Kollision beim rückwärts Ausparken: Anscheinsbeweis spricht gegen den Ausparkenden
Die Klägerin hatte ihrem Toyota auf einem Parkplatz abgestellt, der auf einem Gehsteig gelegen war. Sie parkte rückwärts aus. Auf der Fahrbahn stieß sie mit der Fahrerin eines Ford Fiesta zusammen, der kurz vor dem Zusammenstoß vor einem Fußgängerübergang angehalten hatte und wieder angefahren war.
Keine Gefährdung des fließenden Verkehrs?
Die ausparkende Frau sah sich nicht in der Verantwortung für den Unfall und erhob gegen die Ford-Fahrerin und deren Haftpflichtversicherung Klage auf Zahlung von Schadensersatz. Als sie den Rückfahrvorgang eingeleitet habe, sei eine Gefährdung des fließenden Verkehrs ausgeschlossen gewesen, weil die Beklagte an einem Fußgängerübergang gehalten habe. Außerdem habe die Ford-Fahrerin zugegeben, dass sie unaufmerksam gewesen sei.
Wer rückwärts ausparkt, hat jede Gefährdung des fließenden Verkehrs auszuschließen
Das Landgericht Saarbrücken hatte die Klage bereits abgewiesen. Auch vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken konnte sich die Toyota-Fahrerin nicht durchsetzen. Wer, wie die Klägerin, rückwärts ausparkt, hat nach § 10 Abs. 1 StVO jede Gefährdung des fließenden Verkehrs auszuschließen. Zu den anderen Straßenteilen im Sinne dieser Vorschrift zählten anerkanntermaßen auch Parkplätze oder Parkstreifen.
Gefährdungsausschluss und Anscheinsbeweis beim Ausparken:
Der von § 10 Abs. 1 StVO geforderte Gefährdungsausschluss ist der höchste Sorgfaltsmaßstab, den das deutsche Straßenverkehrsrecht kennt. Kommt es zu einem Unfall mit dem bevorrechtigten fließenden Verkehr, spreche der Anscheinsbeweis für das Alleinverschulden des rückwärts Ausparkenden. In diesen Fällen reicht zur Begründung des Anscheinsbeweises die Feststellung, dass es zum Zusammenstoß in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang gekommen ist.
Gesteigerte Sorgfaltspflicht führt in der Regel zur Alleinhaftung
Ob das einfahrende Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls stand oder fuhr, spielt dagegen keine Rolle. Für Autofahrer, die von einem Grundstück oder einem Parkplatz auf eine Fahrbahn einfahren bedeute diese gesteigerte Sorgfaltspflicht, dass bei einem Unfall in der Regel von einer Alleinhaftung auszugehen sei. Die Betriebsgefahr des im fließenden Verkehr Befindlichen trete dahinter regelmäßig zurück.
Wie kann der rückwärts Ausparkender den Anscheinsbeweis erschüttern?
Ein rückwärts Ausparkender muss den Anscheinsbeweis erschüttern, indem er beweist,
- dass er bereits solange auf der bevorrechtigten Fahrbahn stand, dass sich der fließende Verkehr auf ihn einstellen konnte oder
- dass er sich so weit von der Stelle, von der er losgefahren ist, entfernt und sich in seinem Fahrverhalten (Einordnen, Geschwindigkeit) so dem Verkehrsfluss angepasst hat, dass die Tatsache des Anfahrens unter keinem erdenkbaren Gesichtspunkt mehr für den weiteren Geschehensablauf ursächlich sein kann.
Den letztgenannten Punkt konnte die klagende Toyota-Fahrerin nicht für sich reklamieren. Ihr Fahrzeug stand zum Zeitpunkt der Kollision schräg auf der Fahrbahn, was darauf hinweist, dass sie sich noch nicht in den fließenden Verkehr vollständig eingeordnet hatte.
Fazit: Die rückwärts ausparkende Frau konnte den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Sie hat keinen Anspruch auf Schadensersatz.
(Saarländisches OLG, Urteil v. 13.8.2020, 4 U 6/20).
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Linksabbieger verletzt Vorfahrt und haftet dennoch nur eingeschränkt
Hintergrund: BGH zum Anscheinsbeweis
Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (vgl. Senatsurt. v. 24.3.1959 – VI ZR 82/58, VersR 1959, 518, 519; v. 19.11.1985 – VI ZR 176/84, VersR 1986, 343, 344; v. 19.3.1996 – VI ZR 380/94, VersR 1996, 772; v. 16.1.2007 – VI ZR 248/05, VersR 2007, 557 Rn 5; v. 30.11.2010 – VI ZR 15/10, VersR 2011, 234 Rn 7).
Es reicht allerdings allein das “Kerngeschehen' als solches dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (BGH, Urteil v. 13.12. 2011, VI ZR 177/10).
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