Ökonomen: Krise beim Wohnungsbau wird sich verschärfen

Das Ifo-Institut schätzt, dass im Jahr 2024 nur 225.000 Wohnungen fertiggestellt werden – das wären noch einmal 45.000 weniger als 2023. Für die Baubranche dürfte sich die Auftragslage weiter verschlechtern. Die Hoffnung liegt auf einem Kurswechsel in der Zinspolitik der Notenbanken.

Die Talfahrt beim Wohnungsbau wird sich im neuen Jahr fortsetzen. Ökonomen und die Baubranche zeichnen ein düsteres Bild. Dass sich der Wohnungsbau in den kommenden zwei Jahren quasi von allein wieder erholt, erwartet kaum noch jemand – wenn sich auch die Prognosezahlen unterscheiden.

Pessimismus in der Baubranche

Das Münchner Ifo-Institut etwa erwartet für 2024 noch einmal deutlich weniger Fertigstellungen (minus 45.000 Einheiten) als im vergangenen Jahr und geht von lediglich 225.000 neuen Wohnungen aus. Pessimistisch sind auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB).

"Wir blicken mit Sorgen ins kommende Jahr, vor allem der Wohnungsbau trübt die Aussichten", sagte HDB-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller. "Angesichts der deutlich eingebrochenen Auftragseingänge dürfte er sich 2024 im Vergleich zum Vorjahr weiter verschlechtern." Die Bauindustrie geht für das Jahr 2023 von 250.000 fertiggestellten Wohnungen aus, für 2024 von einem weiteren Rückgang. Der Verband vertritt hauptsächlich größere Firmen.

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des ZDB – Interessenvertretung mittelständischer Bauunternehmen –, erwartet für 2024 einen Umsatzeinbruch um 13 Prozent im Bauhauptgewerbe und rechnet mit 235.000 neuen Wohnungen. Ohne grundlegenden Wandel in der Wohnungsbaupolitik mit besseren Förderungs- und Abschreibungsbedingungen für die Hausbauer und einfacheren Bauvorgaben wären dann im Jahr 2025 selbst 200.000 Wohnungen nicht mehr machbar, so Pakleppa.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin prophezeite in einem Gutachten von Dezember 2023 für den Bund einen vergleichsweise geringfügigen Rückgang auf 265.000 neue Wohnungen im Jahr 2024, nach 270.000 Wohnungen im Jahr 2023.

Wohnungsbau: Kommt das dicke Ende erst noch?

Deutschland gehört zu den Staaten mit dem stärksten Rückgang beim Wohnungsbau in Europa, wie Berechnungen der Forschergruppe Euroconstruct zeigen, zu der auch das Ifo-Institut gehört – dabei spielt auch die Förderung eine Rolle. In den 19 untersuchten Ländern erwarten die Experten im Jahr 2025 einen Saldo von 1,6 Millionen Fertigstellungen. Das wäre europaweit ein Rückgang um 14 Prozent gegenüber 2022, hierzulande sogar ein Minus von 32 Prozent.

Euroconstruct "Europäisches Bauvolumen wird bis 2024 moderat schrumpfen"

DIW: Masterplan zur Förderung der Angebotsseite

Das DIW forderte bereits Anfang 2023 die Politik zum Strategiewechsel auf: Die Maßnahmen zur steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus seien ein Anfang, die Bundesregierung müsse den Fokus aber stärker auf die Nachverdichtung im Bestand legen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Notwendig wäre ein Masterplan, der neben Förderprogrammen für die Nachfrage Planungs-, Produktions- und Installationskapazitäten unterstütze, um Engpässen im Angebot entgegenzuwirken. Sonst bestehe die Gefahr, dass ein Großteil der Mittel, insbesondere bei der energetischen Gebäudesanierung, in steigenden Preisen verpuffe, wenn neben der Nachfrageseite nicht auch die Unternehmen auf der Angebotsseite gestärkt werden.

DIW-Studie "Bauboom geht zu Ende – politischer Strategiewechsel erforderlich"

Banken: Höhepunkt der Immobilienkrise kommt noch

Der Höhepunkt der Krise am Immobilienmarkt generell steht aus Sicht des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) noch bevor. Präsident Gero Bergmann erwartet "den Scheitelpunkt" in diesem Jahr, wie er kurz vor dem Jahreswechsel sagte, bevor es zu einer Stabilisierung komme – bei Wohnimmobilien deutlich früher als bei Gewerbeimmobilien und vorausgesetzt, die Zinsen sinken. Bergmann verwies auf Erwartungen am Kapitalmarkt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen womöglich bereits im ersten Halbjahr wieder senken werde.

Auch die DZ Bank – Zentralinstitut der deutschen Genossenschaftsbanken – geht davon aus, dass sich die Talfahrt weiter beschleunigen wird: Als Folge der Baukrise könnten die jährlichen Fertigstellungen bis 2025 auf 200.000 Wohnungen fallen, heißt es in der kürzlich veröffentlichten Prognose.

Ursachen: Zinsen, Baukosten, Wohnungspolitik

Stark gestiegene Zinsen und Baukosten seit dem Jahr 2020 sowie die hohe Inflation hatten den langen Immobilienboom beendet. Die Preise für Wohnimmobilien haben sich zuletzt deutlich verbilligt, doch die Mieten sind vielerorts weiter gestiegen. Vor allem in den Städten suchen viele Menschen händeringend bezahlbare Wohnungen.

Hinzu kommen das Hin und Her der vergangenen Jahre um die Förderprogramme des Bundes und die aktuellen Haushaltskürzungen der Ampel-Koalition. "Die aktuellen Haushaltsquerelen machen die Rahmenbedingungen auch nicht günstiger", so Ifo-Baufachmann Ludwig Dorffmeister. "Speziell der Wohnungsneubau hat aber zuletzt sowieso kaum noch von öffentlichen Geldern profitiert."

Drei Monate nach dem Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt seien alle als Konjunkturimpuls geplanten Maßnahmen gestoppt oder on hold gestellt worden, kritisierte HDB-Hauptgeschäftsführer Müller die Bundesregierung. "Es fehlt auch eine klare Perspektive für die kommenden Jahre, weshalb die Unsicherheit am Markt immens ist." Auch ausufernde Bürokratie und stete Verschärfung der Bauvorschriften werden von der Baubranche genannt.

Politisches Ziel der Bundesregierung sind 400.000 neue Wohnungen im Jahr. Viele Fachleute hielten diese Zahl schon in besseren Zeiten für kühn, mittlerweile gilt sie als unerreichbar.

Auftragsmangel am Bau: Stellenstreichungen drohen

Laut einer Ifo-Umfrage lag die Auslastung der Hochbaufirmen im Dezember 2023 saisonbereinigt nur noch bei rund 66 Prozent, das ist der niedrigste Wert seit dem Frühjahr 2010. "Die Saisonbereinigung für einzelne winterliche Monate funktioniert sicherlich nicht immer einwandfrei. Der Dezember-Wert fügt sich aber gut in die 2023 beobachtete Abwärtstendenz ein", sagte Dorffmeister dazu.

Ein nahendes Schreckgespenst am Horizont ist Personalabbau in der Baubranche. "Schon jetzt ist es bittere Realität, dass jedes zweite Unternehmen im Wohnungsbau unter Auftragsmangel leidet", ergänzte Müller. "Angesichts dieser Entwicklung werden wir 2024 erstmalig seit 2008 in unserer Branche einen Rückgang der Beschäftigung erleben."

Im Baugewerbe werden schon seit einiger Zeit Warnungen laut: Haben die Unternehmen erst einmal Mitarbeiter abgebaut, würde eine Wiederankurbelung des Wohnungsbaus allein wegen geschrumpfter Kapazitäten schwierig. "Jetzt muss es darum gehen, einen massiven Absturz zu verhindern, der für die Wohnungsbaubranche, aber auch für den sozialen Zusammenhalt dramatisch wäre", forderte Müller.


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dpa