Kolumne: Entspannung für Talente

Gerade junge Arbeitnehmer legen Wert auf Work-Life-Balance, heißt es in vielen Studien. Die Unternehmen bieten ihren Talenten aber wenig wirklich effektive Maßnahmen dafür. Dabei könnten sie sich die in der Politik abschauen, zeigt Martin Claßen in seiner heutigen Kolumne.

In manchen Unternehmen hat sich mittlerweile eine harte Sanktionspraxis gegen Workaholics unter den Talenten herausgebildet. Zum Schutz der besonders Fleißigen wird dort um Mitternacht das Licht in den Bürozimmern ausgeschaltet - oder die aus Compliance-Gründen im Zeitdokumentationssystem erfasste Arbeitszeit wird auf maximal acht Stunden abgeregelt. Soll ein Talent doch bitteschön selbst schauen wie es (a) seine Arbeitslast in dieser Zeit erledigt oder (b) einen Weg zum Austricksen der Zeiterfassung findet.

Neulich erlaubte mir eine wenig zeitsouveräne Führungskraft den Blick in ihren Mailverkehr. Dort fand sich, abgeschickt um 21:19 Uhr, die Mail ihres Vorgesetzten als Weiterleitung eines Reminders aus dem Personalbereich. Sie möge vierzehn Mitarbeitern mit unsäglichen Überstundenkontos endlich und mit enger Fristsetzung die ihnen zustehenden Freiräume ermöglichen. Eine Mail später, abgeschickt um 21:23 Uhr, erinnerte derselbe Vorstand besagte Führungskraft an die zusätzlichen Anstrengungen, die mit dem nächsten Strategieprojekt auf sie alle zukommen würden.

Vorbild für Work-Life-Balance: David Cameron

Es geht auch anders. Großbritannien wird offenbar statt in 24 Stunden in acht Stunden täglich regiert, "Free Weekends" inklusive. David Cameron, britischer Premierminister, nimmt sich seine Auszeiten konsequent, weiß "Spiegel-Online": Auf seinem I-Pad spielt er zur Entspannung zwischendurch Spiele wie "Angry Birds" und hat es dort bis zum höchsten Level geschafft. Inzwischen ist er zu „Fruit Ninja“ gewechselt. Außerdem verbringt Cameron jede Woche eine fest terminierte "Date Night" mit seiner Frau Samantha.

Heilig sind ihm die Wochenenden auf seinem Landsitz. Die Cameron mit Billard und Tennis, Kochen und Wein sowie gelegentlichem Karaoke verbringt. Bei Staatsbesuchen wissen Zeremonienmeister inzwischen, dass sie für ihren Gast immer etwas Privatzeit zwischen den Terminen abzwacken müssen.

In seiner Heimat bringt ihm dieses Verhalten teilweise hämische Kommentare und andererseits heimliche Bewunderung ein. Zollen wir ihm doch einfach nur großen Respekt. Bei Staatskrisen am Wochenende, während einer "Date Night" oder in der Endspielphase von "Fruit Ninja" vertritt ihn dann wohl die Queen.

Der Antiheld der Talentmanager: Francois Holland

Die menschlichen Grundbedürfnisse von Talenten, etwa nach Erotik und Entertainment, werden von ihren Organisationen oft falsch unterschätzt. Dies führt zu verdruckster Geheimniskrämerei, so beim französischen Staatspräsidenten. Der fährt spätnachts verstohlen auf dem Rücksitz eines Motorrollers aus einer Tiefgarage in der Nähe des Élysée-Palasts zum Schäferstündchen mit einer Schauspielerin ins unbewachte Hotel, wie "Spiegel-Online" berichtete.

Skandal ruft das Boulevard. Risiko meint die Security. Schlechte Work-Life-Balance aus Sicht von HR.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.