Gesetzestext

 

(1) 1Ist eine Betriebsänderung (§ 111 des Betriebsverfassungsgesetzes) geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so ist § 1 des Kündigungsschutzgesetzes mit folgenden Maßgaben anzuwenden:

1. es wird vermutet, daß die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist;
2. die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.

2Satz 1 gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat.

(2) Der Interessenausgleich nach Absatz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 des Kündigungsschutzgesetzes.

1. Allgemeines

1.1. Normzweck

 

Rn 1

§ 125 dient der Sanierung insolventer Unternehmen und trägt dem Umstand Rechnung, dass gerade im Insolvenzfall oft ein Bedürfnis nach einer zügigen Durchführung einer Betriebsänderung und eines größeren Personalabbaus besteht.[1] Damit der Insolvenzverwalter nicht einer Fülle von langwierigen und schwer kalkulierbaren Kündigungsschutzprozessen ausgesetzt ist, schafft die Vorschrift zusätzliche Kündigungserleichterungen, um die erfolgreiche Sanierung insolventer Unternehmen zu fördern.[2]

 

Rn 2

Dabei sollen die Arbeitnehmerinteressen und das Sanierungsbedürfnis durch eine Kollektivierung des Kündigungsschutzes in Einklang gebracht werden.[3] Der individuelle Kündigungsschutz nach § 1 KSchG wird zugunsten einer kollektivrechtlichen Regelungsbefugnis der Betriebsparteien eingeschränkt.[4] Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Betriebsrat seine Verantwortung gegenüber den von ihm repräsentierten Arbeitnehmern wahrnehmen, deshalb nur unvermeidbaren Entlassungen zustimmen und darauf achten wird, dass bei der Auswahl der ausscheidenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt werden.[5] Die Mitwirkung des Betriebsrats bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer lässt es vertretbar erscheinen, dass die soziale Rechtfertigung der Kündigungen nur noch in Ausnahmefällen infrage gestellt werden kann.[6]

1.2. Inhalt der Norm

 

Rn 3

Im Einzelnen ermöglicht es § 125 dem Betriebsrat und dem Insolvenzverwalter, gemeinsam den Kündigungsschutz einzelner Beschäftigter zu reduzieren, jedoch nur im Falle einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG.[7] Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei der Sozialauswahl (§ 1 KSchG) wird zugunsten einer vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat vereinbarten betrieblichen Gesamtlösung erweitert.[8] Der Umfang der gerichtlichen Prüfungsdichte und der Prüfungsmaßstab werden abgesenkt.[9] Hierdurch werden Kündigungsschutzprozesse für den Insolvenzverwalter und die betroffenen Arbeitnehmer berechenbarer, die Tätigkeit der Gerichte für Arbeitssachen erleichtert und die Prozesse beschleunigt.[10]

1.3. Auslegung der Norm

 

Rn 4

Bei der Auslegung des § 125 kann die Rechtsprechung zu § 1 Abs. 5 KSchG herangezogen werden, weil der Gesetzgeber im Grundsatz einen Gleichlauf beider Vorschriften beabsichtigt hat.[11]

[11] Vgl. BAG, 20.09.2012 – 6 AZR 253/11, juris, Rn. 56.

2. Anwendungsbereich des § 125

2.1. Insolvenzeröffnung

 

Rn 5

§ 125 gilt erst von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) an. Nicht anwendbar ist die Vorschrift auf Interessenausgleichsvereinbarungen mit Namensliste, die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vor Insolvenzeröffnung abgeschlossen wurden, auch wenn dem Interessenausgleich ein vorläufiger Insolvenzverwalter zustimmt.[12] Allerdings unterfällt auch ein zwischen dem Betriebsrat und einem ausländischen Insolvenzverwalter abgeschlossener Interessenausgleich mit Namensliste der Privilegierung des § 125, wenn die Insolvenzeröffnung in Deutschland anerkannt wird (z.B. nach Art. 19 ff. EuInsVO) und deutsches Arbeitsrecht anwendbar ist (z.B. nach Art. 13 EuInsVO).[13]

2.2. Verhältnis zu § 1 Abs. 5 KSchG

 

Rn 6

Als lex specialis geht § 125 der allgemeinen Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG ...

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