Studie: Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen senkt Mieten

In Berlin prüft eine Kommission, ob und wie eine Vergesellschaftung privater Wohnungskonzerne umgesetzt werden kann. Juristen zweifeln bereits an der Verfassungsmäßigkeit. Eine neue Studie geht zumindest von erheblichem Mietsenkungspotenzial aus. Doch die Rechnung wirft Fragen auf.

Eine Vergesellschaftung der Wohnungen großer Immobilienkonzerne in Berlin könnte die Mieten in der Hauptstadt deutlich senken oder den Anstieg zumindest stoppen. Auch das Angebot an bezahlbaren Wohnungen könnte steigen. Das sind Ergebnisse einer Kurzstudie im Auftrag der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Verglichen wurden die Mietdaten renditeorientierter Vermietungsfirmen mit denen von landeseigenen Wohnungsunternehmen.

In Berlin hat ein Großteil der Bürger für den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" gestimmt, der unter anderem von den Linken unterstützt wird. Der Senat setzte daraufhin eine Expertenkommission ein, die prüfen soll, ob ein solcher Schritt geeignet ist, um die Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu lösen – und wenn ja, wie. Die Einschätzung der Expertenkommission wird für das Frühjahr erwartet. Danach muss der Senat entscheiden.

Studie: Mietsenkungen durch "Enteignung" von 16 Prozent

Die sechs größten privaten Berliner Immobilienkonzerne verlangen der Studie zufolge im Schnitt 7,63 Euro pro Quadratmeter, die landeseigenen Unternehmen 6,39 Euro pro Quadratmeter.

Eine mögliche Vergesellschaftung wirke "mindernd auf die Miethöhen, sie ermöglicht eine schnellere Versorgung einkommensschwacher Haushalte mit Wohnraum und sie kann der sozialräumlichen Segregation in Berlin entgegenwirken", schreiben die Studienautoren – die Stadtsoziologen Matthias Bernt vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung und Andrej Holm von der Humboldt-Universität Berlin. Sie haben errechnet, dass die Mieten in den möglicherweise vergesellschafteten Berliner Wohnungsbeständen im Durchschnitt um 16 Prozent gesenkt werden könnten, wenn sie so bewirtschaftet würden wie in den sechs landeseigenen Unternehmen.

Kritik an "Enteignung" aus der Politik und von Juristen

Die Studie will Aussagen unter anderem des Berliner Bausenators Andreas Geisel (SPD) widerlegen, der von einer möglichen Vergesellschaftung keinen positiven Effekt auf den Mietmarkt erwartet. Auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) äußerte sich skeptisch. "Ich will sichergehen, dass wir mit unserem Vorgehen nicht vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern", sagte sie.

Es stelle sich auch die Frage, was solche Enteignungen für die Investitionstätigkeit in der Stadt und in den Wohnungsbau bedeute. Zumal dann, wenn ein geringerer Entschädigungsbetrag bezahlt werden müsste als zunächst angenommen. "Ich beobachte, dass vielen etwas der Bezug zwischen Millionen und Milliarden abhandengekommen ist, weil wir permanent mit Riesensummen hantieren", so Giffey.

"Ob das am Ende 30 Milliarden Euro Entschädigung sind, 20 Milliarden oder zehn, es bleiben Milliarden Euro, die wir Aktionären geben müssen und deshalb nicht dafür einsetzen können, neue bezahlbare Wohnungen zu bauen und die Mieten zu stabilisieren", ergänzte Geisel. Die Befürworter von Enteignungen müssten sich die Frage stellen, was wirtschaftlich, finanziell und juristisch die Konsequenzen seien. "Es werden jahrelange Rechtsstreitigkeiten auf das Land Berlin zukommen."

Eine Vergesellschaftung von privaten Wohnungskonzernen wäre gleich in doppelter Hinsicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, lautet etwa das Fazit von Jürgen Kühling, Professor für Öffentliches Recht und Immobilienrecht (Universität Regensburg), in einem Gutachten im Auftrag der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (gif). Zum einen fehle eine marktbeherrschende Stellung, zum anderen sei die geplante Entschädigung der Konzerne unterhalb des Verkehrswerts verfassungswidrig.

Grundgesetz: Debatte um Sozialisierungsartikel 15

In der Enteignungsdebatte geht es insbesondere um Artikel 15 Grundgesetz ("Sozialisierungsartikel"). Der wurde noch nie angewendet. Die Meinungen zur Auslegung der Bestimmung gehen weit auseinander – einzelne Stimmen halten eine Vergesellschaftung mit Entschädigung für rechtlich zulässig, andere legen die Norm eng aus: Dann muss es wie bei anderen Enteignungen eine strenge Verhältnismäßigkeitskontrolle geben.

"Eine Sozialisierung ist dann möglich, wenn eine auch für die Gesellschaft relevante, problematische Macht von marktdominanten Unternehmen gebrochen werden soll. Das entspricht dem historischen Sinn der Vorschrift", schreiben Rechtsprofessor Kühling und Doktorand Moritz Litterst in ihrem Gutachten. Dann sei eine Sozialisierung eine geeignete Maßnahme, die den Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitstest bestünde.

Die Konsequenzen dieser Auffassung sind für das Berliner Vorhaben ernüchternd. "Selbst die Anforderungen einer moderaten Interpretation des Sozialisierungsartikels kann das Berliner Vorhaben nicht erfüllen", erklärt Kühling. "Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass es keine problematische Macht dominanter Unternehmen auf dem Berliner Wohnungsmarkt gibt. Der Sozialisierungsartikel kann daher nicht aktiviert werden."

Gutachter: "Tanz am verfassungsrechtlichen Abgrund"

Unabhängig davon sei eine angemessene Entschädigung erforderlich, die sich am Verkehrswert orientieren müsse. Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" plant jedoch erhebliche Abschläge bei der Entschädigung. "Die wären verfassungsrechtlich ebenso wenig gerechtfertigt", so die Autoren. Damit sei die Verfassungswidrigkeit des Berliner Vorhabens in zweifacher Hinsicht attestiert.

Der Volksgesetzgeber locke zu einem "Tanz am verfassungsrechtlichen Abgrund". Die Expertenkommission müsste deutlich auf die verfassungsrechtlichen Risiken hinweisen, heißt es in dem Gutachten. Eine Regelung, die unter bestimmten Voraussetzungen die verfassungsgerichtliche Prüfung von Gesetzen vor Inkrafttreten ermögliche, würde viele unnötige Transaktionskosten ersparen, wie sie der Berliner Mietendeckel ob der Experimentierfreudigkeit des Berliner Gesetzgebers verursacht habe. "Die einzige Gewissheit dürfte bis dahin sein: Eine Vergesellschaftung von Immobilienbeständen steht auf verfassungsrechtlich unsicherem Boden."

Gutachten "Grundrechtliche Rahmenbedingungen für eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen"

Staatsrechtler: "Unverhältnismäßiger Eingriff in privates Eigentum"

Die Mehrheit der Berliner hatte beim Volksentscheid am 26.9.2021 für eine "Enteignung" privater Konzerne gestimmt – betroffen wären etwa 240.000 Mietwohnungen. Auch Staatsrechtler Ulrich Battis, emeritierter Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und Rechtsanwalt in der Kanzlei GSK Stockmann, hält dieses Vorhaben nicht für umsetzbar.

"Es bestehen gewichtige rechtliche Zweifel", erklärte Battis in einer rechtsgutachtlichen Stellungnahme vor der Wahl im vergangenen September – die geforderte Vergesellschaftung stehe nicht nur in weiten Teilen in Widerspruch zum Grundgesetz, sondern auch zur geltenden Rechtsprechung in Deutschland, schreibt der Jurist in einem Gutachten, das er im Auftrag des Vereins "Neue Wege für Berlin" erstellt hat.

Für Battis wäre das Vorhaben eindeutig ein unverhältnismäßiger Eingriff in privates Eigentum und würde zudem gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, da nur Wohnungsbestände von Unternehmen ab einer Schwelle von 3.000 Wohnungen im Portfolio vergesellschaftet werden sollen. Außerdem fehlt dem Land Berlin laut Gutachten die Gesetzgebungskompetenz für ein Enteignungsgesetz – und die zur Finanzierung geplante Kreditaufnahme durch eine Anstalt öffentlichen Rechts wäre eine unzulässige Umgehung der Schuldenbremse, heißt es da.

Wohnungsgenossenschaften: Ausnahmen von "Enteignungen" gehen ins Leere

Rechtlich umstritten ist außerdem, ob Wohnungsgenossenschaften von einer Vergesellschaftung betroffen wären. Die Enteignungsinitiative geht davon aus, dass die Genossenschaften keine "Gewinnerzielungsabsicht" hätten.

Ein Rechtsgutachten, das der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) beauftragt hat, kommt hier zu einem anderen Ergebnis: Genossenschaften verfolgten sehr wohl den Ansatz, im Interesse der Mitglieder Gewinne zu erwirtschaften. Folglich seien 29 der Berliner Genossenschaften mit insgesamt rund 140.000 Wohnungen ebenfalls von einer Enteignung bedroht – eine Ausnahme sei "auf verfassungskonformem Weg nicht zu erreichen". Von rechtssicheren Ausnahmen geht wiederum ein rechtliches Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses aus.

Berlin wäre ein Präzedenzfall

Auch ein Gutachten von 2019  "Zur Verfassungsmäßigkeit der Sozialisierung von Immobilien privater Wohnungswirtschaftsunternehmen im Land Berlin", das der Ex-Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs, Prof. Dr. Helge Sodan, für den BBU erarbeitet hat, kommt zu dem Schluss, dass die Vergesellschaftung einen unzulässigen Eingriff in die Eigentumsfreiheit nach Artikel 14 Grundgesetz darstellt.

Zwar nenne die Norm explizit die Sozialpflichtigkeit, doch der Schutz des Eigentums stehe im Vordergrund – Enteignungen seien nur als letztes Mittel und im Einzelfall "zum Wohle der Allgemeinheit" zulässig, schreibt Sodan. Das Vorhaben sei weder erforderlich noch angemessen oder verhältnismäßig.

Artikel 15 Satz 1 Grundgesetz eröffne zwar grundsätzlich die Möglichkeit zur Vergesellschaftung von Grund und Boden, sodass prinzipiell Grundstücke und darauf befindliche Immobilien erfasst sind – weil die mit Wohnimmobilien bebauten Grundstücke jedoch keine vergesellschaftungsfähigen Güter darstellten, wäre eine Sozialisierung von Grund und Boden in Berlin auch auf dieser Rechtsgrundlage unzulässig und unverhältnismäßig. Allerdings könnte die Umsetzung hier einfacher sein, meint Sodan. Berlin wäre dann ein Präzedenzfall.

Bis Ende März 2022 soll vom Berliner Senat ein Expertengremium eingesetzt werden: Das soll beraten, wie die Vergesellschaftung der Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen im Bestand umgesetzt werden kann.


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dpa