Gesetzestext

 

(1) 1Hat der Betrieb keinen Betriebsrat oder kommt aus anderen Gründen innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 nicht zustande, obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat, so kann der Insolvenzverwalter beim Arbeitsgericht beantragen festzustellen, daß die Kündigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. 2Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten nachgeprüft werden.

(2) 1Die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlußverfahren gelten entsprechend; Beteiligte sind der Insolvenzverwalter, der Betriebsrat und die bezeichneten Arbeitnehmer, soweit sie nicht mit der Beendigung der Arbeitsverhältnisse oder mit den geänderten Arbeitsbedingungen einverstanden sind. 2§ 122 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 gilt entsprechend.

(3) 1Für die Kosten, die den Beteiligten im Verfahren des ersten Rechtszugs entstehen, gilt § 12 a Abs. 1 Satz 1 und 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes entsprechend. 2Im Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Erstattung der Kosten des Rechtsstreits entsprechend.

1. Normzweck

 

Rn 1

Die Vorschrift ergänzt § 125 und ist die Antwort des Gesetzgebers darauf, dass sich das Ziel, die Sanierung insolventer Unternehmen zu fördern und Kündigungserleichterungen zu schaffen[1], mittels § 125 in den Fällen nicht erreichen lässt, in denen entweder kein Betriebsrat besteht oder der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat sich nicht auf einen Interessenausgleich mit Namensliste i. S. d. § 125 Abs. 1 Satz 1 verständigen können.[2] Da insolvenzbedingten Kündigungen, soweit es um ihre soziale Rechtfertigung geht, regelmäßig der identische Lebenssachverhalt zugrunde liegt, soll das Arbeitsgericht über die Frage, ob die Kündigung der jeweiligen Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist und die Sozialauswahl ordnungsgemäß erfolgt ist, in einem "Sammelverfahren" einheitlich entscheiden, damit nicht in zahlreichen individuellen Kündigungsschutzprozessen dieselben Fragen geprüft werden müssen.[3] Die Bündelung in einem einzigen Verfahren mit der Bindungswirkung nach § 127 Abs. 1 Satz 1 soll dazu führen, dass die Prozesskosten für die Insolvenzmasse reduziert werden, Betriebsänderungen schneller und einfacher umgesetzt werden und im Idealfall eine übertragende Sanierung erleichtert wird.[4] Denn eine beabsichtigte Betriebsveräußerung kann daran scheitern, dass der potenzielle Erwerber nicht übersehen kann, ob und ggf. welche Arbeitsverhältnisse nicht rechtswirksam beendet wurden und daher trotz vorheriger (unwirksamer) Kündigung gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf ihn übergehen.[5]

[1] BAG 19.12.2013, 6 AZR 790/12, juris, Rn. 22; BT-Drucks. 12/2443, S. 77.
[2] BT-Drucks. 12/2443, S. 149.
[3] LAG München 02.01.2003, 4 Ta 292/02, juris, Rn. 12.; ArbG Hamburg 13.07.2005, 18 BV 5/05, juris, Rn. 30 f.
[5] Vgl. BAG 24.08.2006, 8 AZR 574/05, juris, Rn. 25; Kübler/Prütting/Bork-Schöne, InsO, 82. Lfg. 2019, § 126 Rn. 1.

2. Beteiligte des Verfahrens

2.1 Antragsteller

 

Rn 2

Im Rubrum der Antragsschrift ist der Insolvenzverwalter als Antragsteller und Beteiligter zu 1) anzugeben.[6]

Wie sich dem Wortlaut ("Insolvenzverwalter") sowie der systematischen Stellung der Vorschrift im zweiten Abschnitt des dritten Teils der InsO entnehmen lässt, ist § 126 erst ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, d. h. ab der Bestellung des Insolvenzverwalters (§ 27), anwendbar. Auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 findet die Vorschrift weder unmittelbare noch – mangels planwidriger Regelungslücke im Gesetz – analoge Anwendung.[7] Auch ein "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter ist für ein Beschlussverfahren nach § 126 nicht antragsbefugt.

Hat das Insolvenzgericht keinen Insolvenzverwalter bestellt, sondern die Eigenverwaltung angeordnet (§ 270), ist der Schuldner selbst Antragsteller und Beteiligter zu 1). Zulässig ist der Antrag in diesem Fall wegen § 279 Satz 3 jedoch nur, wenn der Sachwalter der Antragstellung zustimmt.[8] Da alle Zulässigkeitsvoraussetzungen erst im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 126 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. § 83 Abs. 4 Satz 2 ArbGG) erfüllt sein müssen, genügt es, wenn der Sachwalter die Antragstellung nachträglich genehmigt.[9]

[8] LAG Stuttgart 03.07.2014, 10 TaBV 3/14, juris, Rn. 10; HK-InsO/Linck, 9. Aufl. 2018, § 126 Rn. 8; MüKo/InsO-Kern, 4. Aufl. 2020, § 279 Rn. 17.
[9] Uhlenbruck-Zipperer, InsO, 15. Aufl. 20...

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