Das Wichtigste in Kürze:

1. § 247 ist eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift.
2. Die Entfernung des Angeklagten aus der HV ist im Interesse der Sachaufklärung zulässig, zum Schutz von Zeugen und zum eigenen Schutz des Angeklagten.
3. Der Ausschluss erfasst grds. keine Verfahrensvorgänge mit selbstständiger verfahrensrechtlicher Bedeutung. Für den Ausschluss ist ein förmlicher Beschluss des Gerichts erforderlich.
4. Ist der Angeklagte zur HV wieder zugelassen, muss er vom wesentlichen Inhalt dessen, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, unterrichtet werden.
5. Nach der Unterrichtung des Angeklagten hat dieser das Recht, ggf. das Fragerecht des Angeklagten auszuüben.
6. Die Entfernung des Angeklagten ohne (begründeten) Beschluss ist ein absoluter Revisionsgrund.
 

Rdn 1737

 

Literaturhinweise:

Basdorf, Reformbedürftigkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 247 StPO, in: Festschrift für Hanskarl Salger, 1995, S. 203

Bung, Verhandlung über die Entlassung des Zeugen und Augenscheinseinnahme in Abwesenheit des gemäß § 247 StPO entfernten Angeklagten als Fälle des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO

HRRS 2010, 50

Burghardt, Wirksame Inaugenscheinnahme in Abwesenheit des Angeklagten, NJ 2010, 172

Dahs, Volenti non fit iniuria – warum nicht auch bei § 247 StPO?, in: Festschrift für Gunter Widmaier, 2008, S. 95

Erb, Zur Inaugenscheinnahme in Abwesenheit des Angeklagten, Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 11.11.2009 – 5 StR 530/08, NStZ 2010, 347

Gleß, § 247a StPO – (auch) eine Wohltat für den Angeklagten?, JR 2002, 97

Granderath, Schutz des Tatopfers im Strafverfahren, MDR 1983, 797

Leitner, Videotechnik im Strafverfahren, 2012

Metz, Entfernung des Angeklagten nach § 247 StPO, NStZ 2017, 446

H. Schneider, Zur audio-visuellen Unterrichtung des aus der Hauptverhandlung zeitweise entfernten Angeklagten über das in seiner Abwesenheit Verhandelte – zugleich Besprechung von BGH NStZ 2018, 156, NStZ 2018, 128

Strate, Zur zeitweiligen Ausschließung des Angeklagten von der Hauptverhandlung, NJW 1979, 909

Tiedemann/Sieber, Die Verwertung des Wissens von V-Leuten im Strafverfahren, NJW 1984, 753

Ullrich, Schutz des verletzten Zeugen durch Entfernung des Angeklagten gem. § 247 StPO im Bereich der Sexualdelinquenz, 1998

Wölky, § 247 StPO im Windkanal des 5. Strafsenats, StraFo 2009, 397 s.a. die Hinw. bei → Vereidigung eines Zeugen, Teil V Rdn 3259, und bei → Videovernehmung in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3900.

 

Rdn 1738

1. § 247, der den zeitweiligen Ausschluss des Angeklagten aus der HV ermöglicht, ist eine eng auszulegende Ausnahme vom Recht und der Pflicht des Angeklagten zur persönlichen Anwesenheit während der gesamten HV (vgl. BGHSt 26, 218, 220; u.a. BGHSt 46, 143 m.w.N.; 55, 87; BGH, Beschl. v. 11.12.2018 – 2 StR 250/18, NJW 2019, 692 m. Anm. Burhoff StRR 4/2019, 8; OLG Hamm StV 2010, 65; Meyer-Goßner/Schmitt, § § 247 Rn 1; Metz NStZ 2017, 446; → Anwesenheitspflicht des Angeklagten, Teil A Rdn 411). Dieser Normzweck muss bei der Anwendung der Vorschrift beachtet werden. Die Entfernung des Angeklagten aus der HV geht aber einer etwaigen → Videovernehmung in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3900, nach § 247a Abs. 1 vor, da die persönliche Vernehmung des Zeugen Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Angeklagten hat (so a. BGH NStZ 2001, 608; KK-Diemer, § 247a Rn 8, 11; zur wegen der Gefährdungslage vorzugswürdigen Vernehmung eines Verdeckten Ermittlers in Abwesenheit des Angeklagten BGH NStZ 2006, 648; zum Verhältnis s.a. Metz NStZ 2017, 446 f.). Im JGG-Verfahren kommt für den Ausschluss des jugendlichen Angeklagten neben § 247 auch § 51 Abs. 1 S. 1 JGG in Betracht (dazu BGH NJW 2002, 1735 [Ls.]; Metz NStZ 2017, 446, 448; → Jugendgerichtverfahren, Besonderheiten der Hauptverhandlung, Teil J Rdn 2134).

2. Die Entfernung/der Ausschluss des Angeklagten aus der HV ist nach § 247 nur in folgenden Fällen zulässig (dazu a. Wölky StraFo 2009, 397; Metz NStZ 2017, 446, 447):

 

Rdn 1739

a) Nach § 247 S. 1 kann der Angeklagte im Interesse der Sachaufklärung ausgeschlossen werden, und zwar dann, wenn die begründete Besorgnis besteht, ein Zeuge oder ein Mitangeklagter (BGH NStZ-RR 2007, 289 [Be]) werde in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen. Die vom Gericht zu treffende Entscheidung muss sich auf bestimmte Tatsachen gründen (LR-Becker, § 247 Rn 16; KK-Diemer, § 247 Rn 5 m.w.N.; s.a. BGH NStZ 2015, 103). Sie kann auch nicht (allein) darauf gestützt werden, dass nach einer ärztlichen Bescheinigung eine Begegnung einer "psychisch alterierten und traumatisierten Zeugin" mit dem Angeklagten aus medizinischen Gründen unbedingt vermieden werden sollte (OLG Oldenburg StV 2011, 219). Dazu folgende Beispiele:

 

Rdn 1740

 

Zulässige Entfernung des Angeklagten

die Angst einer vom Angeklagten bedrohten Zeugin vor (weiteren) Repressalien (BGH NStZ 1990, 27 [M]),
bei Nötigung durch Angehörige, Freunde oder Helfershelfer des Angeklagten (allgemein BGH NStZ 1999, 419, 420; s.a. BGH NStZ 2004, 220, 221),
ggf. ...

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