Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer nach altem Recht erklärten Pflichtteilsentziehung wegen Eheverfehlungen

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Ob eine unter der Geltung des alten Rechts erklärte Pflichtteilsentziehung wirksam wird, obwohl § 2335 BGB a.F. beim Erbfall nicht mehr in Kraft war, ist entsprechend Art. 213 EGBGB zu beurteilen. Danach kann eine Pflichtteilsentziehung, die (nur) nach altem Recht möglich war, bei einem Erbfall, der nach neuem Recht zu beurteilen ist, nicht mehr wirksam werden.
  2. Art. 14 GG läßt eine gewisse Einengung der Testierfreiheit in dem Randbereich der Pflichtteilsentziehung zu; die Neuregelung entspricht dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG.
 

Normenkette

BGB § 2314 Abs. 1 S. 1; BGB a.F. § 2335; BGB n.F. § 2335; BGB § 2303 Abs. 2 S. 1; EGBGB Art. 213 S. 1; GG Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 14. September 1987 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist der Ehemann der am 23. Oktober 1985 verstorbenen Auguste K. (Erblasserin). Er hatte sich im Jahre 1960 von der Erblasserin getrennt und lebte seitdem mit einer anderen Frau zusammen. Eine Scheidungsklage des Klägers wurde im Jahre 1964 abgewiesen, weil die Erblasserin der Scheidung widersprach. Die mit dem Tode der Erblasserin beendete Zugewinngemeinschaft ist bislang nicht auseinandergesetzt.

Die Beklagten sind die Schwestern der Erblasserin; aufgrund Testaments vom 28. August 1961 sind sie deren Erben. Der Kläger hat Stufenklage erhoben und beansprucht von den Beklagten Auskunft über den Nachlaß und Zahlung des Ehegattenpflichtteils. Demgegenüber berufen sich die Beklagten auf das Testament der Erblasserin, in dem diese die Pflichtteilsentziehung erklärt hat, da der Kläger seit Jahren ein ehebrecherisches Verhältnis zu Frau X unterhalte, deren Ehe deswegen durch Urteil vom 4. Mai 1961 geschieden worden sei.

Das Landgericht hat die Beklagten durch Teilurteil als Gesamtschuldner verurteilt, über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Mit der zugelassenen Revision erstreben die Beklagten weiterhin die Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg; den eingeklagten Auskunftsanspruch sehen die Vorinstanzen mit Recht als begründet an.

I.

Gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Pflichtteilsberechtigter, der nicht Erbe ist, von dem oder den Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses verlangen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger ist durch das Testament der Erblasserin enterbt (§ 1937 BGB), und er gehört gemäß § 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB als deren Ehemann auch zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten. Entgegen der Auffassung der Revision ist dem Kläger der Pflichtteil nicht wirksam entzogen.

II.

1.

Nach § 2335 BGB a.F. konnte der Erblasser seinem Ehegatten den Pflichtteil entziehen, wenn dieser sich einer Verfehlung schuldig gemacht hatte, die dem Erblasser einen Scheidungsgrund gab; Scheidungsgründe in diesem Sinn waren insbesondere der Ehebruch und die schwere Eheverfehlung (§§ 42, 43 EheG a.F.). Diese Vorschrift ist durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl. I 1976 S. 1421) außer Kraft getreten. An ihre Stelle ist gemäß Art. 1 Nr. 47, Art. 12 Nr. 13a mit Wirkung vom 1. Juli 1977 § 2335 BGB n.F. getreten. Danach kann der Erblasser seinem Ehegatten den Pflichtteil heute nur noch entziehen, wenn dieser dem Erblasser oder einem seiner Abkömmlinge nach dem Leben trachtet, wenn der Ehegatte sich einer vorsätzlichen körperlichen Mißhandlung des Erblassers oder eines Verbrechens oder schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser schuldig macht, oder wenn der Ehegatte seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt.

Da die Erblasserin keine Pflichtteilsentziehung nach neuem Recht vorgenommen hat, kommt es darauf an, ob die am 28. August 1961 nach altem Recht erklärte Pflichtteilsentziehung wirksam geworden ist, obwohl § 2335 BGB a.F. beim Erbfall am 23. Oktober 1985 nicht mehr galt. Diese Frage ist, da das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts insoweit keine Übergangsvorschriften enthält, entsprechend den Grundsätzen zu beantworten, von denen sich der Gesetzgeber im Übergangsrecht des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche hat leiten lassen (ebenso zu Art. 169 EGBGB z.B. BGH Urteil vom 29.1.1982 - V ZR 157/81 - NJW 1982, 2385 m.w.N.; zu Art. 170 EGBGB z.B. BGHZ 44, 192, 194).

2.

Einschlägig ist insoweit Art. 213 Satz 1 EGBGB. Dieser schreibt - wie § 51 Abs. 1 TestG und Art. 12 § 10 Abs. 1 Satz 1 NEG - bei entsprechender Anwendung auf das hier zu entscheidende Problem vor, daß für die erbrechtlichen Verhältnisse die früheren Vorschriften maßgebend bleiben, wenn der Erblasser vor dem Inkrafttreten der neuen Vorschriften gestorben ist; dagegen sind Erbfälle, die danach eingetreten sind, nach neuem Recht zu entscheiden. Ausnahmen von diesem Grundsatz macht das Gesetz lediglich in Art. 200, 214, 215, 217 EGBGB, die hier nicht in Betracht kommen. Danach kann eine Pflichtteilsentziehung, die (nur) nach altem Recht möglich gewesen wäre, bei einem Erbfall, der nach neuem Recht zu beurteilen ist, nicht mehr wirksam werden. Das hat das Reichsgericht bereits in RGZ 96, 201, 202 entschieden und entspricht allgemeiner Auffassung (Habicht, Die Einwirkung des BGB auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl. S. 733; Affolter, Das intertemporale Recht 1. Band 2. Teil S. 273 Fn. 1; Staudinger/Winkler, 12. Aufl. Art. 213 EGBGB Rdn. 27; Soergel/Hartmann, 11. Aufl. Art. 213 EGBGB Rdn. 4; Battes FamRZ 1977, 433, 440; Soergel/Dieckmann, BGB 11. Aufl. § 2335 Rdn. 3; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB 12. Aufl. § 2335 Rdn. 6; vor § 2333 Rdn. 20; Palandt/Edenhofer, BGB 48. Aufl. § 2335 Anm. 1; OLG Karlsruhe NJW 1989, 109). Die von Bock (MittRhNotK 1977, 205, 213 f.) vertretene Gegenmeinung übersieht, daß § 2336 Abs. 2 BGB keine Vorschrift zur Regelung temporaler Kollisionen ist, sondern ausschließlich materiell-rechtliche Bedeutung hat. Außerdem ist es trotz des Wortlauts von § 2337 Satz 2 BGB nicht richtig, daß eine begründete Entziehungserklärung bereits mit ihrer formgerechten Abgabe (§ 2336 Abs. 1, 2 BGB) Wirkung entfalten würde. Wirkung entfalten, d.h., einen konkreten Pflichtteilsanspruch wirklich ausräumen kann eine Pflichtteilsentziehungserklärung vielmehr immer erst im Zeitpunkt des Erbfalles. Erst dann kann sich beispielsweise ergeben, ob der Bedachte den Erblasser überhaupt überlebt (§ 1923 Abs. 1 BGB), ob er zu dem Erblasser noch in einem Verhältnis steht, das geeignet ist, einen Pflichtteilsanspruch zu begründen, und ob er im Sinne von § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Das alles bleibt ebenso in der Schwebe wie etwa die Möglichkeiten der Verzeihung (§ 2337 BGB), der Abwendung in den Fällen des § 2336 Abs. 4 BGB oder auch der nachträglichen Abfindung. Der Gesetzgeber war nicht gehindert, im Zuge der Reform des Ehescheidungsrechts die Möglichkeiten der Pflichtteilsentziehung unter Ehegatten neu zu ordnen oder einzuschränken. Dabei handelt es sich zwar um eine gewisse Einengung der durch Art. 14 GG mitgeschützten Testierfreiheit in einem Randbereich. Das ist aber unbedenklich (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Pflichtteilsentziehung, die wegen ihres außerordentlichen Gewichts und ihres demütigenden Charakters einer "Verstoßung über den Tod hinaus" (vgl. BGHZ 94, 36, 43) oder für einen Ehegatten einer nachträglichen Quasi-Scheidung nahekommt, soll nach dem Sinn des Gesetzes nur noch in den besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen des § 2335 BGB n.F. möglich sein. Damit entspricht die Neuregelung gleichzeitig dem Sinn des Schutzgebotes des Art. 6 Abs. 1 GG. Auf die von Bowitz (JZ 1980, 304, 307) geäußerten (anders gearteten) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2335 BGB n.F. kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

3.

Die überwiegende Meinung, der der Senat sich anschließt, löst das aufgeworfene Übergangsproblem durchaus sachgemäß.

Der Gesetzgeber hat das Scheidungs- und das Scheidungsfolgenrecht durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts grundlegend geändert, das hier früher maßgebende Schuldprinzip aufgegeben und durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt. Konsequenterweise mußte diese Reform daher auch die erbrechtlichen Folgen solcher Eheverfehlungen beseitigen, die nach früherem Recht einen Scheidungsgrund gebildet hätten. Demgemäß steht außer Zweifel, daß ein Ehegatte, der nach früherem Recht wegen einer früher begangenen Eheverfehlung des anderen Teiles die Scheidung hätte verlangen können, nach dem Inkrafttreten der Reform aufgrund der außer Kraft getretenen Vorschrift des § 2335 BGB a.F. eine Pflichtteilsentziehung nicht mehr wirksam verfügen konnte. Beim Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts bereits ausgesprochene Pflichtteilsentziehungen auch für künftige Erbfälle noch aufrecht zu erhalten, also darauf abzustellen, wann die Entziehung formgültig erklärt worden ist, wäre aber wenig folgerichtig. Eine solche Regelung ließe außer Acht, daß das Gewicht einer lange zurückliegenden Verfehlung nicht davon abhängen kann, wann der gekränkte Ehegatte die Pflichtteilsentziehung erklärt hat. Ob die dafür verhängte Sanktion Platz greift oder nicht, nur von dem Zeitpunkt der Entziehungserklärung abhängig zu machen, ließe sich vor Art. 3 Abs. 1 GG kaum rechtfertigen.

4.

Ein weiterer Entziehungsgrund ist dem Testament der Erblasserin nach der rechtsfehlerfreien Auslegung durch das Berufungsgericht nicht zu entnehmen.

III.

Entgegen der Auffassung der Revision ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die auf § 2314 BGB gestützte Auskunftsklage nicht zweifelhaft. Weder die begehrte Auskunft noch der eingeklagte Pflichtteilsanspruch sind davon abhängig, daß die Zugewinngemeinschaft, die zwischen dem Kläger und der Erblasserin bestanden hat, auseinandergesetzt wird.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Dr. Lang

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Ritter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456328

NJW 1989, 2054

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