Bundesfinanzhof verhandelt Grundsteuer-Klagen
Der Bundesfinanzhof BFH) in München verhandelt ab dem 12.11.2025 drei Klagen gegen die Grundsteuerregelungen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Berlin-Brandenburg. Die Länder wenden das Bundesmodell an. In den Verfahren geht es um die Frage, ob das pauschalierte Ertragswertverfahren verfassungsgemäß ist. Die Verkündungstermine wurden auf den 10. Dezember festgesetzt.
In allen drei Fällen haben die Finanzgerichte der ersten Instanz entschieden, dass die Neuregelung nicht verfassungswidrig sei. Schließt sich der BFH dem an, könnten Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe folgen. Äußert das oberste deutsche Finanzgericht verfassungsrechtliche Bedenken, wird es die Verfahren aussetzen und in Karlsruhe vorlegen, damit das BVerfG entscheidet.
Grundsatzentscheidungen in Serie
Gegen das seit Januar 2025 geltende neue Grundsteuergesetz haben bisher mehr als 2.000 Immobilieneigentümer bundesweit Klage eingereicht, wie eine dpa-Umfrage bei den 18 deutschen Finanzgerichten ergeben hat.
Hunderte Verfahren ruhen derzeit, weil die Prozesswelle auf die entscheidende Phase zusteuert: 15 Revisionsverfahren haben mittlerweile den BFH erreicht.
Ein beträchtlicher Teil der Verfahren in erster Instanz hat sich erledigt: Die Finanzgerichte haben viele Klagen abgewiesen, in etlichen anderen Fällen haben die Eigentümer ihre Klagen wieder zurückgenommen.
Weitere Musterklage gegen neue Grundsteuer gescheitert
Grundsteuer: Musterklage zum Bundesmodell abgewiesen
Am BFH anhängige Grundsteuer-Klagen: Überblick
Am Bundesfinanzhof sind derzeit (Stand Oktober 2025) die folgenden Verfahren im Bereich der Grundsteuer anhängig:
Bundesmodell
- Rs. II R 25/24 (Vorinstanz: FG Köln, Urteil v. 19.9.2024, 4 K 2189/23)
- Rs. II R 31/24 (Vorinstanz: Sächsisches FG, Urteil v. 1.10.2024, 2 K 737/23)
- Rs. II R 3/25 (Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 4.12.2024, 3 K 3142/23)
- Rs. II R 11/25 (Vorinstanz: Sächsisches FG, Urteil v. 15.1.2025, 5 K 612/24)
- Rs. II R 22/25 (Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urteil v. 26.2.2025, 11 K 2309/23 BG)
- Rs. II R 26/25 (Vorinstanz: Sächsisches FG, Urteil v. 3.4.2025, 3 K 771/23)
- Rs. II R 34/25 (Vorinstanz: FG Münster, Zwischenurteil v. 18.6.2025, 3 K 6/25 F)
- Rs. II B 19/25 (AdV) (Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 21.2.2025, 3 V 3178/24)
Gegen Ländermodelle
Landesgrundsteuergesetz (LGrStG) Baden-Württemberg – Grundsteuer B: "Modifiziertes Bodenwertmodell"
- Rs. II R 26/24 (Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, Urteil v. 11.6.2024, 8 K 1582/23)
- Rs. II R 27/24 (Vorinstanz: Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 11.6.2024, 8 K 2368/22)
- Rs. II B 45/25 (AdV) (Vorinstanz: Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 23.05.2025, 8 V 789/25)
Hamburger Grundsteuergesetz (HmbGrStG) – Grundsteuer B: "Flächen-/Wohnlagenmodell"
- Rs. II R 15/25 (Vorinstanz: FG Hamburg, Urteil v. 13.11.2024, 3 K 176/23)
Hessisches Grundsteuergesetz (HGrStG) – Grundsteuer B: "Flächen-Faktor-Modell"
- Rs. II R 12/25 (Vorinstanz: Hessisches FG, Urteil v. 23.1.2025, 3 K 663/24)
Bayerisches Grundsteuergesetz (BayGrStG) – Grundsteuer B: "Wertunabhängiges Flächenmodell"
- Rs. II R 33/25 (Vorinstanz: FG München, Gerichtsbescheid v. 18.6.2025, 4 K 702/23)
- Rs. II R 40/25 (Vorinstanz: FG München. Urteil v. 13.8.2025, 4 K 164/25)
Die Ländergesetze sollen ab 2026 an die Reihe kommen.
Ländererlasse zur Grundsteuer
Nach Beschlüssen des BFH im Mai 2024 in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes haben die obersten Finanzbehörden sogenannte koordinierte Ländererlasse an die Finanzämter herausgegeben, wie in der Praxis mit Bewertungsbescheiden umzugehen ist.
(Oberste Finanzbehörden der Länder, Erlasse v. 24.6.2024 – S 3017)
Das Gericht hat sich in den Beschlüssen nur mit der Grundsteuer im Bundesmodell befasst. Die Erlasse stellen keine Weisungen für die Finanzämter in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Hamburg dar – diese Länder haben eigene Gesetze.
Besteht der Verdacht, dass die pauschal ermittelten Werte für die neue Grundsteuer deutlich zu hoch sind, muss die Feststellung ausgesetzt werden. Die Eigentümer erhalten die Chance, einen tatsächlichen niedrigeren Wert mit einem Gutachten nachzuweisen, das zeigt, dass die Werte so stark abweichen (mindestens 40 Prozent), dass das Übermaßverbot verletzt ist. Ist die Differenz kleiner, ändert sich nichts an der pauschal festgesetzten Steuer. Den Steuerpflichtigen trifft die Nachweislast.
Die BFH-Beschlüsse vom 27.5.2024 wurden am 13.6.2024 veröffentlicht. Da bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war vom Gericht nicht mehr zu prüfen, ob die Berechnung grundsätzlich verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt.
BFH, Beschluss v. 27.5.2024, II B 78/23 (AdV)
BFH, Beschluss v. 27.5.2024, II B 79/23 (AdV)
Grundsteuerwertfeststellungen nicht rechtmäßig
Beim Bundesmodell, das von neun Bundesländern angewendet wird, werden die Werte relativ pauschal ermittelt. Die Eigentümer hatten eingewendet, dass ihre Immobilien sehr viel weniger wert seien – unter anderem wurden dabei schlechte Zugänglichkeit des Grundstücks beziehungsweise ein sehr schlechter Zustand des Hauses angeführt.
Das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz hatte Ende November 2023 ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bewertungsregeln angemeldet und gab in einem Eilverfahren zwei Antragstellern (4 V 1295/23 und 4 V 1429/23) recht.
Die Vollziehung der Grundsteuerwertbescheide wurde ausgesetzt und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung Beschwerde zum BFH zugelassen.
Das FG bezweifelte, dass die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen sind, auch was die gesetzlich geforderte Unabhängigkeit der Gutachterausschüsse angeht – hier könnten "Einflussnahmemöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden", so das Gericht. Zudem hätten Steuerpflichtige nicht die Möglichkeit, einen unter dem typisierten Bodenrichtwert liegenden Wert des Grundstücks nachzuweisen, etwa mit einem Gegengutachten, das im Gesetz aber eben nicht vorgesehen ist.
Die gegen die Entscheidungen des FG Rheinland-Pfalz erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH in seinen Beschlüssen als unbegründet zurückgewiesen.
Keine Entscheidung über Verfassungsmäßigkeit
Nach Auffassung des BFH ergeben sich einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe daraus, dass den Steuerpflichtigen bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
Der Gesetzgeber habe den Nachweis nicht ausdrücklich geregelt, verfüge aber gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot könne verletzt sein, wenn sich der festgestellte Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweise. Das setze nach bisheriger Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 Prozent oder mehr übersteige.
In beiden Streitfällen kam der BFH zu dem Ergebnis, es sei bei summarischer Prüfung nicht auszuschließen, dass die Antragsteller jeweils aufgrund einzelfallbezogener Besonderheiten den erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ihrer Grundstücke mit der erforderlichen Abweichung zu den festgestellten Grundsteuerwerten führen könnten. Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden.
Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Gregor Kirchhof, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Universität Augsburg, hält das Grundsteuergesetz des Bundes für verfassungswidrig. Kirchhof riet Eigentümern in einem Interview mit dem "Focus", sich gegen die Grundsteuer zu wehren.
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