Rn 2

Generell kann die Herausgabe der Sache dann verweigert werden, wenn ein absolutes oder relatives Recht zum Besitz besteht. Die Vielzahl an Besitzrechten erfordert in der Rechtspraxis die jeweils konkrete Prüfung aller ›Besitz-Umstände‹, soweit sich das Besitzrecht nicht ohnehin unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Dies ist zB auch der Fall, wenn der Eigentümer einem Dritten ein umfassendes Nutzungsrecht einräumt (vgl § 185) und dem Besitzer vom Dritten der Besitz eingeräumt wird.

1. Positive Feststellung.

a) Beschränkte dingliche Rechte.

 

Rn 3

Der Nießbraucher ist zum Besitz der Sache berechtigt, § 1036 I. Gleiches gilt über die Verweisung in § 1093 I beim dinglichen Wohnrecht. Beim Mobiliarpfandrecht ergibt sich das Recht zum Besitz gem §§ 1205, 1253 I (Peters JZ 95, 390) und beim Erbbaurecht aus der Verweisung auf die Eigentumsvorschriften in § 11 I ErbbauVO (BGH Urt v 10.7.20 – V ZR 226/19). § 31 I WEG gibt beim Dauerwohnrecht ein unmittelbares Besitzrecht, ebenso § 31 II, III WEG beim Dauernutzungsrecht sowie § 912 I beim Überbau ein Recht zum Besitz.

b) Wesentliche rechtsgeschäftliche Besitzrechte.

 

Rn 4

Schuldrechtliche Besitzrechte können sowohl ausdrücklich als auch konkludent begründet werden und wirken dem Herausgabeverlangen des Eigentümers – oft nur vorübergehend – entgegen. Dies ist insb bei der Miete und Pacht (§§ 535 I, 581) sowie beim Leasingvertrag, aber auch beim Leihvertrag nach § 598 für den vereinbarten Zeitraum der Fall. Logischerweise entfällt das Besitzrecht mit Ablauf der jeweils vereinbarten Dauer der Überlassung der Sache. Andernfalls, zB im Falle eines unbefristeten Mietvertrages, bedarf es einer wirksamen Kündigung bzw des Herausgabeverlangens bei der Leihe nach § 604 III, um das Besitzrecht entfallen zu lassen. Beim Verwahrungsvertrag hingegen besteht ebenso das aus § 688 abgeleitete Besitzrecht. Dieses kann dem Herausgabeverlangen nach § 985 nicht entgegengesetzt werden, da selbst bei Vereinbarung einer Verwahrungszeit der Hinterleger jederzeit die Rückgabe verlangen kann, § 695 (vgl jurisPK/Hans § 986 Rz 4). Beim vom Käufer nicht erfüllten Vorbehaltskauf, § 449 I, besteht das Besitzrecht nach Verschaffung der Kaufsache gem § 433 bis zum Rücktritt des Verkäufers, § 449 II. Gleiches gilt gem § 480 beim Tausch.

c) Sonderformen von Besitzrechten.

 

Rn 5

Das Unternehmerpfandrecht, § 647, zählt in der Praxis zu einem der bedeutendsten Besitzrechte. Auch durch einen Vorvertrag sowie sogar ohne jegliche vertragliche Grundlage iR einer Ehe bzw Lebenspartnerschaft können Besitzrechte entstehen (s § 1353 BGB, § 8 LPartG), die jedoch nur ggü dem Eigentümer-(Ehe-)Partner, während bestehender Ehe oder Partnerschaft, wirken (MüKo/Baldus § 986 Rz 23). Ein auf 985 gestützter Antrag auf Herausgabe der Ehewohnung ist während der Trennungszeit ausgeschlossen, BGH Urt v 28.9.2016 – XII ZB 487/15. Schließlich begründen auch Verwaltungspflichten absolute Besitzrechte (Insolvenzverwalter, § 148 I InsO; Testamentsvollstrecker, § 2205; Nachlassverwalter, §§ 1985 I; 1986 I; Gesamtgutverwalter, § 1422).

 

Rn 6

Str ist, ob Zurückbehaltungsrechte nach §§ 273, 972, 1000 sowie §§ 369 ff HGB ein Recht zum Besitz iSd § 986 gewähren (Grüneberg/Herrler § 986 Rz 5). Die herrschende Lit verneint dies unter Hinweis auf die Zug-um-Zug-Verurteilung in diesen Fällen, während der BGH (NJW 02, 1050 unter Verweis auf BGH NJW-RR 86, 282 [BGH 25.09.1985 - VIII ZR 270/84]) dies bejaht. Der Lit ist hierbei zu folgen: Wäre § 1000 ein Recht zum Besitz, würde mit Vornahme der ersten Verwendungshandlung die Vindikationslage und somit Voraussetzung für die §§ 987 ff entfallen, da der Besitzer nunmehr berechtigt besitzen würde. Demnach stellt ein Zurückbehaltungsrecht kein Recht zum Besitz dar.

2. Negative Abgrenzung.

 

Rn 7

Ein Recht zum Besitz wird in einer Reallast, einem Vorkaufsrecht, einem Grundpfandrecht und einer Grunddienstbarkeit, sofern diese nicht ausdrücklich eine Besitznahme zum Inhalt haben, gesehen (MüKo/Baldus § 986 Rz 14). Gleiches gilt für ein Besitzrecht aus formunwirksamen Verträgen – mit Ausnahme des Vorliegens von Treuwidrigkeit – (BGHZ 29, 6) sowie bei Gesellschaftereinlagen, § 706 – beachte nF zum 1.1.24 – findet sich in der nF bei leicht verändertem, aber prinzipiell wesensgleichem Wortlaut unter § 709. Der neue § 706 regelt nun den Sitz der Gesellschaft, und beim unregelmäßigen Verwahrungsvertrag, § 700. Auch früherer Besitz, die Einräumung einer Räumungsfrist (§ 721 ZPO) oder die Gewährung von Vollstreckungsschutz (§ 765a ZPO) führen nicht zu einem Besitzrecht. § 241a gibt ebenfalls kein Recht zum Besitz (s § 985 Rn 24). Zum Notwegerecht: BGH NJW-RR 06, 1160 [BGH 05.05.2006 - V ZR 139/05].

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