Wie realistisch ist es, auf zirkuläres Bauen zu setzen?

Abreißen und neu bauen – angesichts des enormen Ressourcenverbrauchs kommt dieses Vorgehen zusehends in die Kritik. Aktuelle Untersuchungen zeigen, wie mehr Kreislaufwirtschaft in der deutschen Bauwirtschaft möglich ist.

Mehr als ein Drittel (35 Prozent) des Energieverbrauchs und knapp die Hälfte (40 Prozent) der Treibhausgasemissionen: Der Bausektor hat einen großen Anteil an der Klimaerwärmung. Zwar steigen die Energiestandards im Gebäudebereich und auch der Anteil der Erneuerbaren Energien nimmt zu. Aber nach wie vor landen zig Millionen Tonnen Abfälle, die vor allem beim Abriss entstehen, Jahr für Jahr auf dem Müll. Statt die Materialien wieder zu verwenden, ist die Deponie Endstation.

Recycling: "Graue Energie" in den Fokus nehmen

Im Bausektor gibt es zwar Recycling, aber oftmals handelt es sich um ein "Downcycling": Die Materialien werden zum Beispiel nach der Aufbereitung nur noch als Füllgut eingesetzt – im Vergleich zum Ausgangsmaterial ist die Qualität minderwertig und die Einsatzfähigkeiten sind beschränkt.

Bislang werde die sogenannte graue Energie – also alles, was für Herstellung, Transport, Lagerung und Entsorgung eines Gebäudes aufgewandt werden muss – viel zu wenig in den Fokus genommen, sagt die Umweltschutzorganisation WWF und fordert: Das müsse sich dringend ändern. Denn der Anteil der grauen Energie am Gesamtenergieverbrauch steige, deshalb sei diese ein idealer Hebel, um die Klimaschutzziele im Gebäudesektor zu erreichen. Im aktuellen Gebäudeenergiegesetz spiele dieser Aspekt jedoch keine Rolle, kritisiert der WWF.

Kreislaufwirtschaft: Was ist wie schnell machbar?

Um herauszufinden, wie realistisch es ist, mehr auf Kreislaufwirtschaft und Zirkuläres Bauen zu setzen, hat die Organisation eine juristische Kurzstudie in Auftrag gegeben. Die kommt zu dem Ergebnis, dass viele Änderungen auf Bundes- und Landesebene kurz- bis mittelfristig machbar wären. Auch das Umweltbundesamt hat sich in einem aktuellen Papier mit dem Thema beschäftigt und Empfehlungen für verschiedene Wirtschaftszweige und für die Bauwirtschaft herausgegeben.

Kernpunkt der Vorschläge des WWF ist, den Gebäudebestand bestmöglich zu erhalten und zu sanieren, statt Häuser "leichtfertig" abzureißen. Für den Abbruch eines Gebäudes müsse es eine verpflichtende behördliche Genehmigung geben, statt lediglich eine Anzeigepflicht. Bei Neubauten solle von Beginn an auf eine zirkuläre Konzeption gesetzt werden. Auf allen Ebenen des Gebäudesektors müsste laut WWF die Wiederverwendung gefördert werden, öffentliche Gebäude könnten Vorreiter sein. Der Organisation schwebt eine Musterbauordnung vor, an der sich alle Landesbauverordnungen orientieren.

BIM trifft Zirkuläres Bauen

Gebäude müssten viel mehr als Systeme betrachtet und bewertet werden, meint der WWF – mit Hilfe von Lebenszyklusanalysen und Ökobilanzierungen. Anhand dieser Informationen wäre es einfacher, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Eine große Hilfe könnte dabei das Building Information Modeling (BIM) sein: Bei der Erfassung über BIM blieben als "digitaler Zwilling" des Baus Daten zur Gebäudekonstruktion sowie zu energetischen und bauphysikalischen Eigenschaften erhalten.

Wenn ein derartiges  Vorgehen gesetzlich verankert und in Deutschland vorgeschrieben wäre, ergäbe das eine große und wertvolle Materialquelle im "Urban Mining", sagt der WWF. Erste Schritte in diese Richtung gibt es auf Bundesebene bereits: Die Ampelkoalition plant einen digitalen Gebäuderessourcenpass.

Sanierung statt Abriss vorschreiben?

Geprüft hat der WWF in der Kurzstudie auch, inwieweit welche Gesetze auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene geändert werden müssten, um die Vorschläge zu implementieren – beispielsweise die Priorisierung von Sanierungen anstelle des Gebäudeabrisses im öffentlichen Bereich.

Die Gemeinden behielten trotzdem ihren Gestaltungsspielraum bei der Planung und Organisation von Projekten, heißt es in dem Papier – und könnten einen Abriss auch zukünftig begründen und veranlassen. Insofern seien auch keine Grundrechte beeinträchtigt. Weiter schlägt der WWF vor, dass bereits während der Genehmigungsphase Rückbaukonzepte verpflichtend vorgelegt werden sollten, damit das bessere Recycling der eingesetzten Bauprodukte sichergestellt ist. Auch der Einsatz von Holz oder von nachhaltigen Energiesystemen sollte nach Meinung des WWF Pflicht werden.

Umweltbundesamt: Gesamte Wertschöpfungskette "zirkulär gestalten"

Zirkuläre Wirtschaftsweisen und Ressourcenschonung sind nicht nur aufgrund von Klima- und Umweltschutz wichtig: Das Umweltbundesamt weist in seinem Positionspapier auch auf die durch die geopolitischen Spannungen unterbrochenen Rohstoffströme und Lieferkettenengpässe hin. Aber allein auf mehr Wiederverwertung und Recycling zu setzen, reiche nicht aus, betont die Behörde.

Nötig sei vielmehr ein kompletter Paradigmenwechsel. Denn Abfallsortierung und -verwertung könnten nicht bis Unendliche verbessert werden. Deshalb sei es notwendig, die Stoffkreisläufe in Gänze mehr in den Blick zu nehmen: Die Wertschöpfungskette müsse in ihrer Gesamtheit zirkulär gestaltet werden. Dazu gehöre auch, in den Produkten möglichst auf Schadstoffe zu verzichten. Und auch der Rohstoffverbrauch müsse mehr in den Fokus, sagt das Umweltbundesamt: Materialien müssten sparsamer und effizienter eingesetzt werden, damit weniger Umweltbelastungen entstehen.

Idee von der "Primärbaustoffsteuer"

In dem Positionspapier geht es um viele verschiedene Wirtschaftszweige, der Bausektor ist einer davon. Die Rede ist – analog zu Energie- oder Verkehrswende – von einer Bauwende. Hierzu gibt es verschiedene Empfehlungen. Zum Beispiel schlägt das Umweltbundesamt eine "Primärbaustoffsteuer" in Höhe von drei Euro pro Tonne Kies und Sand vor: Mit den Einnahmen könnten das Baustoffrecycling und das ressourceneffiziente Bauen gefördert werden.

Mit einer "Urban-Mining-Strategie" will das Umweltbundesamt hochwertige sekundärer Rohstoffe aus langfristigen urbanen Lagerstätten – zum Beispiel aus dem Gebäudebestand – erfassen und damit eine vorausschauende, zirkuläre Materialwirtschaft etablieren, mit Materialkataster, Gebäudepass samt Materialinventar und dem vermehrten Einsatz von BIM. Nachhaltiges Bauen müsse zudem als Pflicht über Bundesbauten hinaus etabliert werden, heißt es in dem Papier, und der Rechtsbereich müsse auf den Prüfstand: Zum Beispiel soll die EU-Bauproduktenverordnung nach Vorschlag des Umweltbundesamts überarbeitet werden mit dem Ziel, die zirkuläre Bauwirtschaft zu stärken.

Und was ist mit den Kosten?

Die Baubranche ächzt aktuell schon genug unter den explodierenden Preisen. Und tatsächlich, so heißt es in dem Papier des WWF, seien kreislauffähige Gebäude bei der Herstellung auch teurer. Allerdings relativiere sich dies im Laufe der Zeit: Würden in Gebäuden langlebige Materialien eingesetzt, die recycelt werden können, zahle sich dies im Lebenszyklus des Gebäudes aus.

WWF-Hintergrundpapier "Circular Economy im Gebäudesektor" (PDF)

Kreislaufwirtschaft: Juristische Kurzstudie im Auftrag des WWF Deutschland (PDF)

Umweltbundesamt: Empfehlungen für die Fortentwicklung der deutschen Kreislaufwirtschaft zu einer zirkulären Ökonomie (PDF)


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