Kolumne Talent Management: Morgenstunde als Karrierefaktor

Für viele Führungskräfte hat auch heute noch die Morgenstund' das Gold im Mund. Doch so manch Talent Manager sollte inzwischen gemerkt haben, dass der Arbeitszeitbeginn noch nichts über die Arbeitsleistung aussagt. Martin Claßen rät, auf den individuellen Biorhythmus zu achten.

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Aber erst die zweite Maus bekommt den Käse. Was für die einen die Morgenfrische ist, wird für andere zum Morgengrauen. Lieben Sie die Herrgottsfrühe oder laufen erst in den Abendstunden zur Hochform auf? Dies bleibt eine Dimension der persönlichen Lebensgestaltung und des menschlichen Biorhythmus. 

Die Gefahr der Gleitzeit

Die mittlerweile recht großzügige Auslegung von Gleitzeit führt vielerorts dazu, dass sich Morgenvögel und Nachtmäuse allenfalls noch gelegentlich persönlich im Office treffen. Was in Zeiten virtueller Kommunikation nicht schlimm zu sein scheint.

Doch!

Denn an dieser Stelle muss eine deutliche Warnung an spät erwachende Talente ausgesprochen werden. Die Arbeitsministerin mahnt: "Langschläfer gefährden Ihre Karriere. Morgenmuffel kommen beruflich nicht voran". Wenn also das eine Talent nächtens an der Bar, im hippen Club, bei der Party von seinen beruflichen Erfolgen des abgelaufenen Tages schwärmt, wird sich das wahre Talent schlafend erholen und am nächsten Tag mit neuer Frische zu großen Taten bereit sein.

Karrierevorteile für Frühaufsteher

Forscher um Christopher Barnes von der Universität Washington haben herausgefunden und im "Harvard Business Review" veröffentlicht, dass Führungskräfte ihre Frühaufsteher deutlich besser beurteilen als Spätstarter. Immerhin zeigte die Studie, dass dieser Effekt bei einem Nachteulen-Chef in der Einschätzung seiner Nachteulen-Talente etwas geringer ausfällt.

Meine Ratschläge für Talente liegen auf der Hand. Lassen Sie Ihren künftigen Chef von einem Privatdetektiv tagelang beobachten. Fragen Sie ihn beim Vorstellungsgespräch ganz beiläufig nach dem Biorhythmus. Analysieren Sie sorgfältig die Responsezeiten seiner Mail-Korrespondenz. Aber Vorsicht: 4.00 a.m. als Sendedatum kann ein Indiz für Frühaufsteher (schon wach) und Nachteulen (noch wach) sein. Oder für senile Bettflucht (leider wach).

Aufgewacht in der Präsenzkultur

Nun ist im Talent Management vieles eher Schein als Sein. Heutzutage ist Präsenz eine höchst beliebige Angelegenheit. Was heißt es denn schon "da zu sein"? Muss man dafür wirklich von Angesicht zu Angesicht gesehen werden? Reicht es nicht aus durch virtuelle Nebelschwaden den Eindruck von Anwesenheit zu erzeugen? Ein Talent wäre kein Talent, wenn es nicht auch dafür eine überzeugende Lösung parat hätte. Um als aufgeweckt zu gelten, muss man nicht unbedingt wach sein. Zumindest nicht immer.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.