A. Grundlagen.

I. Recht der unerlaubten Handlungen.

 

Rn 1

§§ 823 ff regeln die Haftung für rechtswidriges (und häufig – aber nicht notwendig – schuldhaftes, Soergel/Spickhoff Vor § 823 Rz 1) Verhalten. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich – im Unterschied zur Pflichtverletzung iRe Sonderbeziehung – aus einem Verstoß gegen allgemeine Rechtsnormen. §§ 823 ff enthalten drei Grundtatbestände (§§ 823 I, 823 II, 826) sowie etliche Spezialtatbestände und ergänzende Regelungen. Ausgangspunkt ist eine verschuldensabhängige Haftung, die jedoch teilw modifiziert wird. Die Grundtatbestände wurden durch die Rspr weiterentwickelt und ausgebaut. Sie stehen neben weiteren Haftungstatbeständen und werden durch andere Ausgleichssysteme, insb durch kollektive Systeme des Schadensausgleichs, partiell überlagert (s.u. Rn 13 f). Auch der Einfluss europäischen Rechts auf das deutsche Deliktsrecht nimmt zu (s.u. Rn 27 f).

II. Funktionen des Deliktsrechts.

 

Rn 2

Grundfunktion des Deliktsrechts – wie des Privatrechts überhaupt – ist der Ausgleich widerstreitender Interessen, hier der Handlungsfreiheit des Schädigers und des Integritätsschutzes des Geschädigten. Dieser wird jedoch – ebenso wie die im Folgenden spezifizierten Funktionen – durch kollektive Systeme des Schadensausgleichs überlagert (krit zu den tradierten Funktionen mit gewichtiger Argumentation G Wagner VersR 20, 717, 721 ff: entscheidend seien die Prinzipien der ausgleichenden Gerechtigkeit und der ökonomischen Effizienz).

 

Rn 3

Die Ausgleichsfunktion als wichtigste Funktion des Deliktsrechts stellt vorrangig auf die Geschädigtenperspektive ab. Praktische Bedeutung bei der Auslegung der §§ 823 ff hat sie va für den Haftungsumfang (s insb BeckOGK/Spindler § 823 Rz 10). Für die Haftungsbegründung ist eine Ergänzung durch normative Elemente (wie insb das Verschuldensprinzip) erforderlich, denn die Ausgleichsfunktion setzt bereits das Bestehen eines Haftungssystems voraus. Sie wird teilw eingeschränkt durch Versicherungen sowie Systeme sozialer Sicherung. Manche mitunter zusätzlich genannten Funktionen, insb Befriedungsfunktion und Rechtsverfolgungsfunktion (zB Deutsch FS Medicus [09] 55, 62), können als besondere Ausprägungen der Ausgleichsfunktion betrachtet werden.

 

Rn 4

In zweiter Linie ist die Präventionsfunktion zu nennen: Das Bestreben, eine Ersatzpflicht zu vermeiden, soll zu möglichst sorgfältigem Verhalten führen; diese Funktion ist daher va für die Haftungsbegründung von Bedeutung. Bei fahrlässigem Handeln bzw Unterlassen kommt sie jedoch allenfalls mit Einschränkungen zum Zuge und wird ebenfalls durch Versicherungen und kollektive Systeme des Schadensausgleichs eingeschränkt (allerdings können auch versicherungsrechtliche Systeme Präventionsanreize setzen).

 

Rn 5

Fraglich und str ist, ob dem Deliktsrecht auch Straffunktion zukommt. Wenngleich eine Bestrafung des Schädigers ursprünglich keine Funktion des zivilen Haftungsrechts war, lassen sich heute teilw Sanktionselemente ausmachen, zB bei der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds oder beim Schadensersatz wegen Verletzung von Persönlichkeits- oder Immaterialgüterrechten (zum ›GEMA-Verletzerzuschlag‹ insb BGHZ 17, 376, 383; 95, 285, 288 ff; GRUR 90, 353, 355 mwN). Die Grenze zur Prävention ist schwer zu bestimmen, da Prävention – neben Vergeltung – auch eine Funktion von Strafe sein kann. Fraglich ist, ob die Straffunktion bei der Umsetzung europäischer Richtlinien, die häufig verlangen, dass Sanktionen ›wirksam, verhältnismäßig und abschreckend‹ sein müssen, an Bedeutung gewinnt (zB Art 15 2 RL 2000/43/EG, ABl 2000, L 180/22; Art 17 2 RL 2000/78/EG, ABl 2000, L 303/16; Art 18 1 RL 2006/54/EG, ABl 2002, L 269/15; Art 3 II RL 2004/48/EG, ABl 2004, L 157/45; Art 13 2 RL 2005/29/EG, ABl 2005, L 149/22). Da die Richtlinien aber nicht ausschließlich auf zivilrechtliche Sanktionen abstellen, erfordern sie nicht die Einführung einer – im deutschen Zivilrecht noch immer als systemwidrig anzusehenden – Straffunktion in das Deliktsrecht.

B. System der §§ 823 ff.

I. Grundkonzeption und Regelungstechnik.

 

Rn 6

Das Spektrum denkbarer Regelungstechniken im Haftungsrecht reicht von der Fallgruppenbildung (wie etwa ursprünglich im englischen Recht) bis zur umfassenden Generalklausel (wie etwa im französischen Recht). In §§ 823 ff wurde ein Mittelweg gewählt, indem 3 ›kleine‹ (eingeschränkte) Generalklauseln sowie Sondertatbestände für einzelne Regelungsbereiche geschaffen wurden. Die erste, praktisch wichtigste Generalklausel in § 823 I betrifft die Verletzung bestimmter wichtiger Rechtsgüter, die auch fahrlässig erfolgen kann. Nach § 823 II verpflichtet der Verstoß gegen bestimmte Schutzgesetze nach den für diese Vorschriften geltenden Regeln zum Schadensersatz. Diese Generalklausel ist für die Entwicklung neuer Schutzgesetze offen und somit besonders flexibel. § 826 schließlich regelt den Schadensersatz bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, enthält also eine rechts- und sozialethische Komponente. Innerhalb der Generalklauseln besteht eine Tendenz zur Fallgruppenbildung, insb bei § 823 I iRd Schutzes ›sonstiger Rechte‹ und bei der Verletzung von Verkehrspflichten sowie bei § 826.

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