Das Wichtigste in Kürze:

1. Gem. § 77 OWiG bestimmt das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme unbeschadet der Vorschrift des § 244 Abs. 2.
2. Die Beweisaufnahme (§§ 244 – 257) ist im Bußgeldverfahren teilweise anders gestaltet als im Strafverfahren.
3. Für die Verlesung von Schriftstücken und Protokollen gelten grds. die allgemeinen Regeln der §§ 249 ff. Besonderheiten ergeben sich aus §§ 78 f. OWiG.
4. Auch im Bußgeldverfahren gilt die Widerspruchslösung des BGH.
5. Für im Bußgeldverfahren gestellte Beweisanträge gelten hinsichtlich Inhalt, Form usw. die allgemeinen Regeln.
6. In § 77a OWiG ist die Möglichkeit einer vereinfachten Art der Beweisaufnahme vorgesehen.
7. Nach § 78 Abs. 1 OWiG kann das Gericht, statt ein Schriftstück zu verlesen, dessen wesentlichen Inhalt bekannt geben, soweit es nicht auf den Wortlaut des Schriftstücks ankommt.
 

Rdn 1520

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Allgemeines, Teil B Rdn 1476.

 

Rdn 1521

1. Gem. § 77 OWiG bestimmt das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme unbeschadet der Vorschrift des § 244 Abs. 2. Damit gilt grds. auch im Bußgeldverfahren der Grundsatz der Amtsaufklärung (OLG Brandenburg NZV 2013, 49; VRR 2012, 396 m. Anm. Burhoff; OLG Celle NJW 2010, 3794; OLG Hamm VRR 2010, 474). Den Betroffenen trifft also keine Darlegungs- oder Beweislast (Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 2 ff. m.w.N.; vgl. aber KG, Beschl. v. 27.4.2020 – 3 Ws (B) 49/20, NZV 2020, 597 [Ls.] zur Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Verhältnisse des abwesenden Betroffenen). Bei der Bestimmung des Umfangs der Beweisaufnahme hat das Gericht aber kein freies Ermessen, vielmehr muss es nach § 77 Abs. 1 S. 2 OWiG die Bedeutung der Sache berücksichtigen, z.B. bei einem Verkehrsunfall die Höhe des Sachschadens (wegen der Einzelh. Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 4 ff. m.w.N.).

 

Rdn 1522

2. Die Beweisaufnahme (§§ 244 – 257) ist im Bußgeldverfahren teilweise anders gestaltet als im Strafverfahren, und zwar:

Zu § 244 ergeben sich Abweichungen aus § 77 OWiG (s. Teil B Rdn 1510).
§ 245 (→ Präsentes Beweismittel, Teil P Rdn 2468) gilt nicht (Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 57).
§ 247 (→ Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung, Teil E Rdn 1736) findet hingegen Anwendung.
 

Rdn 1523

3. Für die Verlesung von Schriftstücken und Protokollen gelten grds. die allgemeinen Regeln der §§ 249 ff. (→ Verlesung von Protokollen, Allgemeines, Teil V Rdn 3488, m.w.N.), allerdings mit Besonderheiten aus den §§ 78 f. OWiG. Im Einzelnen:

Grds. gilt für die Verlesung von Schriftstücken, soweit nicht § 77a OWiG Anwendung findet (Teil B Rdn 1519), auch § 249 Abs. 1 (→ Urkundenbeweis, Allgemeines, Teil U Rdn 3162 m.w.N.; zur Verlesung von Angaben des Verteidigers → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Vorbereitung/Gang der Hauptverhandlung, Teil B Rdn 1536; → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Anwesenheit des Betroffenen, Teil B Rdn 1488). Messprotokolle sind Urkunden, müssen also in der HV verlesen werden. Auf sie kann daher dann auch nicht gem. § 267 Abs. 1 S. 3 im Urteil Bezug genommen werden (OLG Bamberg zfs 2015, 49; Beschl. v. 7.8.2017 – 3 Ss OWi 996/17, NStZ-RR 2018, 89 [Ls.]; Beschl. v. 7.3.2018 – 3 Ss OWi 284/18, DAR 2018, 279; OLG Brandenburg NStZ 2005, 413; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.3.2018 – 3 RBs 54/18, DAR 2018, 387 [Einnahme des Augenscheins reicht nicht];OLG Hamm VA 2008, 52; NStZ-RR 2009, 151; Beschl. v. 11.5.2017 – 4 RBs 152/17; OLG Jena VRS 114, 37; Beschl. v. 27.2.2020 – 5 RBs 63/20, VA 2020, 107; OLG Koblenz zfs 2014, 171; OLG Schleswig zfs 2014, 413; wegen weit. Nach. Burhoff/Burhoff, OWi Rn 3833).
§ 249 Abs. 2 (→ Urkundenbeweis, Selbstleseverfahren, Teil U Rdn 3193) wird insgesamt durch § 78 OWiG verdrängt (Göhler/Seitz, § 77a Rn 1a).
Soweit auf der Grundlage des § 77a OWiG eine Verlesung von Protokollen über die Vernehmung von Zeugen, SV und Mitbetroffenen nicht erlaubt ist, gilt nach § 77a Abs. 4 S. 2 OWiG die Regelung des § 251 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 und Abs. 4 auch im Bußgeldverfahren (Göhler/Seitz/Bauer, § 71 Rn 38c m.w.N.; → Verlesung von Protokollen, Protokolle und Urkunden aller Art, Teil V Rdn 3527; → Verlesung von Protokollen, richterliche Vernehmungsprotokolle, Teil V Rdn 3558, → Verlesung von Protokollen, Verlesung zur Gedächtnisstützung, Teil V Rdn 3594).
Es gilt auch § 252 (Göhler/Seitz/Bauer, § 71 Rn 38d m.w.N.; OLG Bamberg NStZ-RR 2012, 83; → Verlesung von Protokollen, Verlesung nach Zeugnisverweigerung, Teil V Rdn 3573), was zur Folge hat, dass auch im Bußgeldverfahren die Aussage eines vor der HV vernommenen Zeugen, der sich erst in der HV auf sein ZVR beruft, nicht verlesen werden darf (OLG Jena VRS 112, 354; s. noch OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2019 – 4 RBs 147/19, StRR 12/2019, 21).

Für die Verlesung von behördlichen Gutachten gilt § 256 (→ Verlesung von Behördengutachten, Teil V Rdn 3461).

 

☆ Der TÜV und der Deutsche Kraftfahrzeug-Überwachungsverein sind keine öffentliche Behörde i.S.d. § 256 Abs. 1 (O...

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