
Eine Gesetzgebungskompetenz des Landes sei da und die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne grundsätzlich möglich, heißt es in einem Entwurf zum Zwischenbericht der Berliner Expertenkommission. Die prüft derzeit die Umsetzung des Volksentscheids "Deutsche Wohnen und Co. enteignen".
Rund 14 Monate nach dem erfolgreichen Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" in Berlin hält die vom Senat eingesetzte unabhängige Expertenkommission eine Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne grundsätzlich für möglich. Das geht aus einem Entwurf für einen Zwischenbericht hervor, der durch Recherchen der "Berliner Morgenpost" bekannt wurde. Das 13-köpfige Gremium sieht in der Frage durchaus eine Gesetzgebungskompetenz des Landes, wie aus dem Papier hervorgeht.
Die Verbreitung von Auszügen eines Vorentwurfs zu dem Zwischenbericht, der zurzeit beraten werde, seien legitimiert gewesen, teilt das Gremium mit. Die Präsentation sei am 15. Dezember geplant. Der Abschlussbericht wird im Frühjahr 2023 erwartet.
Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne selbst?
Laut Grundgesetz falle die Vergesellschaftung von Grund und Boden zwar unter die konkurrierende Gesetzgebung, heißt es in dem Entwurf der Kommission. Da der Bund davon aber bisher keinen Gebrauch gemacht habe, könne das Land Berlin eine Vergesellschaftung von Grundstücken selbst regeln. Als "verfassungsrechtlich problematisch" stufen die Experten hingegen ein mögliches Gesetz zur Vergesellschaftung der Wohnungsunternehmen selbst ein.
Viele rechtlich und verfassungsrechtlich komplizierte Detailfragen zum Thema Vergesellschaftung sind der Kommission, der überwiegend Juristen angehören, zufolge noch ungeklärt. Zu etlichen Punkten gebe es innerhalb des Gremiums unterschiedliche Einschätzungen. Hier sei der Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen, heißt es weiter.
Streitpunkt Entschädigung: Viele Fragen offen
Zu den offenen Fragen innerhalb der Kommission gehört etwa, wie die Höhe der Entschädigungssumme zu bemessen ist. Strittig ist, ob und in welchem Umfang der Verkehrswert betrachtet werden muss. Der berücksichtigt auch Wertsteigerungen von Immobilien, die auf Spekulation zurückgehen.
Nach einer Schätzung des alten Senats würde die Entschädigung das ohnehin schon hoch verschuldete Berlin zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro kosten. "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" rechnet mit einer Gesamtsumme von rund zehn Milliarden Euro. Die Aktivisten plädieren für "Entschädigungsbonds" – Wertpapiere mit dem Nominalwert der Entschädigungshöhe. Die Schuldverschreibungen sollen über einen Zeitraum von 40 Jahren getilgt werden. Refinanziert werden soll aus Mieteinnahmen. Dabei legt die Initiative eine niedrige Nettokaltmiete von 4,04 Euro pro Quadratmeter zugrunde.
Wer soll von einer "Enteignung" betroffen sein?
Nicht geklärt ist zudem, nach welchen Kriterien entschieden wird, wer enteignet werden soll und wer nicht. Dies sei eine "Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte", die verfassungsgemäß geregelt werden müsse, so die Experten. Unterschiedliche Meinungen gibt es auch zur Frage, ob es sich bei einer Vergesellschaftung um einen Eingriff in Grundrechte handelt oder um eine – wie es manche Kommissionsmitglieder sehen – "Verwirklichung demokratischer Rechte".
Betroffen von einer Vergesellschaftung wären zirka ein Dutzend Berliner Unternehmen mit insgesamt mehr als 240.000 Mietwohnungen. Allein der börsennotierte Konzern Deutsche Wohnen, auf den es die Initiative besonders abgesehen hat, verfügte über einen Bestand von etwa 116.000 Wohnungen im Raum Berlin. Mittlerweile wurde das Unternehmen vom größeren Konkurrenten Vonovia übernommen.
Jurist: Berliner Verfassung erlaubt keine Vergesellschaftung
Die Linken im Berliner Abgeordnetenhaus hatten Anfang März 2021 einen Debatten-Entwurf für ein "Gesetz zur Überführung von Grund und Boden von Wohnungsunternehmen in Gemeineigentum" präsentiert. Im Mai legte dann "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" einen eigenen Entwurf für ein "Gesetz zur Überführung von Wohnimmobilien in Gemeineigentum (Vergesellschaftungsgesetz –VergG)" vor.
Die Initiative beruft sich darin auf Artikel 15 Grundgesetz, demzufolge "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel" in Gemeineigentum überführt werden können. Vergesellschaftet werden sollen nicht die Unternehmen selbst, sondern deren zu Wohnzwecken dienenden Grundstücke und Gebäude.
Neue Eigentümerin der Immobilien soll eine Anstalt des öffentlichen Rechts ("Gemeingut Wohnen") werden – die Wohnungsbestände dürften nie wieder privatisiert werden. Landeseigene, gemeinnützige Unternehmen und Genossenschaften sollen von den Regelungen ausgenommen sein, wie Jurist Sebastian Schneider erklärte, der den Gesetzentwurf maßgeblich erarbeitet hat.
Wiederum schreibt Benedikt Wolfers, Rechtsanwalt und Partner der Berliner Kanzlei Posser Spieth Wolfers & Partners, in einem Gastbeitrag im Berliner "Tagesspiegel", dass das Vorhaben schon an der Landesverfassung scheitern werde, die eine Vergesellschaftung gar nicht erlaube.
"Deutsche Wohnen & Co. enteignen": der Weg zum Volksentscheid
Die Berliner waren dem Bündnis "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" von Anfang an gut gewogen. Da bis zum 25.6.2021 – innerhalb der vorgegebenen Frist ab Startschuss zur zweiten Phase des Volksbegehrens am 26.2.2021 – ausreichend (sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus wahlberechtigten) Berliner eine gültige Stimme abgegeben hatten, kam es zum Volksentscheid, der am 26.9.2021 wie eine Wahl ablief. Rund 59 Prozent der Wähler stimmten für Enteignung.
Am 15.10.2021 beschloss die neugewählte Berliner Koalition aus SPD, Grünen und Linken in den Sondierungsgesprächen für die Regierungsbildung, dass eine Expertenkommission eingesetzt werden soll, um die Machbarkeit des Volksentscheids zu prüfen. Auf der Klausurtagung im Januar 2022 einigte sich der Senat, diese innerhalb der ersten 100 Tage Regierungszeit an den Start zu bringen.
Bei der im Koalitionsvertrag vereinbarten Expertenkommission handelt es sich nicht um ein Entscheidungsgremium. Vielmehr solle die Kommission den Senat juristisch beraten.
Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wies im RBB-Inforadio darauf hin, dass es sich um einen Zwischen- und nicht um einen Abschlussbericht handele und noch vieles ungeklärt sei. Dazu gehöre die zentrale Frage, ob der Artikel 15 des Grundgesetzes, der Vergesellschaftungen unter Umständen erlaubt, auch im konkreten Fall in Berlin anwendbar sei. Eine politische Entscheidung über das weitere Vorgehen werde nach Vorlage des Abschlussberichts getroffen.
Expertenkommission: Ex-Justizministerin hat Vorsitz
Bei den zehn von unterschiedlichen Senatsverwaltungen nominierten Experten der Kommission handelt es sich überwiegend um Staats- und Verfassungsrechtler. Den Vorsitz übernimmt die frühere Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD).
Weitere Mitglieder: Prof. Dr. Thorsten Beckers (Universität Weimar), Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner (Universität Bonn), Prof. Dr. Michael Eichberger (Bundesverfassungsrichter a.D.), Prof. Dr. Isabel Feichtner (Universität Würzburg), Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold (Universität München), Prof. Dr. Christoph Möllers (Humboldt-Universität zu Berlin), Aysel Osmanoglu (GLS Bank), Prof. Dr. Florian Rödl (Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. Christian Waldhoff (Humboldt-Universität zu Berlin).
Die Enteignungsinitiative nominierte im April drei Mitglieder: Prof. Dr. Susanne Heeg (Humangeografie, Universität Frankfurt/Main), Prof. Dr. Anna Katharina Mangold (Europarecht, Universität Flensburg) und Dr. Tim Wihl (Vertretungsprofessor, Staatswissenschaftliches Institut, Universität Erfurt). Die Initiatoren wollten ursprünglich die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder stellen. Laut Senatsbeschluss standen ihnen aber nur drei Delegierte zu.
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