seiner Hauptforderung teilweise unterliegt und damit nur einen anteiligen Anspruch auf Erstattung der Gerichtskostenvorschüsse hat, schlägt dies grundsätzlich auch auf eine etwaige Zinsforderung durch. Das Risiko des Teilunterliegens ist jedoch - insbesondere kostenrechtlich - vom Kläger zu tragen. Dem Risiko, mit seinen Anträgen im Prozess ganz oder teilweise mit entsprechender Kostenlast zu unterliegen, kann er nicht dadurch entgehen, dass er einen unbestimmten Antrag stellt (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 1972 - VIII ZR 143/71, WM 1973, 464 unter II 2 b). Insbesondere kann - sofern nicht die Bestimmung des vom Beklagten geschuldeten Betrags von einer gerichtlichen Schätzung oder vom billigen Ermessen des Gerichts abhängt (vgl. hierzu nur BGH, Urteile vom 1. Februar 1966 - VI ZR 193/64, BGHZ 45, 91, 92 f.; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 350 mwN; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 253 Rn. 45 ff.) - ein Antrag nicht von vornherein auf das Ergebnis der richterlichen Entscheidungsfindung beschränkt geltend gemacht werden. Dies jedoch versucht der Kläger, indem er den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Verzinsung des verauslagten Gerichtskostenvorschusses mit der im Urteil austenorierten Kostenquote verknüpft. Der Kläger gibt damit nicht etwa von vornherein zu erkennen, dass er nur einen von ihm selbst definierten Anteil der ihm in der Höhe bekannten Zinsforderung geltend macht, sondern begehrt im Ansatz eine Verzinsung in voller Höhe mit der grundsätzlichen Bereitschaft, hierbei Abschläge hinzunehmen, wenn sich als Ergebnis der richterlichen Entscheidungsfindung herausstellen sollte, dass der Anspruch auf Kostenerstattung nur teilweise besteht. Hierbei handelt es sich allein um das jedem Prozess innewohnende Risiko eines Teilverlusts, das der Kläger kostenrechtlich (vgl. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu tragen hat. Dies führt nicht dazu, dass dem Kläger eine genaue Festlegung der Forderung nicht möglich oder nicht zumutbar wäre.

Rz. 22

b) Der Umstand, dass das Berufungsgericht damit den primär gestellten Zahlungsantrag des Klägers nicht als unbegründet, sondern nur als unzulässig hätte abweisen dürfen, verhilft der Revision jedoch vorliegend trotz unterschiedlicher Rechtskraftwirkungen von Prozessurteilen und Sachentscheidungen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2007 - XII ZB 134/03, NJW-RR 2007, 578 Rn. 12 f.) nicht zum Erfolg, da der Kläger mit seinem hilfsweise gestellten Zahlungsantrag den primär gestellten Zahlungsantrag ohne die beanstandete Formulierung wiederholt und das Berufungsgericht diesen zu Recht als unbegründet abgewiesen hat.

Rz. 23

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Verzinsung eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs für verauslagte Gerichtskostenvorschüsse gemäß § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB für den geltend gemachten Zeitraum verneint.

Rz. 24

a) Ob - wie regelmäßig der Fall (siehe hierzu nachfolgend unter II 2 b bb (2) (b)) - das Rechtsschutzinteresse für die Geltendmachung eines derartigen materiell-rechtlichen Anspruchs vorliegend bereits deshalb teilweise fehlt, weil der in der Sache unstreitige prozessuale Kostenerstattungsanspruch des Klägers gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 ZPO ab Eingang des Festsetzungsantrags bei dem nach § 103 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuständigen Amtsgericht mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen wäre, kann hier nicht abschließend entschieden werden. Denn Feststellungen dazu, ob und gegebenenfalls wann der Kläger einen Kostenfestsetzungsantrag eingereicht hat, hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

Rz. 25

Eine weitere Sachaufklärung zu diesem Punkt ist im vorliegenden Fall jedoch ausnahmsweise entbehrlich. Zwar darf grundsätzlich in die Sachprüfung erst eingetreten werden, wenn feststeht, dass die Prozessvoraussetzungen gegeben sind. Das Rechtsschutzinteresse hat als Prozessvoraussetzung gerade die Funktion zu verhindern, dass Gegner und Gericht ohne ausreichendes Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz durch ein Verfahren belastet werden. Dem würde es widersprechen, wenn die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses als Zulässigkeitsvoraussetzung auch dann gefordert würde, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Unbegründetheit des Antrags bereits feststeht (BGH, Urteil vom 26. September 1995 - KVR 25/94, BGHZ 130, 390, 399 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. März 1978 - VI ZR 68/76, NJW 1978, 2031 unter II 2 b mwN; zur Feststellungsklage BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 - XI ZR 225/08, BGHZ 183, 60 Rn. 12 mwN; Stein/Jonas/Roth, aaO, vor § 253 Rn. 162; MünchKommZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl., vor § 253 Rn. 19; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., vor §§ 253 ff. Rn. 10).

Rz. 26

b) Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs für verauslagte Gerichtskostenvorschüsse aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB besteht im vorliegenden Fall nicht. Denn jedenfalls mangels Durchsetzbarkeit eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs ist hinsichtlich dieser Forderung kein Verzug eingetreten, sodass Verzugszinsen schon aus diesem Grund nicht geltend gemacht werden können. Ob der Kläger vom Beklagten hier tatsächlich eine Erstattung der Prozesskosten auf materiell-rechtlicher Grundlage beanspruchen könnte, kann deshalb dahingestellt bleiben.

Rz. 27

aa) Ob eine Partei von ihr verauslagte Gerichtskostenvorschüsse ohne Darlegung eines konkreten (Verzugs-)Schadens bereits vor dem von § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfassten Zeitraum im Rahmen eines - etwa bestehenden - materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs verzinst verlangen kann, ist in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten. Mit unterschiedlichen Begründungsansätzen wird ein solcher Anspruch teilweise von vornherein abgelehnt (OLG München, NJW-RR 2017, 437 Rn. 20 ff.; OLG Karlsruhe, NJW 2013, 473, 474 f.; OLG Brandenburg [7. Zivilsenat], Urteile vom 6. Februar 2013 - 7 U 6/12, juris Rn. 39; vom 4. Juli 2012 - 7 U 204/11, juris Rn. 27 ff.; OLG Jena [7. Zivilsenat], Urteil vom 25. September 2013 - 7 U 180/13, juris Rn. 11 ff.; KG, Urteil vom 22. September 2011 - 23 U 178/09, juris Rn. 32; LG Saarbrücken, Urteil vom 29. Juli 2013 - 13 S 41/13, juris Rn. 1 ff.; Uhl, NJ 2017, 101 ff.; Saenger/Uphoff, MDR 2014, 192 ff.), teils hingegen für grundsätzlich möglich gehalten (OLG Frankfurt am Main, NJW 2018, 79 Rn. 63 ff.; NJW-RR 2012, 791, 794; Urteil vom 31. August 2006 - 6 U 174/05, juris Rn. 32; OLG Düsseldorf, Urteile vom 29. Januar 2015 - I-15 U 22/14, juris Rn. 204 ff.; vom 18. Juli 2007 - VI-2 U (Kart) 12/05, juris Rn. 69 f. und VI-2 U (Kart) 11/05, juris Rn. 82 f.; OLG Hamm, Urteil vom 16. Dezember 2011 - 19 U 154/10, juris Rn. 90; OLG Hamburg, GRUR-RR 2005, 131, 137; Urteil vom 25. März 2004 - 3 U 184/03, juris Rn. 103; OLG Brandenburg [12. Zivilsenat], NJW-RR 2013, 23, 25; OLG Bremen, Urteil vom 25. Juni 2010 - 3 U 60/09, juris Rn. 47; OLG Schleswig, Urteil vom 26. März 2013 - 2 U 7/12, juris Rn. 195 ff.; OLG Naumburg, Urteil vom 24. August 1999 - 13 U 87/98, BeckRS 2012, 11444 unter II; OLG Jena [1. Zivilsenat], NJW-RR 2017, 214 Rn. 56; Arz/Gemmer, NJW 2019, 263 ff.; Jerger/Zehentbauer, NJW 2016, 1353 ff.; Lüttringhaus, NJW 2014, 3745 ff.; Gödicke, JurBüro 2001, 512 ff.; Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearb. 2019, § 288 Rn. 7; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 288 Rn. 6).

Rz. 28

Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang offengelassen (BGH, Urteile vom 20. Januar 2011 - I ZR 28/09, NJW 2011, 2972 Rn. 26; vom 7. April 2011 - I ZR 34/09, NJW 2011, 2787 Rn. 37; vom 12. September 2013 - I ZR 208/12, GRUR 2013, 1259 Rn. 31; vom 22. Juli 2014 - VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 22; vom 9. Mai 2017 - XI ZR 314/15, WM 2017, 1206 Rn. 16; vgl. auch Urteil vom 18. Februar 2015 - XII ZR 199/13, NJW-RR 2015, 690 Rn. 32 [nur zur Zulässigkeit diesbezüglicher Feststellungsanträge]).

Rz. 29

bb) Der Senat entscheidet sie nunmehr dahingehend, dass eine Verzinsung eines - etwa bestehenden - materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs für verauslagte Gerichtskostenvorschüsse aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB nicht in Betracht kommt, soweit dieser materiell-rechtliche Erstattungsanspruch wegen des Vorrangs des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nicht durchgesetzt werden kann.

Rz. 30

Zwar steht der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch im Grundsatz selbständig neben dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch und erfasst auch sogenannte reine Prozesskosten. Allerdings ist die Möglichkeit der Geltendmachung des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs in Bezug auf sogenannte reine Prozesskosten im Hinblick auf einen diesbezüglichen Vorrang des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs während des - wie hier - laufenden Zivilprozesses und im Nachgang zu diesem eingeschränkt und schließt insoweit den Verzug mit dem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch als Voraussetzung einer Verzinsung nach § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB aus.

Rz. 31

(1) Ansprüche auf Kostenerstattung können sowohl prozessualer als auch materiell-rechtlicher Natur sein.

Rz. 32

(a) Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch ergibt sich ausschließlich aus dem Prozessrecht, insbesondere aus §§ 91 ff. ZPO, und knüpft verschuldensunabhängig an die Veranlassung der Kosten an (BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2006 - VI ZB 64/05, BGHZ 168, 57 Rn. 19; vom 6. Februar 2014 - IX ZB 57/12, NZI 2014, 310 Rn. 14; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 20. Aufl., vor § 91 Rn. 14, Stein/Jonas/Muthorst, ZPO, 23. Aufl., vor § 91 Rn. 6). Er entsteht aufschiebend bedingt mit der Begründung des Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Parteien, das heißt mit Rechtshängigkeit, wandelt sich mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostengrundentscheidung in einen auflösend bedingten Anspruch um und wird mit Rechtskraft des Kostenausspruchs unbedingt (RGZ 145, 13, 15; BGH, Urteil vom 8. Januar 1976 - III ZR 146/73, WM 1967, 460 unter 2; Musielak/Voit/Flockenhaus, aaO; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., vor § 91 Rn. 12; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., vor § 91 Rn.10). Fälligkeit tritt mit Erlass der vorläufig vollstreckbaren Entscheidung ein (BGH, Urteil vom 8. Januar 1976 - III ZR 146/73, aaO; MünchKommZPO/Schulz, 6. Aufl., vor § 91 Rn. 18; Zöller/Herget, aaO); ab diesem Zeitpunkt kann der prozessuale Kostenerstattungsanspruch (ausschließlich, vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 1982 - III ZR 148/81, NJW 1983, 284 unter I) im Verfahren nach §§ 103 ff. ZPO festgesetzt werden. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO sieht dabei eine Verzinsung ab dem Eingang des Festsetzungsantrags beziehungsweise im Falle des § 105 Abs. 3 ZPO ab der Verkündung des Urteils mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB vor. Über den prozessualen Kostenerstattungsanspruch entscheidet das Gericht im Rahmen eines bei ihm anhängigen Rechtsstreits gemäß § 308 Abs. 2 ZPO dem Grunde nach von Amts wegen.

Rz. 33

(b) Der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch folgt hingegen allein aus dem materiellen Recht (Musielak/Voit/Flockenhaus, aaO Rn. 15). Da das bürgerliche Recht keinen allgemeinen Anspruch auf Erstattung von Prozesskosten kennt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458 Rn. 14; Musielak/Voit/Flockenhaus, aaO), bedarf der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch einer sachlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage. Diese kann sich aus einem Vertrag ergeben, alternativ kommen unter anderem Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, Gefährdungshaftung, Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§ 280 BGB), Schadensersatz wegen Schuldnerverzugs (§ 286 Abs. 1, § 280 BGB) oder aus § 9 UWG, § 840 Abs. 2 Satz 2 sowie § 945 ZPO in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458 Rn. 7; Musielak/Voit/Flockenhaus, aaO; Stein/Jonas/Muthorst, aaO Rn. 16; MünchKommZPO/Schulz, aaO Rn. 19). Schadensersatzansprüche setzen hierbei meistens ein Verschulden voraus (vgl. Stein/Jonas/Muthorst, aaO). Der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch kann grundsätzlich nicht im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2014 - V ZB 102/13, NJW 2014, 3247 Rn. 11 ff.), seine Durchsetzung ist in der Regel nur im Rahmen einer Klage oder einer Widerklage möglich (Stein/Jonas/Muthorst, aaO Rn. 21; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, aaO Rn. 16).

Rz. 34

(2) Für reine Prozesskosten, das heißt Kosten, die wegen und ab der Einleitung eines Gerichtsverfahrens ausgelöst werden, erwachsen aus der Konkurrenz der beiden genannten Kostenerstattungsansprüche vielfältige Rechtsfragen, die bis heute nicht abschließend geklärt sind. Allerdings hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, dass die prozessuale Kostenregelung nicht erschöpfend ist, sondern grundsätzlich noch Raum für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche auf Kostenerstattung lässt, wenn auch der prozessualen Kostenregelung ein Vorrang eingeräumt wird.

Rz. 35

(a) Ursprünglich wurde vom Reichsgericht vertreten, dass sich reine Prozesskosten lediglich als ein jeder Selbständigkeit entbehrendes Annexum des Rechtsstreits darstellten und in der Zivilprozessordnung abschließend geregelt seien (vgl. RGZ 10, 309, 310; 22, 421, 423 f.; 66, 186, 199; 130, 217, 218 f.; 145, 296, 300; 150, 37, 39, 41; vgl. hierzu ausführlich Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung bei der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, 1985, S. 142 ff.). Diese Ansicht, die auch in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs - in nicht tragenden Erwägungen - anklingt (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1986 - III ZR 268/85, WM 1987, 247 unter III 3 a), wird auch in der Literatur teilweise vertreten (Zöller/Herget, aaO Rn. 11; Schneider, MDR 1981, 353, 354, 358).

Rz. 36

(b) Nach überwiegender Auffassung wird ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch indes durch die Regelungen der §§ 91 ff. ZPO nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1966 - Ib ZR 73/64, BGHZ 45, 251, 257; vom 15. Oktober 1969 - I ZR 3/68, BGHZ 52, 393, 396; vom 9. März 1976 - VI ZR 98/75, BGHZ 66, 112, 114; vom 24. April 1990 - VI ZR 110/89, BGHZ 111, 168, 171; vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 224/05, NJW 2007, 1458 Rn. 7). Vielmehr kann der materiell-rechtliche Anspruch je nach Sachlage neben die prozessuale Kostenregelung treten und ihr sogar entgegengerichtet sein, sofern zusätzliche Umstände hinzukommen, die bei der prozessualen Kostenerstattung nicht berücksichtigt werden konnten (BGH, Urteile vom 18. Mai 1966 - Ib ZR 73/64, aaO; vom 19. Oktober 1994 - I ZR 187/92, NJW-RR 1995, 495 unter [II] 2; vom 22. November 2001 - VII ZR 405/00, NJW 2002, 680 unter II 1; vom 16. Februar 2011 - VIII ZR 80/10, NJW 2011, 2368 Rn. 10; vom 18. April 2013 - III ZR 156/12, BGHZ 197, 147 Rn. 16; Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - VII ZB 95/09, NJW 2012, 1291 Rn. 8; vom 11. Januar 2022 - VIII ZB 44/21, NJW 2022, 1393 Rn. 11 ff.; BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1998 - 2 B 130/97, juris Rn. 6).

Rz. 37

Die Konkurrenz zwischen dem materiell-rechtlichen und dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch ist dabei auf verfahrensrechtlicher Ebene dahingehend zu lösen, dass die Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs eingeschränkt ist, soweit die geltend gemachten Kosten mit denjenigen Kosten identisch sind, die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können oder geltend gemacht worden sind (vgl. BGH, Urteile vom 11. Februar 2010 - VII ZR 153/08, NJW-RR 2010, 674 Rn. 13; vom 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 18; vom 22. Oktober 2020 - VII ZR 10/17, NJW 2021, 468 Rn. 22). Der Klage auf Erstattung der reinen Prozesskosten fehlt in diesem Fall das Rechtsschutzinteresse, weil die Geltendmachung des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs im Kostenfestsetzungsverfahren regelmäßig weniger aufwendig ist (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1979 - VI ZR 254/77, BGHZ 75, 230, 235; vom 24. April 1990 - VI ZR 110/89, aaO; vom 21. Juli 2011 - IX ZR 151/10, BGHZ 190, 353 Rn. 16; BAG, NZA 2009, 1300 Rn. 14 ff.; so auch Stein/Jonas/Muthorst, aaO Rn. 22; Musielak/Voit/Flockenhaus, aaO Rn. 16; MünchKommZPO/Schulz, aaO Rn. 21; Roth in Festschrift Gottwald, 2014, S. 529, 333; Fischer, JuS 2013, 694, 696 f.). Insofern wird dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch im Grundsatz der Vorrang eingeräumt, sofern der Prozess geführt wird oder geführt worden ist (BGH, Urteile vom 11. Februar 2010 - VII ZR 153/08, aaO; vom 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16, aaO; vom 22. Oktober 2020 - VII ZR 10/17, aaO).

Rz. 38

(c) Dieser Vorrang rechtfertigt sich aus dem zentralen Anliegen des prozessualen Kostenrechts, welches darin besteht, einen vereinfachten Ausgleich der durch den Prozess verursachten Kosten zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2014 - V ZB 102/13, NJW 2014, 3247 Rn. 5; hierzu und zu Folgendem ausführlich Köppen, Rechtskonfliktkosten im Zivilrecht, 2022, S. 49 f.; Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung bei der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, 1985, S. 161 f.). Für die Entstehung des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs wird in der Regel an das Unterliegen beziehungsweise das Verhältnis von Unterliegen und Obsiegen und damit schlicht an das Ergebnis der Hauptsacheentscheidung angeknüpft. Auch die übrigen Kostentatbestände und die Bestimmung des Umfangs der Erstattungspflicht erfordern jedenfalls grundsätzlich keine umfänglichen Ermittlungen der relevanten Tatsachen und werfen in der Regel keine rechtlich schwierigen Fragen auf. Das Kostenfestsetzungsverfahren, welches auf der Basis einer vom Gericht nach § 308 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zu treffenden Kostenentscheidung durchgeführt wird, stellt ein gegenüber dem ordentlichen Klageverfahren stark vereinfachtes Verfahren dar, das vom Gesetzgeber spezifisch für die Kosten von Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 91 ZPO geschaffen wurde.

Rz. 39

(d) Durch diesen Vorrang der prozessualen Kostenerstattung wird auch dem ebenso in anderen zivilprozessualen Vorschriften (z.B. § 99 ZPO) zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen, Streitigkeiten allein über die Kosten möglichst wenig Raum zu geben (BGH, Urteile vom 18. Mai 1966 - Ib ZR 73/64, aaO; vom 19. Oktober 1994 - I ZR 187/92, NJW-RR 1995, 495 unter [II] 2; vom 16. Februar 2011 - VIII ZR 80/10, aaO Rn. 13; vgl. auch OLG München NJW-RR 2017, 437 Rn. 32).

Rz. 40

(3) Die dargestellte, aus dem Vorrang der prozessualen Kostenerstattung folgende prozessuale Beschränkung der Durchsetzbarkeit des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs führt dazu, dass im Umfang dieser Beschränkung ein Verzug mit einem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 286 Abs. 1 BGB ausscheidet.

Rz. 41

(a) Gemäß § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Geldschuld während des Verzugs zu verzinsen. Verzug liegt vor, wenn der Schuldner auf eine nach Eintritt der Fälligkeit erfolgende Mahnung nicht leistet (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB), wobei der Mahnung die Erhebung der Leistungsklage sowie die Zustellung eines Mahnbescheids gleichstehen (§ 286 Abs. 1 Satz 2 BGB) und die Mahnung in den in § 286 Abs. 2 BGB genannten Fällen entbehrlich ist.

Rz. 42

(aa) Eine Verzinsung eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf Erstattung der verauslagten Gerichtskosten gemäß § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB setzt damit voraus, dass der Schuldner sich mit diesem Anspruch in Verzug befindet (BGH, Urteile vom 22. Juli 2014 - VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 22; vom 9. Mai 2017 - XI ZR 314/15, WM 2017, 1206 Rn. 16; OLG Brandenburg, Urteil vom 22. Dezember 2015 - 4 U 26/12, juris Rn. 147; OLG Frankfurt am Main, NJW 2018, 79 Rn. 66; vgl. auch Lüttringhaus, NJW 2014, 3745, 3746; Arz/Gemmer, NJW 2019, 263, 265). Entgegen einer in der Instanzrechtsprechung vielfach vertretenen Ansicht (vgl. nur OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2012, 791, 794; OLG Schleswig, Urteil vom 26. März 2013 - 2 U 7/12, juris Rn. 197; vgl. auch Gödicke, JurBüro 2001, 512, 513) genügt ein Verzug mit der Hauptforderung allein nicht; deren Verzug beziehungsweise deren Rechtshängigkeit schlägt nicht auf den Kostenerstattungsanspruch durch (vgl. Enders, JurBüro 2015, 225, 228; Jerger/Zehentbauer, NJW 2016, 1353, 1355; Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearb. 2019, § 288 Rn. 7).

Rz. 43

(bb) Umgekehrt schließt allein der Umstand, dass der Kläger Verzugszinsen nicht (nur) auf die eingeklagte Hauptschuld, sondern auch auf die von ihm für die klageweise Geltendmachung der Hauptschuld verauslagten Gerichtskosten begehrt, die Anwendung des § 288 Abs. 1 BGB nicht per se aus. Teilweise wird zwar vertreten, dass der Grundgedanke des § 288 Abs. 1 BGB, dem Gläubiger Ersatz für den vom Schuldner während des Verzugs einbehaltenen Zeitwert des Geldes zu gewähren, auf die Situation der Verzinsung von Gerichtskostenvorschüsse nicht passe. Gerichtskostenvorschüsse würden dem Gläubiger durch den Schuldner nicht vorenthalten; der Gläubiger sehe sich lediglich durch das Verhalten des Schuldners veranlasst, die Gerichtskosten zu verauslagen, um die Hauptforderung gerichtlich geltend zu machen (OLG Karlsruhe, NJW 2013, 473, 474; Uhl, NJ 2017, 101, 104). Diese Ansicht verkennt jedoch, dass nach ganz herrschender Meinung Rechtsverfolgungskosten zu den im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs ersatzfähigen Schäden gehören (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2017 - VI ZR 24/17, NJW 2018, 935 Rn. 6; vom 21. Juli 2011 - IX ZR 151/10, BGHZ 190, 353 Rn. 16; vom 4. Mai 2011 - VIII ZR 171/10, NJW 2011, 2871 Rn. 23 f.; vom 8. November 1994 - VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350; Gödicke, JurBüro 2001, 512, 513; Saenger/Uphoff, MDR 2014, 192, 194; Lüttring-haus, NJW 2014, 3745, 3746; Jerger/Zehentbauer, NJW 2016, 1353, 1354; Arz/Gemmer, NJW 2019, 263, 265). Im Falle eines Verzugs mit dem Anspruch auf Ersatz der Rechtsverfolgungskosten enthält daher der Schuldner dem Gläubiger auch den Zeitwert der aufgewendeten Beträge, etwa der Gerichtskostenvorschüsse als Teil der Rechtsverfolgungskosten, vor (vgl. Lüttringhaus, NJW 2014, 3745, 3746).

Rz. 44

(b) Ob dem Verzugseintritt bereits die fehlende Fälligkeit des Kostenerstattungsanspruchs entgegensteht, kann dahingestellt bleiben.

Rz. 45

Eine Verzinsungspflicht nach den genannten Vorschriften der § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB wird teilweise mit dem Argument verneint, dass der Kostenerstattungsanspruch erst mit Erlass der Kostengrundentscheidung fällig werde (vgl. nur OLG München, NJW-RR 2017, 437 Rn. 30; OLG Koblenz, NZI 2021, 277 Rn. 50). Hierbei darf jedoch der grundsätzliche Unterschied zwischen prozessualen und materiell-rechtlichen Kostenerstattungsansprüchen nicht verkannt werden. Erstere werden - wie oben bereits aufgezeigt - mit Erlass der vorläufig vollstreckbaren (Kostengrund-)Entscheidung fällig, für letztere gilt § 271 Abs. 1 BGB (Lüttringhaus, NJW 2014, 3745, 3746 f.; Arz/Gemmer, NJW 2019, 263, 265; für eine Übertragung der Fälligkeitsregelung des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs auf materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 29. Juli 2013 - 13 S 41/13, juris Rn. 7). Ob der aufgezeigte Vorrang des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs einen Umstand begründet, der im Rahmen des § 271 Abs. 1 BGB eine von einer sofortigen Fälligkeit abweichende spätere Leistungszeit für einen - etwa bestehenden - materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu rechtfertigen vermag, bedarf vorliegend im Hinblick auf die einen Verzug ausschließende fehlende Durchsetzbarkeit des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs (dazu nachfolgend unter (c)) keiner abschließenden Entscheidung.

Rz. 46

(c) Ein Verzug mit einem - etwa bestehenden - materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung der verauslagten Gerichtskosten liegt hier schon deshalb nicht vor, weil dieser Anspruch während eines laufenden Prozesses und im Nachgang hierzu infolge des Vorrangs des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs mangels Durchsetzbarkeit nicht erfolgreich geltend gemacht werden kann.

Rz. 47

(aa) Im Rahmen des Verzugs ist im Grundsatz allgemein anerkannt, dass die Forderung des Gläubigers nicht nur fällig, sondern auch durchsetzbar sein muss (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 286 Rn. 9; MünchKommBGB/Ernst, 9. Aufl., § 286 Rn. 29; BeckOGK-BGB/Dornis, Stand: 1. Oktober 2022, § 286 Rn. 111; Erman/Hager, BGB, 16. Aufl., § 286 Rn. 18; jurisPK-BGB/Seichter, Stand: 24. Februar 2023, § 286 Rn. 8; Schulze/Schulze, BGB, 11. Aufl., § 286 Rn. 5; vgl. Senatsurteil vom 17. Juni 2015 - VIII ZR 19/14, BGHZ 206, 1 Rn. 45 [unter dem Aspekt der Einrede]; OLG Karlsruhe, WM 2010, 2220 unter II).

Rz. 48

(bb) Hieran fehlt es jedoch im vorliegenden Fall. Ein - etwa bestehender - materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch des Klägers für von diesem verauslagte Gerichtskostenvorschüsse ist im laufenden Zivilprozess und im Nachgang hierzu nicht durchsetzbar, weil diese Kosten mit denjenigen identisch sind, die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können oder geltend gemacht worden sind, der prozessuale Kostenerstattungsanspruch damit vorrangig ist (s.o. unter II 2 b bb (2) (b) - (d)). Soweit dieser Vorrang besteht, ist ein Verzug mit dem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch ausgeschlossen.

Rz. 49

Die Auffassung der Revision und einiger Literaturstimmen, wonach der Vorrang des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs gegenüber materiell-rechtlichen Kostenerstattungsansprüchen nur eingreife, soweit die jeweilige Position von § 91 ZPO erfasst sei, was für eine Verzinsung verauslagter Gerichtskosten bis zum Zeitpunkt des Antrags auf Kostenfestsetzung nicht der Fall sei (vgl. Lüttringhaus, NJW 2014, 3745, 3747; Jerger/Zehentbauer, NJW 2016, 1353, 1354, 1356; Uhl, NJ 2017, 101, 103), verkennt, dass der Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen nicht unabhängig von der Hauptforderung betrachtet werden kann, mit deren Erfüllung der Schuldner in Verzug geraten sein muss.

Rz. 50

(4) Angesichts dessen kann dahinstehen, ob § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der für den prozessualen Kostenerstattungsanspruch eine Verzinsung erst mit Eingang des Kostenfestsetzungsantrags (bzw. im Fall des § 105 Abs. 3 ZPO ab der Verkündung des Urteils) vorsieht, eine Sperrwirkung dergestalt zukommt, dass er die vorherige Verzinsung auch eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs ausschließt (vgl. dazu OLG Naumburg, Urteil vom 24. August 1999 - 13 U 87/98, BeckRS 2012, 11444 unter II; OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2012, 791, 794; OLG Schleswig, Urteil vom 26. März 2013 - 2 U 7/12, juris Rn. 196; aA OLG Brandenburg, Urteile vom 4. Juli 2012 - 7 U 204/11, juris Rn. 30; vom 6. Februar 2013 - 7 U 6/12, juris Rn. 39; LG Saarbrücken, Urteil vom 29. Juli 2013 - 13 S 41/13, juris Rn. 8 f.; wohl auch OLG München, NJW-RR 2017, 437 Rn. 32; siehe ferner zum Ganzen BGH, Urteil vom 24. April 1990 - VI ZR 110/89, BGHZ 111, 168, 177 f.; BAG, NZA 2020, 465 Rn. 19 ff., BAGE 163, 309 Rn. 23 ff. mwN [jeweils zu § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG]; Dragunski in Festschrift Berg, 2011, S. 21, 23 f.).

Rz. 51

c) Eine Verzinsung nach § 291 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Der Kläger hat einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch für von ihm verauslagte Gerichtskosten weder rechtshängig gemacht noch hätte eine solche Klage mangels Rechtschutzbedürfnisses Aussicht auf Erfolg (s.o. unter II 2 b bb (2) (b)).

Rz. 52

3. Zu Recht hat das Berufungsgericht den als zweiten Hilfsantrag des Klägers gestellten Feststellungsantrag als unzulässig angesehen.

Rz. 53

Abgesehen davon, dass auch dieser Antrag infolge seiner Anknüpfung an die ausgeurteilte Kostenquote nicht hinreichend bestimmt ist (siehe oben unter II 1 a), fehlt ihm das notwendige Feststellungsinteresse, da - wie die vorrangig gestellten Zahlungsanträge zeigen - eine Leistungsklage möglich war (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 18. Februar 2015 - XII ZR 199/13, NJW-RR 2015, 690 Rn. 32).

Rz. 54

Soweit sich das Berufungsgericht darüber hinaus auch - verneinend - zur Begründetheit des Feststellungsantrags geäußert hat, ist dies als nicht verbindlich und nicht geschrieben zu behandeln (vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember 1953 - IV ZR 48/53, BGHZ 11, 222, 225; vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19, BGHZ 232, 94 Rn. 34).

Rz. 55

4. Der Senat weist klarstellend darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung über die Verzinsung eines - etwa bestehenden - materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs im Hinblick auf eine mögliche Verzinsung eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht vorgreiflich ist.

Dr. Bünger     

Kosziol     

Dr. Liebert

Wiegand     

Dr. Böhm     

 

Fundstellen

Haufe-Index 15747732

NJW 2023, 10

NJW 2023, 2716

FA 2023, 178

IBR 2023, 427

JurBüro 2023, 480

ZAP 2023, 950

MDR 2023, 1005

Mitt. 2023, 568

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