Grundsteuer: Jurist erwartet Klagewelle gegen Bundesmodell

Der Verfassungsrechtler Gregor Kirchhof hält die neue Berechnung der Grundsteuer nach dem Bundesmodell für verfassungswidrig. Das Gesetz wird in elf Ländern angewandt. Steuerzahlerbund und der Eigentümerverband Haus & Grund haben Musterklagen angekündigt.

Das Bundesmodell zur Neuberechnung der Grundsteuer könnte zu einer Klagewelle führen. Prof. Dr. Gregor Kirchhof, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Universität Augsburg, hält vor allem den Bodenrichtwert für problematisch und kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass das in elf Ländern angewandte Gesetz verfassungswidrig ist. Beauftragt hatten die Studie, die am 17. April in Berlin vorgestellt wurde, der Bund der Steuerzahler (BdSt) und der Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland.

Grundsteuer: Musterklagen in fünf Bundesländern geplant

Die Verbände wollen nun in fünf Bundesländern mit Musterklagen vor Gericht ziehen – in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Eigentümern empfehlen sie, Einspruch gegen die von den Finanzämtern bereits verschickten Bescheide zum Wert der Immobilien einzulegen. Die Bescheide sind in den meisten Bundesländern Grundlage für die Neuberechnung der Grundsteuer. "Es ist offensichtlich, dass die neue Grundsteuer so nicht funktioniert und am Ende zu deutlichen Mehrbelastungen führt", sagte BdSt-Präsident Reiner Holznagel.

Ab 2025 muss die Grundsteuer neu berechnet werden. Im Zuge der Reform haben bereits Tausende Immobilieneigentümer bei den Finanzämtern eine Erklärung mit Daten abgegeben. Während die meisten Länder das kritisierte Modell des Bundes nutzen, haben Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen eigene Berechnungsmethoden entwickelt. Auch hier gibt es bereits erste Klagen.

Verfassungsrechtler: Bodenrichtwerte nicht vergleichbar

Kirchhof kritisiert in seinem Gutachten "Verletzt das Grundsteuergesetz des Bundes das Grundgesetz?", dass die festgelegten Bodenrichtwerte – im Vergleich etwa zu Modellen nur mit Fläche und Gebäudeart – nicht vergleichbar seien. So habe etwa die begehrte Wohnlage Wannsee in Berlin einen geringeren Richtwert erhalten als die weniger attraktive Lage Neukölln. Außerdem würden individuelle Umstände wie Denkmalschutzauflagen, Baumängel, Altlasten und anderes bei der Bewertung der Grundstücke nicht berücksichtigt.

Rund 15 bis 20 Millionen Steuerbescheide wurden seit Einreichung der Unterlagen ausgestellt. Oft sind die Bodenrichtwerte deutlich höher als bisher. "Wir haben noch nie so viele besorgte Steuerzahler gehabt", sagte Holznagel. Der Präsident von Haus und Grund, Kai Warnecke, berichtete von einem "irrsinnigen Mitgliederzulauf" deswegen. Sehr irritierend sei für die Eigentümer, dass es keine Angaben gebe, was man ab 2025 tatsächlich an Grundsteuer zu zahlen habe.

Das wird länger offenbleiben: Die Höhe der Grundsteuer hängt entscheidend von den Hebesätzen der Kommunen ab – und die werden erst kurzfristig festgelegt. Dann sei es aber häufig zu spät, sich gegen die Bescheide zu wehren, warnen die Verbände. Sie appellieren an die Bundesländer, sich vom Bundesmodell zu lösen und eigene, aus ihrer Sicht weniger angreifbare Methoden zu entwickeln.

Grundsteuer: Ist das Bundesmodell verfassungswidrig?

Auszüge aus dem Gutachten zum Bundesmodell. Fünf entscheidende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit im Überblick:

1. Bewertung orientiert sich zu sehr an der Einkommensteuer

Fakt: Beim Bundesmodell orientiert sich die Grundsteuer an dem Wert von Grund und Boden. Damit greift das Bundesmodell strukturell in den Bereich der Vermögen- und Einkommensteuer ein. Kritik: Der Bund schafft kein eigenes Bewertungssystem für die Grundsteuer, obwohl das Bundesverfassungsgericht ein solches System ausdrücklich verlangt hat. Wenn der Bund die Bemessung der Grundsteuer an den Verkehrswerten und damit an möglichen Verkaufserlösen ausrichtet, rückt er die Steuerbemessung in die Nähe der Einkommensteuer, obwohl sich die Einkommens- und die Grundsteuer – von der Verfassung her – unterscheiden müssen.

2. Bodenrichtwerte sind nicht vergleichbar

Fakt: Die Bodenrichtwerte sind wenig vergleichbar. Beispiel Berlin: Die begehrte Wohnlage Wannsee hatte zum 1.1.2022 einen Bodenrichtwert von 1.500. In der weniger attraktiven Lage Neukölln ist der Wert mehr als doppelt so hoch: 3.200!

Kritik: Die Bodenrichtwerte weisen "systematische Bewertungslücken" auf. Die strikte Anwendung der Bodenrichtwerte stellt einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 des Grundgesetzes dar.

3. Pauschalierungen verstoßen gegen das Grundgesetz

Fakt: Das Bundesmodell greift auf sehr viele Parameter zurück: Im Rahmen der pauschalen Nettokaltmieten müssen die Gebäudeart, Wohnflächen, Baujahr, Mietniveaustufen (und Abschläge hiervon), Bewirtschaftungskosten, Liegenschaftszinssatz, Restnutzungsdauer und der abgezinste Bodenwert berücksichtigt werden.

Kritik: Der Bund hat eine äußerst komplexe Bewertung entwickelt, die im Massen-Verfahren nur schwer anwendbar ist. Manchmal sind die Parameter kompliziert zu ermitteln (Brutto-Grundfläche), andere genutzte Kriterien sind realitätsfern und deshalb gleichheitswidrig (pauschale Nettokaltmieten, Bodenwert). Das Recht ist nun deshalb so kompliziert, weil der Bund Kompetenzschranken eingehalten hat, die nach der Verfassungsreform im Jahr 2019 nicht mehr bestanden. Somit belastet das Bundesrecht die vielen Grundsteuerpflichtigen – ohne Grund – mit zu aufwendigen Mitwirkungspflichten. Damit werden die Grundrechte verletzt!

4. Individuelle Umstände werden nicht berücksichtigt

Fakt: Baulasten, Denkmalschutz-Auflagen, Immissionen, Baumängel oder ein besonders guter Erhaltungszustand: Solche "individuellen öffentlich-rechtlichen Merkmale" sowie "individuellen privatrechtlichen Vereinbarungen und Belastungen" werden bei der Bewertung der Grundstücke nicht berücksichtigt. Damit werden maßgebliche Parameter gleichheitswidrig außer Acht gelassen.

Kritik: Der grundlegende Fehler des Bundesmodells liegt darin, den Grund der Belastung nicht erkennbar zu regeln und zu versuchen, den Wert von Grund und Boden grob zu ermitteln. Doch Immobilienwerte müssen entweder anhand zahlreicher Kriterien genau bewertet oder in einfachen, gleichheitsgerechten Pauschalierungen steuerlich bemessen werden. Das Bundesgesetz wählt aber einen verfassungswidrigen Mittelweg.

5. Steuerlast steht noch gar nicht fest

Fakt: Wie sehr die Grundstückseigentümer tatsächlich belastet werden, steht erst dann fest, wenn die Gemeinden über die Hebesätze entschieden haben. Dann werden die meisten Grundlagenbescheide aber schon bestandskräftig sein.

Kritik: Es droht eine Rechtsschutzlücke! Dennoch ist schon jetzt klar: Die Bewertung nach dem Bundesmodell verursacht strukturell eine mehr als doppelt so hohe finanzielle Belastung der Betroffenen im Vergleich zu den einfacheren Modellen in Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen.


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