Gesetzestext

 

(1) 1Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. 2Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.

(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.

A. Funktion und Anwendungsbereich.

I. Funktion.

 

Rn 1

Die Haftung für vermutetes Verschulden wegen Verletzung einer Verkehrspflicht (s insb Soergel/Krause § 832 Rz 2 f; Erman/Wilhelmi § 832 Rz 1) nach § 832 ergänzt §§ 827–829. Grundgedanke der Regelung ist, dass im Hinblick auf Gefahren, die von Aufsichtsbedürftigen iSd § 832 ausgehen, der Aufsichtspflichtige die besten Einwirkungsmöglichkeiten hat (Erman/Wilhelmi § 832 Rz 1). Die Haftung enthält Elemente von Bereichs- und Übernahmehaftung (Erman/Wilhelmi aaO) und kann mit einer Haftung aus § 823 (insb wegen Verletzung von Organisationspflichten) konkurrieren. Im Unterschied zu anderen Regelungen einer Haftung für vermutetes Verschulden (zB §§ 831, 833 2, 834, 836) hat bei § 832 der Aufsichtspflichtige jedoch weder die Gefahr selbst geschaffen noch zieht er einen Nutzen aus ihr (BeckOK/Spindler § 832 Rz 1). Daraus lässt sich ein Ausnahmecharakter der Vorschrift ableiten, der ihre analoge Anwendung auf von § 832 nicht erfasste Personen grds verbietet (so auch insb Staud/Bernau § 832 Rz 7 f; BeckOK/Spindler § 832 Rz 1; Erman/Wilhelmi § 832 Rz 4; Ausn: Rn 2).

II. Anwendungsbereich.

 

Rn 2

§ 832 gilt ausschließlich für die dort genannten privatrechtlichen Aufsichtsverhältnisse (zur Ablehnung einer analogen Anwendung s.o. Rn 1). Bei öffentlich-rechtlichen Aufsichtsverhältnissen (zB Lehrer-Schüler-Verhältnis an öffentlichen Schulen) wurde früher meist ausschließlich § 839 iVm Art 34 GG angewandt (BGHZ 13, 25, 27; Ddorf NJW-RR 99, 1620; § 839 Rn 125 ff; krit Marburger VersR 71, 777, 781 f). Es erscheint jedoch sinnvoll, die Anforderungen an die Aufsichtspflicht dort ebenso zu bestimmen wie bei § 832 und auch eine entspr Beweislastumkehr anzunehmen (mittlerweile auch BGHZ 196, 35 Rz 23 ff; Kobl DAR 12, 704; weiterhin zB Mertens MDR 99, 998, 999; Staud/Bernau § 832 Rz 211 mwN; BeckOGK/Wellenhofer § 832 Rz 12; BeckOK/Spindler § 832 Rz 3).

B. Regelungsinhalt.

I. Haftungsvoraussetzungen.

1. Aufsichtsbedürftiger.

 

Rn 3

Minderjährige sind stets aufsichtsbedürftig (s insb BGH NJW 76, 1145, 1146 [BGH 02.12.1975 - VI ZR 79/74]; aA Rauscher JuS 85, 757, 761), unabhängig von den Umständen des Einzelfalls (die lediglich bei der Konkretisierung des Umfangs der Aufsichtspflicht zu berücksichtigen sind, dazu zB BGH NJW 80, 1044, 1045 [BGH 27.11.1979 - VI ZR 98/78]). Bei Volljährigen muss aufgrund ihres geistigen oder körperlichen Zustands eine konkrete Aufsichtsbedürftigkeit im Einzelfall bestehen (vgl BGH NJW 58, 1775 [BGH 15.04.1958 - VI ZR 87/57]), zB wegen fehlender Möglichkeit zur Selbstkontrolle bei Kranken, geistig oder körperlich Behinderten oder Epileptikern. Indiz für die Aufsichtsbedürftigkeit ist va der Aufgabenbereich eines Betreuers (vgl Staud/Bernau § 832 Rz 10; MüKo/Wagner § 832 Rz 16; NK-BGB/Katzenmeier § 832 Rz 4; teilw abw Soergel/Krause § 832 Rz 6; aA Bernau/Rau/Zschieschack NJW 08, 3756 ff).

2. Aufsichtspflichtiger.

a) Kraft Gesetzes, § 832 I.

 

Rn 4

Zur Aufsicht über Minderjährige ist der Personensorgeberechtigte verpflichtet, also Eltern, §§ 1626 I, 1626a I (bei dauerndem Getrenntleben § 1671; zur Ausgestaltung im Einzelfall und zum Verhältnis zum Umgangsrecht BeckOGK/Wellenhofer § 832 Rz 15 ff), überlebender Elternteil, § 1680, nichteheliche Mutter, § 1626a II, Adoptiveltern, § 1754 III, Vormund, §§ 1789, 1795, 1798, Pfleger, §§ 1809, 1813, str für Ausbildende iSd § 14 BBiG (hM: nicht aufsichtspflichtig, zB NK-BGB/Katzenmeier § 832 Rz 6 mwN; BeckOK/Spindler § 832 Rz 9; Grüneberg/Sprau § 832 Rz 5, aA: in begrenztem Umfang, zB Erman/Wilhelmi § 832 Rz 3), fraglich auch für Umgangsbegleiter iSd § 1684 IV (in Erwägung gezogen von Karlsr FamRZ 14, 1476; abl Bernau DAR 18, 429, 431). Bei Kindern in Fürsorgeerziehung haften die Eltern weiter, soweit sie die tatsächliche Aufsicht ausüben können (insb während sich die Kinder bei ihnen aufhalten, RGZ 98, 246, 247 f). Nicht aufsichtspflichtig sind insb Lehrer an öffentlichen Schulen (ggf Haftung nach § 839 iVm Art 34 GG, s.o. Rn 2), Beistand, §§ 1712, 1716, Erziehungsbeistand, §§ 27, 30 SGB VIII, Gegenvormund, §§ 1792, 1799 aF, Erziehungshelfer, § 12 JGG. Die Aufsicht über sonstige Aufsichtsbedürftige obliegt idR einem Betreuer, §§ 1814 ff (Staud/Bernau § 832 Rz 26 ff; Erman/Wilhelmi § 832 Rz 3; BeckOK/Spindler § 832 Rz 7 mwN, auch zur aA); die Reichweite seiner Aufsichtspflicht entspricht derjenigen der Betreuungstätigkeit. Nicht aufsichtspflichtig sind bei diesem Personenkreis Pfleger (str, wie hier Erman/Wilhelmi § 832 Rz 3; aA Staud/Bernau § 832 Rz 26), Gegenvormund, §§ 1792, 1799 aF, Ehegatte (RGZ 70, 48, 49 f). Eine Ausdehnung der Betreuungspflicht durch Landesrecht, zB auf L...

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