Kolumne Talent Management: Das Ende von Talenten

Wenn ein Talent vor etwas Angst, dann wohl davor, ewig ein Talent zu bleiben – dem wird viel zugetraut, er löst es aber nie ein. Darum gibt es heute zum Jahresabschluss ein Plädoyer von Martin Claßen dafür, sich selbst ehrlich einzugestehen, wann man kein Talent mehr ist.

Gelegentlich ist im Talent Management nur mit einem persönlichen Bekenntnis der Punkt zu machen. Irgendwann ist man kein Talent mehr, muss endlich liefern oder sich nach etwas völlig anderem umsehen. Das ist eine der schwierigsten Erkenntnisse im persönlichen Talent-Bewusstsein.

Wichtige Rollenmodelle

Mir erging es so mit meiner Fußballkarriere. Der Ballsport stand für mich nie ganz oben, im Unterschied zu vielen Kindern heute. Aber spätestens mit der Weltmeisterschaft 1974 bekam Fußball eine gewisse Bedeutung. Ich wollte beim Kick im Obstgarten des benachbarten Bauern stets Rainer Bonhof sein. Im Finale lieferte der die Vorlage zum Siegtreffer.

Nun, so richtig verschrieben hatte ich mich dem Fußball selbst mit diesem Rollenmodell nicht. Anderes war wichtiger. Aber es nagte in mir. Hätte ich nicht doch das Zeug für die Spitze? Zumal einer meiner älteren Cousins es bis in den Kader eines Bundesligavereins geschafft hatte.

Tag der Wahrheit

Reichlich spät – am 20. Juni 2000 – gab ich meine Hoffnung endgültig auf, doch noch als deutscher Nationalspieler auflaufen zu können. An besagtem Tag bestritt Lothar Matthäus, einen einzigen Tag vor mir geboren, mit 39 Jahren sein letztes von 150 Länderspielen. Wenn der schon nicht mehr kann, musste ich mir eingestehen, würde auch ich es nicht mehr packen. Ob ich meine Fußball-Gene über die Jahre sinnlos vergeudet hatte, wird sich nie mehr feststellen lassen.

Eigentlich ist der Begriff „Talent Management“ falsch. Denn wir kennen sie aus dem Sport, der Kultur, den Medien. Oder haben sie längst vergessen: Ewige Talente, wie sie Laura Perls neulich beschrieb, die ihre Vorschlusslorbeeren nicht einlösen konnten: „Commitment ist viel schwieriger und für viele Leute ganz unmöglich, wenn eine Wahlmöglichkeit besteht. ‚Embarassés de Richesse‘ – erdrückt vom Reichtum, treiben sie unverbindlich von einer Möglichkeit zur anderen, vielversprechend in ihren frühen Jahren und auf lange Sicht enttäuschend und enttäuscht“.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.