Rn 25

Das Arbeitsgericht entscheidet durch Beschluss (§ 126 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. § 84 ArbGG). Der Antrag ist begründet, soweit die Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind und eine ordnungsgemäße Sozialauswahl vorgenommen wurde; beides hat das Arbeitsgericht umfassend (siehe aber Rn. 27a) in Bezug auf jeden beteiligten Arbeitnehmer gesondert zu prüfen.[78]

[78] ArbG Hamburg 13.07.2005, 18 BV 5/05, juris, Rn. 33.

5.1 Dringende betriebliche Erfordernisse

 

Rn 26

Ob eine Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, richtet sich nach § 1 KSchG. Das Arbeitsgericht hat diese Frage vollumfänglich und mit derselben Prüfungstiefe und Prüfungsdichte wie in einem Kündigungsschutzprozess für jeden der in dem Antrag bezeichneten Arbeitnehmer gesondert zu klären. Danach liegt ein Grund zur Kündigung nicht bereits in einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder der Insolvenz des Arbeitgebers als solcher.[79] Vielmehr ist nur dann von einer sozialen Rechtfertigung auszugehen, wenn das Beschäftigungsbedürfnis für einen oder mehrere Arbeitnehmer aufgrund unternehmerischer Entscheidung des Insolvenzverwalters entfallen ist, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf freien Arbeitsplätzen im Unternehmen[80] (auch unter veränderten Arbeitsbedingungen) nicht möglich ist und der gekündigte bzw. zu kündigende Arbeitnehmer unter mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern des Betriebs[81] unter sozialen Gesichtspunkten am wenigsten schutzwürdig ist (§ 1 Abs. 3 KSchG).[82]

 

Rn 27

Die Feststellungslast für die Tatsachen, aus denen sich die Betriebsbedingtheit der Kündigung ergeben soll (Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten, Nichtvorhandensein freier Arbeitsplätze)[83], obliegt dem Insolvenzverwalter, d. h. er trägt das Risiko ihrer Nichterweislichkeit.[84]

[80] Zu den Voraussetzungen einer ausnahmsweise bestehenden unternehmensübergreifenden bzw. grenzüberschreitenden Weiterbeschäftigungspflicht vgl. BAG 20.06.2013, 6 AZR 805/11, juris, Rn. 59; BAG 24.09.2015, 2 AZR 3/14, juris, Rn. 19 ff.
[81] Vgl. zum Betriebsbezug der Sozialauswahl sowie der Beendigung eines Gemeinschaftsbetriebs durch Insolvenz LAG Köln 28.06.2018, 7 Sa 794/17.
[82] Vgl. zu betriebsbedingten Kündigungen im Einzelnen KR-Griebeling/Rachor, 12. Aufl. 2019, § 1 Rn. 552 ff.
[83] Siehe die Liste bei Uhlenbruck-Zobel, 15. Aufl. 2019, § 127 Rn. 19 f.
[84] ArbG Hamburg 13.07.2005, 18 BV 5/05, juris, Rn. 35; HK-InsO/Linck, 9. Aufl. 2018, § 126 Rn. 13; ebenso zur Verteilung der Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess BAG 31.07.2014, 2 AZR 422/13, juris, Rn. 36 ff.

5.2 Sozialauswahl

 

Rn 27a

Für die Prüfung, ob bei der Sozialauswahl[85] Fehler unterlaufen sind, gilt ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Das Arbeitsgericht darf die soziale Auswahl – ähnlich wie im Rahmen von § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2[86] – nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten der Arbeitnehmer nachprüfen (§ 126 Abs. 1 Satz 2). Anders als nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist ein schwerbehinderter Arbeitnehmer also nicht bereits aufgrund der Schwerbehinderung schutzwürdig. Denn die Schwerbehinderung darf im Rahmen von §§ 125, 126 nicht berücksichtigt werden.[87] Auch wenn teilweise angenommen wird, der Gesetzgeber habe anlässlich der Neuregelung des § 1 Abs. 3 KSchG im Jahr 2003 lediglich vergessen, die Schwerbehinderung in §§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 126 Abs. 1 ebenfalls aufzunehmen[88], wird als Grund für ihre Nichterwähnung im Rahmen des § 126 überwiegend die intendierte Kündigungserleichterung angegeben.[89] Verzichtet der Insolvenzverwalter auf das Verfahren nach § 126, ist eine etwaige Schwerbehinderung im Rahmen einer regulären Kündigungsschutzklage, soweit kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 vorliegt, gemäß § 1 Abs. 3 KSchG gleichwohl zugunsten eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Eine generelle Nichtbeachtung der Schwerbehinderungen bei Kündigungen in der Insolvenz besteht also nicht. Eine analoge Anwendung von § 126 auf andere Verfahrensarten kommt nicht in Betracht.[90]

 

Rn 28

Bei der Bewertung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung ist bereits dann von einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl auszugehen, wenn dem Insolvenzverwalter bei ihrer Durchführung ein lediglich "leichter" bzw. "einfacher" Fehler unterlaufen ist. Die Privilegierung des § 125 Abs. 1 Nr. 2, wonach nur grobe Fehler einen Mangel der Sozialauswahl begründen, findet im Verfahren nach § 126 keine Anwendung.[91] Abweichungen von der gebotenen Sozialauswahl können auch nicht mit der Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur begründet werden, weil eine dem § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 entsprechende Vorschrift in § 126 Abs. 1 Satz 2 fehlt.[92] Allerdings führen Fehler bei der Sozialauswahl nur dann zu einer Unwirksamkeit der Kündigung, wenn sie sich auf die Kündigung des Arbeitnehmers konkret ausgewirkt haben.[93] Es genügt, wenn der Insolvenzverwalter eine vertretbare Auswahlentscheidung getr...

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