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Arbeitsunfähigkeit und Entgeltfortzahlung

Arbeitsunfähige Arbeitnehmer


Arbeitsunfähigkeit: Arbeitsunfähig oder nicht

Volkswirte beziffern den Schaden im Jahr 2023 auf 26 Mrd. EUR, den Deutschland durch den hohen Krankenstand erlitten hat. Das Wirtschaftswachstum wurde deshalb um etwa 0,8 Prozentpunkte gedrückt. Dabei sind noch nicht die ausgefallenen Beiträge in der Sozialversicherung und die fehlenden Steuereinnahmen berücksichtigt. Auf den einzelnen Beschäftigten entfielen im Jahr 2024 durchschnittlich 19,1 Fehltage (Gesundheitsreport 2025 der Techniker Krankenkasse), ein historisch hohes Niveau (Institut der deutschen Wirtschaft). Die Probleme für den einzelnen Betrieb liegen auf der Hand. Es fehlt die Arbeitsleistung des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers und der Arbeitslohn muss trotzdem gezahlt werden. Grund genug, das Thema näher zu betrachten.

Ein Arbeitnehmer ist nicht zur Arbeit verpflichtet, wenn er wegen einer Krankheit arbeitsunfähig ist. Entgelt wird in dieser Zeit nur fortgezahlt, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht selbst verschuldet ist und keine weitere Ursache daran hindert, die Arbeit zu verrichten. Die Arbeitsunfähigkeit muss die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall sein (Monokausalität).

Der behandelnde Arzt beurteilt, ob ein Arbeitnehmer behandlungsbedürftig erkrankt ist und deswegen nicht fähig ist, seine Arbeit zu verrichten. Der Arzt richtet sich dabei nach der verbindlichen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Ein Arbeitnehmer ist arbeitsunfähig, wenn

  • er die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausführen kann oder
  • sich die Krankheit bei fortgesetzter Arbeit verschlimmert.

Hinweis: Arbeitsunfähigkeit besteht auch während einer stufenweisen Wiederaufnahme der Arbeit. Ob während dieser Zeit Entgelt fortgezahlt wird richtet sich nach der bisherigen Arbeitsunfähigkeit sowie dem Arbeits- oder Tarifvertrag.

Ein Arbeitnehmer ist auch dann arbeitsunfähig, wenn er nur einen Teil seiner Aufgaben krankheitsbedingt nicht mehr wahrnehmen kann.

Individuelle Beurteilung

Ob ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist, richtet sich nach den konkreten Bedingungen der bisherigen Tätigkeit. Der Arzt ist verpflichtet, den Arbeitnehmer zur aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen zu befragen. Die Arbeitsunfähigkeit hängt damit wesentlich von

  • der Art und Schwere der Erkrankung,
  • dem physischen und psychischen Zustand des kranken Menschen und
  • der Art der beruflichen Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen

ab, die der Arzt zu erheben und zu beurteilen hat.

Beispiel: Im Lager eines Logistikunternehmens arbeiten 2 Lagerfacharbeiter. Die Arbeit ist so eingeteilt, dass 1 Arbeitnehmer die Arbeitsaufträge am Computer entgegennimmt, die Güter auf die Fahrzeuge verteilt und die Routen festlegt (Arbeitnehmer 1). Sein Kollege (Arbeitnehmer 2) belädt anschließend die Fahrzeuge. Arbeitnehmer 2 kann bei einer Verletzung des kleinen Fingers links durchaus arbeitsunfähig sein. Arbeitnehmer 1 ist bei einer entsprechenden Verletzung zwar krank, dürfte seine Arbeit aber weiterhin ausführen können und nicht arbeitsunfähig sein.

Alleinige Ursache

Entgelt ist fortzuzahlen, wenn es neben der Arbeitsunfähigkeit nicht noch weitere Gründe gibt, die Arbeitnehmer an der Arbeit hindern (Monokausalität). Der erkrankte Arbeitnehmer hätte also ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt. Ein Arbeits- oder Tarifvertrag kann davon abweichende Regelungen enthalten.

Eine Arbeitnehmerin ist z.B. während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz aufgrund des damit einhergehenden Beschäftigungsverbots daran gehindert zu arbeiten. Ist die Arbeitnehmerin gleichzeitig arbeitsunfähig, ist kein Entgelt fortzuzahlen. Ursächlich für die Arbeitsverhinderung ist das Beschäftigungsverbot und nicht die Arbeitsunfähigkeit.

Ähnlich ist die Situation bei einem Streik, der zeitlich mit einer Arbeitsunfähigkeit zusammentrifft.  Arbeitsunfähige Arbeitnehmer, die sich ohne die Erkrankung am Streik beteiligt hätten, können keine Entgeltfortzahlung beanspruchen.

Wird wegen einer ansteckenden Krankheit eine Quarantäne angeordnet, ist. die damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit als monokausal anzusehen. Entgelt ist fortzuzahlen. Der Anspruch ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Absonderungsanordnung unabhängig von der Erkrankung erfolgt und ihr eine selbständige Bedeutung zukommt.

Hinweis: Der Erholungsurlaub wird durch eine Arbeitsunfähigkeit unterbrochen. Der Arbeitnehmer kann - auch bei einem Auslandsaufenthalt - Entgeltfortzahlung beanspruchen. Die Krankentage werden nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet.

Unverschuldete Arbeitsunfähigkeit

Entgeltfortzahlung kann nur beansprucht werden, wenn die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet ist. Der Arbeitnehmer hat seine Krankheit verschuldet, wenn er in einem groben erheblichen Maß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen hat.  Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches  Davon ist z. B. bei

  • grobem Verstoß gegen Sicherheits- und Arbeitsschutzvorschriften,
  • Teilnahme an einer Schlägerei, die der Arbeitnehmer begonnen oder provoziert hat,
  • Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund reiner Schönheitsoperationen,
  • einer besonders gefährlichen Sportart oder
  • einem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften

auszugehen.

Eine Alkoholabhängigkeit und die damit unmittelbar zusammenhängende Arbeitsunfähigkeit sind nicht selbstverschuldet. Davon ist meistens auch bei einem Rückfall nach einer zunächst erfolgreichen Therapie auszugehen, was aber im Einzelfall (z. B. durch ein Sachverständigengutachten) zu prüfen ist.

Hinweis: Das Selbstverschulden hat der Arbeitgeber zu beweisen. Es kann aber auch zu einer Beweislastumkehr kommen (z.B. bei der Teilnahme an einer Wirtshausschlägerei, , bei der der Arbeitnehmer beweisen muss, dass ihn kein Verschulden trifft).

Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit gilt auch eine Arbeitsverhinderung infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation, eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft oder eines Abbruchs der Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis.

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