Talentmanagement Kolumne: Moden im Teambuilding

Talente finden, fördern, binden – dieser Dreiklang birgt viele Zwischentöne und sorgt auch für Missklänge in Unternehmen. Talentmanagement-Experte Martin Claßen gibt in seiner Kolumne Einblicke in die Talentwelt. Heute: Warum Personaler nicht jede Mode im Teambuilding mitmachen müssen.

Als Ergebnis vielfältiger Talentmanagement-Aktivitäten gibt es im Unternehmen gute und sogar sehr gute Kräfte. Sie funktionieren allerdings im Miteinander oftmals nicht als Team, sondern als Ansammlung selbstbewusster und miteinander konkurrierender Individuen. Katrina Pritchard (2010) hat diesen Typus als "Prima Donna-ish" charakterisiert: In der Regel habe man eine Ansammlung von Leuten mit sehr hohem IQ und sehr niedrigem EQ, die quasi emotionale Autisten seien, schreibt Pritchard und weiter: Man erhalte Leute, die im Allgemeinen sehr hell sind, sich stark über Geld motivieren lassen, sehr auf ihren Status bedacht sind, divenhafte Neigungen aufweisen und Egos so groß wie Planeten haben.

Talente mit fragwürdigen Events zusammenschweißen

Was liegt in einer solchen Situation näher als Teambuilding? Der gute alte Betriebsausflug ist in modernen Unternehmen allerdings seit langem out und nur noch das jährliche Ritual von Gemeindeverwaltungen in der Provinz. Oder die ewig gleichen Teamdinner mit Essen, Trinken und zwanglosem Plaudern bis in die Puppen. Bei denen ohnehin jeder neben den alten Bekannten sitzt und am liebsten um 21 Uhr wieder in seiner "Home Zone" wäre. Die Moden aus den 90er-Jahren wie paramilitärische Outdoorevents mit psychologisch geschulten Terrorismusbekämpfern à la „GSG 9“ haben heute an Glanz verloren: Abseilen in irgendeine Schlucht, Canyoning entlang des Wildbachs und Picknickpause an der Mündung. Wo dann diese Psychoexperten die Hymnen von Vertrauen, Teamgeist und Zusammenarbeit schmetterten.

Die Peinlichkeit der Teamevents kennt keine Grenzen

"Forming – Storming – Norming – Performing" nennt sich der immer noch gängige Viervierteltakt im Teambuilding. Darauf basierende gruppendynamische Aktivitäten aus der vergangenen Dekade wie gemeinsames Kochen und Trommeln langweilen spätestens nach der dritten Wiederholung oder sind – wie Karaoke und "Action Painting" – einfach nur Grund fürs Fremdschämen. Der Gipfel an Peinlichkeit waren schließlich Trips auf den Ballermann oder die Kö.

Doch noch immer werden Business-ferne Hobbys und urlaubsnahe Destinationen von Dienstleistern mit den berühmten "Impulsen zur Stärkung von Gruppenidentität" aufgeladen, offenkundig zur Verbreiterung ihres ansonsten eher mauen Kundenspektrums: Kletterkurs, Floßbau, Stadtrallye, Filmdreh – solche Sachen als Stimmungsaufheller mit kurzen Halbwertszeiten und minimalen Bezügen zum Arbeitsalltag, die dann umständlich herbeikonstruiert und schnell wieder vergessen werden.

Tiere lehren Teamgefühle

Und es gibt noch mehr solcher fragwürdiger Analogien im Trainingsbereich: Besonders beliebt ist derzeit die Tierwelt. Wobei Pferde allerdings schon wieder passé sind. Als "Dernier Cri" gilt das Schafehüten: Dabei wird das Training aus dem Seminarraum auf eine Wiese mit ganz vielen blökenden Tieren verlagert, am besten 1.000 plus. Normalerweise haben der Schäfer und sein Hund eine solche Herde im Griff. Nun soll aber das Team die anfänglich noch friedlich weidenden Tiere durch ein Gatter auf die nächste Weide schicken. So lautet die Aufgabe. Immerhin ist das Ziel klar. Die meist klägliche Umsetzung bietet dann zahlreiche "Learnings" auf dem langen Weg zum "High Performance Team".

Gähn! Etwas Neues muss her – oder eigentlich etwas Besseres. Hier lohnt der Blick über den großen Teich, da dort die Ermüdungserscheinungen noch früher eingetreten sind. Dafür können Sie einmal bei John Kanengieter und Aparna Rajagopal-Durbin in der Harvard Business Review aus dem April 2012 nachsehen.

Drittklässler zum Team zusammenschmieden?

Nachtrag: Kürzlich erzählte mir mein Sohn vom Teambuilding in der dritten Grundschulklasse. Auch dort gibt es nämlich Hahnenkämpfe und Zickenkriege. Eine Expertin mühte sich zwei Tage mit den Kiddies ab. Am Ende sollte der Lernerfolg ermittelt werden, durch einen Stimmungs- und Bewusstseinstest. "Wie hast Du es gefunden?" war Frage Nummer 1, die auf einer Skala von Null bis Zehn beantwortet werden sollte. "Super – eine Neun!", war die offizielle Antwort meines Buben. „Was ist richtiges Verhalten?“ lautete Frage Nummer 2. "Zuhören, Wertschätzen und natürlich fair sein", fasste der Neunjährige seine Bewusstseinserweiterung zusammen. Daheim am Mittagstisch beschwerte er sich vehement über die verlorene Zeit. Mein Fazit: Er hatte beide Lektionen verstanden und könnte bereits jetzt als "Organisational Player" mitmach(t)en.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talentmanagement gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.