Gesetzestext

 

(1) Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitz hat, erwirbt das Eigentum (Ersitzung).

(2) Die Ersitzung ist ausgeschlossen, wenn der Erwerber bei dem Erwerb des Eigenbesitzes nicht in gutem Glauben ist oder wenn er später erfährt, dass ihm das Eigentum nicht zusteht.

A. Normzweck und Bedeutung.

 

Rn 1

Die Möglichkeit eines gesetzlichen Eigentumserwerbs durch Ersitzung hat erhebliche Bedeutung, wenn eine Rechtsordnung den gutgläubigen Erwerb nicht kennt (wie das römische Recht). Im modernen deutschen Recht ist die Ersitzung daher von geringer Bedeutung. Zur Anwendung kann sie va dann kommen, wenn ein gutgläubiger Erwerb wegen § 935 (Abhandenkommen der Sache) ausgeschlossen war, wenn der Mangel der Eigentumsübertragung nicht im Fehlen des Eigentums des Veräußerers lag (sondern in anderen Umständen wie etwa der mangelnden Vertretungsmacht) oder wenn sich der Besitzerwerb ohne Zusammenhang mit einem Veräußerungsgeschäft vollzogen hat wie etwa bei der Inbesitznahme einer vermeintlich herrenlosen Sache. Jenseits solcher Sonderfälle dient das Institut der Ersitzung aber generell dem Verkehrsschutz, dem Besitzschutz und der Rechtssicherheit sowie der Rechtsklarheit. In den praktischen Konsequenzen ähnelt die Ersitzung der Verjährung. So kann sich insb der langjährige Besitzer, der seinen Eigentumserwerbsakt nicht nachzuweisen vermag, hilfsweise auf Ersitzung berufen. In der Rspr hatte die Ersitzung allerdings ursprünglich dadurch weiter an Bedeutung verloren, dass sie für nicht kondiktionsfest angesehen wurde (s.u. Rn 8). Diese Auffasung ist aber überholt.

Insgesamt enthält das Gesetz ein abgestuftes System des Rechtserwerbs bei beweglichen Sachen. Hat der Eigentümer die Sache freiwillig weggegeben, so kann ein Gutgläubiger nach § 932 sogleich Eigentum erwerben. Bei unfreiwilliger Weggabe (§ 935) kommt eine Ersitzung nach 10 Jahren in Betracht (§ 937). Liegen weder die Voraussetzungen des § 932 noch des § 937 vor, so kann auch der Bösgläubige nach 30 Jahren die Herausgabe wegen Verjährung verweigern (§ 197 I Nr 2). Zum Problem des Kunstraubs vgl Prütting FS Meincke 15, 273; Schellerer, Gutgläubiger Erwerb und Ersitzung von Kunstgegenständen 16; Jayme FS Lynen 18, 239. Die Probleme des Kunstraubs aus der Zeit vor 1945 werden von der Verjährungsregelung des § 197 I erfasst (aA Klose, Das Eigentum als nudum ius im Bürgerlichen Recht, 16, S 65 ff, der die Verjährungsregelung des Eigentumsherausgabeanspruchs für verfassungswidrig hält).

B. Begriff und Anwendungsbereich.

 

Rn 2

Bei der Ersitzung handelt es sich um einen gesetzlichen Erwerbstatbestand des Eigentums an beweglichen Sachen. Somit kann auch der Minderjährige ersitzen. Zur Buchersitzung bei Grundstücken vgl § 900. Eine Ersitzung von Rechten kennt das deutsche Privatrecht nicht. IE setzt die Ersitzung voraus, dass folgende vier Tatbestandsmerkmale zu bejahen sind: Der Erwerber muss eine bewegliche Sache besitzen (s.u. Rn 3), es muss sich um Eigenbesitz handeln (s.u. Rn 4), dieser muss 10 Jahre andauern (s.u. Rn 5) und der Erwerber muss gutgläubig sein (s.u. Rn 6).

C. Tatbestandsvoraussetzungen.

I. Der Besitz einer beweglichen Sache.

 

Rn 3

Zum Begriff der Sache s.o. § 90. Zur Abgrenzung der beweglichen Sachen s.o. § 929 Rn 3. Eine Ersitzung ist auch bei Tieren möglich (§ 90a). Nicht möglich ist eine Ersitzung an dem Grundstücksrecht unterliegenden wesentlichen Bestandteilen (§§ 93, 94). Möglich ist dagegen eine Ersitzung am Zubehör (§ 97), da durch längeren Eigenbesitz des Erwerbers die Zubehöreigenschaft erlischt. Die Ersitzung kommt auch für öffentliche Sachen in Betracht (Soergel/Henssler § 937 Rz 1). Zum Sonderfall der Ersitzung bei Erbschaftsgegenständen vgl § 2026. Die Ersitzung wird durch relative Veräußerungsverbote (§§ 135, 136) nicht ausgeschlossen.

II. Eigenbesitz.

 

Rn 4

Zum Eigenbesitz s.o. § 872. Danach kommt es auf die Willensrichtung des Besitzers an, ob er eine Sache als ihm selbst gehörend besitzt. Für diesen Besitzwillen kommt es im Hinblick auf den gesetzlichen Erwerbstatbestand lediglich auf einen natürlichen Willen an. Ob der jeweilige Eigenbesitz ein unmittelbarer oder mittelbarer Besitz (s.o. § 868) ist, macht keinen Unterschied, wie sich etwa aus § 939 entnehmen lässt.

III. Zeitablauf.

 

Rn 5

Die Ersitzungszeit beträgt 10 Jahre und ist damit deutlich länger als im früheren gemeinen Recht (drei Jahre) oder zB im schweizerischen Recht (fünf Jahre). Der Eigenbesitz muss die ganze Zeit hindurch andauern (beachte allerdings die Vermutung des § 938). Tritt ein Besitzwechsel ein, so beginnt für den neuen Besitzer eine neue Ersitzungszeit. Wandelt sich Fremdbesitz in Eigenbesitz um oder entsteht der gute Glaube nachträglich, so beginnt die Ersitzung nunmehr zu laufen. Zur Hemmung und Unterbrechung vgl §§ 939–942. Zum Fortwirken der Ersitzungszeit bei Rechtsnachfolge und beim Erbschaftsbesitzer vgl §§ 943, 944. Für die Fristberechnung gelten die §§ 187 ff.

IV. Guter Glaube.

 

Rn 6

Nach II setzt die Ersitzung voraus, dass der Besitzer beim Besitzerwerb gutgläubig ist. Wegen der negativen Formulierung von II wird der gute Glaube vermutet und die Beweislast trägt derjenige, der bösen Glauben behauptet (BGH NJW 19, 3147 Rz 39 unter Bezug a...

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