Gesetzestext

 

(1) Die Entziehung des Pflichtteils erfolgt durch letztwillige Verfügung.

(2) 1Der Grund der Entziehung muss zur Zeit der Errichtung bestehen und in der Verfügung angegeben werden. 2Für eine Entziehung nach § 2333 Absatz 1 Nummer 4 muss zur Zeit der Errichtung die Tat begangen sein und der Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen; beides muss in der Verfügung angegeben werden.

(3) Der Beweis des Grundes liegt demjenigen ob, welcher die Entziehung geltend macht.

A. Inhalt und Wirkung.

 

Rn 1

Der Pflichtteil kann ganz oder teilw entzogen werden. Die Entziehung ist ein unverzichtbares (§ 2302) Gestaltungsrecht. Sie erfasst auch den Pflichtteilsrest- (§ 2305, 2307) und den Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 ff) und ist idR, wenn kein anderer Erblasserwille ermittelbar ist, mit einer Enterbung (§ 1938) verbunden (BayObLG FamRZ 96, 826, 828; 00, 1459). Insoweit ist der Erblasserwille ggf unter Beachtung der Andeutungstheorie durch Auslegung zu ermitteln (Hamm FamRZ 72, 660, 661; Köln ZEV 96, 430). Die Enterbung bleibt idR bestehen, wenn die Pflichtteilsentziehung unwirksam wird (Hamm FamRZ 72, 660, 662); ggf ist Anfechtung (§ 2078 II) möglich. Die Entziehung kann in Beschränkungen oder Beschwerungen bestehen. Bis zum Erbfall ist Verzeihung möglich (§ 2337). Die Entziehung wirkt erst mit dem Erbfall (BGH NJW 89, 2054 [BGH 18.01.1989 - IVa ZR 296/87]).

B. Form (Abs 1).

 

Rn 2

Die Pflichtteilsentziehung hat persönlich in Form einer letztwilligen Verfügung (§ 1937) zu erfolgen. Es sind alle Testamentsformen (§§ 2249 ff) zulässig. Sie kann in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag (§ 2299 I) erklärt werden, hat aber nie Bindungswirkung (§§ 2270 I, III, 2278 II).

C. Entziehungsgrund (Abs 2).

 

Rn 3

Er muss zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung bestehen, darf bis dahin also nicht verziehen sein. In der Verfügung, nicht nur in Anlagen (BGH NJW 85, 1554 [BGH 27.02.1985 - IVa ZR 136/83]), muss eine hinreichend substanzielle, gerichtlich überprüfbare Tatsachengrundlage (Kernsachverhalt) angegeben sein (Saarbr NJW 18, 957 [OLG Saarbrücken 12.12.2017 - 5 W 53/17] Rz 22). II soll der späteren Beweisbarkeit der tatsächlichen Motivation des Erblassers dienen. Daher muss der Erblasser sich auf bestimmte konkrete Vorgänge unverwechselbar festlegen und den Kreis der in Betracht kommenden Vorfälle praktisch brauchbar eingrenzen (BGH aaO; Hamm NJW-RR 07, 1235, 1237 [OLG Hamm 22.02.2007 - 10 U 111/06]). Die Wiederholung des Gesetzeswortlauts reicht, auch bei schweren Straftaten des Berechtigten, nicht aus. Im Fall der Entziehung nach § 2333 I Nr 4 muss der der Straftat zugrunde liegende Lebenssachverhalt und zudem der Grund für die Unzumutbarkeit mittels konkretisierender Umstände in der Verfügung selbst angegeben werden (II 2; großzügig LG Stuttgart NJW-RR 12, 778, 779: bei Vergewaltigung).

Daher ist ratsam, dass der Erblasser auch bei schweren Straftaten des Berechtigten in der Verfügung vTw konkret darlegt, worin der die Unzumutbarkeit begründende Verstoß gegen die Familiensolidarität liegt, wenn auch die Darlegung im Einzelfall desto knapper erfolgen kann, je schwerwiegender die Tat ist. Immer muss ein Kernsachverhalt (BGH aaO), eine sachverhaltsmäßige Konkretisierung des Entziehungsgrundes (und ggf der Unzumutbarkeit) im Testament angegeben sein (Köln ZEV 96, 430; 98, 144). Seine Ermittlung durch unsichere Auslegung genügt nicht. Wegen des außerordentlichen Gewichts und des demütigenden Charakters der Entziehung ist der Erblasser auch in förmlicher Hinsicht zu verantwortlichem Testieren angehalten (Frankf ZFE 05, 295). Die Anforderungen an die Konkretisierung des Pflichtteilsentziehungsgrundes sind verfassungsgemäß. Sie schützen das Pflichtteilsrecht der Kinder hinreichend und sind dem Erblasser zumutbar (BVerfG NJW 05, 2691 [BVerfG 11.05.2005 - 1 BvR 62/00]), dürfen aber nicht überspannt werden (Mayer ZEV 10, 2, 5; auch BGH ZEV 11, 370 f [BGH 13.04.2011 - IV ZR 102/09]).

D. Prozessuales.

 

Rn 4

Die Beweislast (III) auch dafür, dass Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe nicht vorliegen, trägt der Erbe, bei § 2329 der Beschenkte (BGH NJW-RR 86, 371, 372) und bei § 2318 uU auch der Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigte (Ddorf FamRZ 99, 1469). Bei § 2333 Nr 4 ist neben der Straftat die Unzumutbarkeit zu beweisen. Bzgl der Schuldunfähigkeit wird eine Beweislast des Pflichtteilsberechtigten analog § 827 vertreten (NK/Herzog Rz 23; BeckOKBGB/Müller Rz 12). Eine Verzeihung (§ 2337) muss der Pflichtteilsberechtigte beweisen (Stuttg MDR 19, 555 [OLG Brandenburg 31.01.2019 - 3 W 37/18] Rz 16). Über die Beweislast hat der Urkundennotar aufzuklären (Köln ZEV 03, 464; abl Müller aaO). Zum Beweis der Entziehungsgründe ist es sinnvoll, dass bereits der Erblasser ein selbstständiges Beweisverfahren (§§ 485 ff ZPO) einleitet.

 

Rn 5

Mit der Feststellungsklage (§ 256 I ZPO) kann die Feststellung des Rechts, den Pflichtteil zu entziehen sowie die Feststellung des Nichtbestehens eines Pflichtteilsentziehungsrechts (BGH NJW 58, 1964 [BGH 01.10.1958 - V ZR 53/58]; 74, 1085 [BGH 01.03.1974 - IV ZR 58/72]; 86, 1182 [...

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