Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Voraussetzungen

Wenn Anwälte wichtige Fristen verpassen, droht oft ein Anwaltsregress. Der Ausweg der Wahl ist häufig ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Aktuell hat das Thema Wiedereinsetzung mit der seit 1.1.2022 obligatorischen aktiven Nutzung des BeA erheblich an Brisanz gewonnen.

Bevor der Anwalt aller­dings über einen ent­spre­chenden Antrag z. B. im Zivilprozess nach §§ 233, 236 ZPO nach­denkt – ähnliche Vorschriften befinden sich in den anderen Verfahrensordnungen –, sollte vorsorglich geprüft werden, ob etwa die fristauslösende Klage oder das Urteil wirksam zuge­stellt wurden. Eine fehlerhafte Zustellung setzt den Fristablauf möglicherweise gar nicht erst in Gang.    

Wie­der­ein­set­zung in den vorigen Stand: Vor­aus­set­zungen

Einer Partei ist im Zivilprozess nach § 233 ZPO Wie­der­ein­set­zung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Ver­schulden ver­hin­dert war,

  • eine Not­frist oder
  • die Frist zur Begrün­dung der Beru­fung, der Revi­sion, der Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde oder
  • der Rechts­be­schwerde oder
  • die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO

ein­zu­halten. Fehlendes Verschulden wird gemäß § 233 Satz 2 ZPO vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

Ver­schulden

Ver­schulden des Anwalts ist der Partei wie ihr wie eigenes zuzu­rechnen. Ledig­lich Ver­schulden des Büro­per­so­nals, welches nicht auf einem Orga­ni­sa­ti­ons­ver­schulden des Anwalts beruht, hat die Partei nicht zu ver­treten. In der Praxis werden viele Wiedereinsetzungsanträge auf ein Verschulden des ansonsten stets zuverlässigen Büropersonals gestützt.

Wie­der­ein­set­zung in den vorigen Stand: Frist

Die Wie­der­ein­set­zung muss nach § 234 Abs. 1 ZPO inner­halb einer zwei­wö­chigen Frist bean­tragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei ver­hin­dert ist, die Frist zur Begrün­dung der Beru­fung, der Revi­sion, der Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde oder der Rechts­be­schwerde ein­zu­halten.

Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hin­dernis behoben ist. Ist der Anwalt während der bereits ver­län­gerten Beru­fungs­be­grün­dungs­frist erkrankt und ver­wei­gert die Gegen­seite ihre Zustim­mung zu einer erneuten Frist­ver­län­ge­rung, stellt sich die Frage, auf welches Ereignis beim Frist­be­ginn abzu­stellen ist. Hier hat der BGH das Ende der Erkran­kung als maßgeblichen Zeitpunkt für den Frist­be­ginn ange­sehen (BGH, Beschluss v. 5.4.2011, VIII ZB 81/10).

Höchst­frist beträgt ein Jahr

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der ver­säumten Frist an gerechnet, kann die Wie­der­ein­set­zung nicht mehr bean­tragt werden. So steht es in § 234 Abs. 3 ZPO. Die Jah­res­frist hat als Höchst­frist für den Antrag auf Wie­der­ein­set­zung in den vorigen Stand abso­luten Cha­rakter. Sie ver­folgt den Zweck, eine unan­ge­mes­sene Ver­zö­ge­rung von Pro­zessen zu ver­hin­dern und den Ein­tritt der Rechts­kraft zu gewähr­leisten. Das hat der BGH mehrfach bestä­tigt (BGH, Beschluss v. 19.3.2013, VI ZB 68/12).

Wichtig:  Die Vor­schrift ist dann nicht anwendbar, wenn die Ursache der Frist­über­schrei­tung nicht in der Sphäre der Partei liegt, sondern allein dem Gericht zuzu­rechnen ist.

Ein Fall für die Berufs­haft­pflicht­ver­si­che­rung

Der betrof­fene Anwalt muss im Fall einer Fristversäumnis seine Berufs­haft­pflicht­ver­si­che­rung sofort infor­mieren. Die Frist­ver­säu­mung als Ver­si­che­rungs­fall muss inner­halb einer Woche beim Ver­si­cherer gemeldet werden. Der Verstoß gegen diese Oblie­gen­heits­ver­let­zung führt im Extrem­fall dazu, dass die Ver­si­che­rung den Schaden nicht regu­liert.

Achtung: Rechts­mit­tel­frist und Pro­zess­kos­ten­hil­fe­an­trag

Beson­dere Vor­sicht muss der Anwalt walten lassen, wenn er während der Beru­fungs­frist für seinen Man­danten einen Pro­zess­kos­ten­hil­fe­an­trag stellt. Will der Anwalt bzw. sein Mandant die Beru­fung erst nach der Ent­schei­dung über das Pro­zess­kos­ten­hil­fe­ge­such begründen, hat er durch einen recht­zei­tigen Antrag auf Frist­ver­län­ge­rung dafür zu sorgen, dass eine Wie­der­ein­set­zung nicht not­wendig wird. Denn ein Pro­zess­kos­ten­hil­fe­an­trag beein­flusst den Lauf der Begrün­dungs­frist nicht (BGH, Beschluss v. 19.3.2013, VI ZB 68/12). Nach stän­diger Recht­spre­chung des BGH ist zwar eine Rechts­mittel- oder Rechts­mit­tel­be­grün­dungs­frist nicht schuld­haft ver­säumt, wenn der Rechts­mit­tel­kläger inner­halb der Frist Pro­zess­kos­ten­hilfe bean­tragt hat und auf deren Bewil­li­gung ver­trauen durfte. Ent­spre­chend wird Wie­der­ein­set­zung in den vorigen Stand von den Gerichten dann bewil­ligt, wenn der Anwalt dies inner­halb der mit Kenntnis der Ent­schei­dung über sein Pro­zess­kos­ten­hil­fe­ge­such begin­nenden Wie­der­ein­set­zungs­frist bean­tragt und inner­halb der Frist auch die ver­säumte Pro­zess­hand­lung nach­holt. Dies hatte der Kläger in dem vom BGH ent­schie­denen Fall nicht getan. Die Frist für die Ein­rei­chung des Wie­der­ein­set­zungs­ge­suchs hatte mit der Zustel­lung des die Pro­zess­kos­ten­hilfe ver­wei­gernden Beschlusses zuzüg­lich einiger Tage Über­le­gungs­zeit zu laufen begonnen. Nach Ansicht der BGH-Richter bestand für den Klä­ger­an­walt kein begrün­deter Anlass zu der Annahme, dass das Beru­fungs­ge­richt die Erfolgs­aus­sicht ihres Rechts­mit­tels bejahen und Pro­zess­kos­ten­hilfe bewil­ligen würde.