Wohnungsbautag: Verbände fordern Hilfe von Bundesregierung

In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen – das wird zu einem politischen Risikofaktor und kostet die Volkswirtschaft Milliarden Euro. Bei ihrem Wohnungsbautag in Berlin forderten Spitzenverbände von der Bundesregierung mehr Unterstützung.

Mehrere Branchenverbände, darunter Spitzenverbände aus der Wohnungswirtschaft, wollen die Bundesregierung dazu bewegen, den Wohnungsbau in Deutschland stärker zu unterstützen. Sie sehen die Bauwirtschaft in einer tiefen Krise mit Firmenpleiten, Kurzarbeit und Jobverlusten. "Scheitert der Wohnungsbau, dann scheitert auch politisch eine Menge", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.

Die politische Lage war Thema beim Wohnungsbau-Tag 2024 in Berlin, zu dem auch Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingeladen waren. Das jährliche Treffen fand zum 15. Mal statt und wird organisiert vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, dem Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), dem Deutschen Mieterbund (DMB), der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), dem Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) und dem Zentralverband des Baugewerbes (ZDB).

Aktuelle Studien der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) und von DIW Econ – einer Tochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) –, die auf dem Branchengipfel am 11. April vorgestellt wurden, geben eine düstere Prognose ab: Das Wegbrechen des Wohnungsneubaus werde der Volkswirtschaft in diesem Jahr Milliardenverluste und dem Staat ein erhebliches Minus bei den Steuereinnahmen bescheren. Gleichzeitig fehlten mehr als 800.000 Wohnungen. Das sei sozialer Sprengstoff und lasse politische Unzufriedenheit wachsen.

ARGE-Studie "Die Krise als Einbahnstraße? Bau-Kosten – Bau-Bedarf – Bau-Standards"

DIW Econ-Studie "Die Wirtschaftskraft hinter dem Wohnungsbau – Übers Bauen und Wohnen die Weichen für die Zukunft stellen"

Baubranche: Wohnungskrise verschärft Fachkräftemangel

Der Wohnungsmangel werde immer mehr zum Standortnachteil für die deutsche Wirtschaft, warnte IG-BAU-Chef Robert Feiger vor dem Start des Wohnungsbautags. Die Unternehmen brauchten dringend Arbeitskräfte. "Aber die kommen nur, wenn sie eine Wohnung finden, die sie sich auch leisten können". Wer in Großstädten und Ballungsräumen arbeiten wolle, habe kaum eine Chance auf eine bezahlbare Wohnung: "Der Wohnungsmarkt ist zum Nadelöhr für den Arbeitsmarkt geworden."

"Passiert jetzt nichts, dann erlebt Deutschland einen Bumerang-Effekt: Die Wohnungsbaukrise wird die gesamte Wirtschaft empfindlich treffen", machte Feiger deutlich. Laut DIW Econ, einem Tochterunternehmen des DIW, hat jeder siebte Euro der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung direkt oder indirekt mit dem Wohnungsbau zu tun. Auch rund jeder siebte Arbeitsplatz und 17 Prozent der Steuereinnahmen stünden mit dieser Branche in Verbindung.

Die Bauindustrie sieht trotz der sinkenden Inflation keine Anzeichen für eine Entspannung. Einige Politiker redeten bereits von Signalen einer Belebung des Wohnungsbaus, dabei sei die Talfahrt noch im vollen Gang, sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), Tim-Oliver Müller, der Augsburger Allgemeinen und der Rheinischen Post.

Handwerkspräsident Jörg Dittrich sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, die kommenden Monate würden "verdammt hart". Die Politik sollte stärkere Anreize für das Bauen geben, auch um dramatische Folgen für die Gesamtwirtschaft abzuwenden. Auch der Präsident des Eigentümerverbandes Haus und Grund, Kai Warnecke, forderte in der Rheinischen Post mehr Anreize zum Wohnungsbau. Die Bundesregierung müsse gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die Rahmenbedingung verbessern. Bauen müsse einfacher und günstiger werden.

Wohnungsbautag 2024: Die Forderungen der Verbände

Das Baugewerbe wird den sieben Verbänden zufolge im Jahr 2024 zum vierten Mal in Folge einen negativen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten. Das liege vor allem an der ausgeprägten Baurezession im Wohnungsbau. Sie verlangen ein zeitnahes und entschiedenes Handeln der Ampel-Koalition. Die Forderungen im Überblick:

  1. Verstetigung der Finanzierungsrahmenbedingungen in der Förderung des Neubaus, insbesondere für soziales und bezahlbares Bauen und Wohnen: Mehr preisgünstiger Wohnungsneubau ist erforderlich, um das Wohnen insbesondere in den Ballungsgebieten bezahlbar zu halten, die Klimaziele zu erreichen und Wachstum in neuen Technologiebereichen zu ermöglichen. Mit Blick auf die aktuelle Zins- und Kostenentwicklung muss der Staat jetzt mit einer Offensive für soziales und bezahlbares Bauen und Wohnen reagieren, bestenfalls dafür Rechnung tragen, wie dies mit einem Zweckvermögen in einigen Bundesländern der Fall ist. Es gilt, den Wohnungsbau mit Mitteln abzusichern, die nicht dem jährlichen haushalterischen Prozedere unterworfen sind. Der Unwägbarkeit von Entwicklungen auf den Finanzmärkten sollte mit einem Zinsverbilligungsprogramm begegnet werden. Ziel muss es sein, dieses Programm für ein Prozent dem Markt zur Verfügung zu stellen. Förderprogramme sollten so konzipiert sein, dass zugrundeliegende Zinssätze für private und institutionelle Investoren verlässlich sind, Kalkulationssicherheit bieten und nicht mehrfach unterjährig der Haushaltslage angepasst werden.
  2. Stopp von weiteren, ordnungsrechtlichen, fördertechnischen Standardanhebungen bei der Errichtung von Wohnraum: Um bezahlbaren Wohnungsbau kurzfristig zu ermöglichen, müssen sofort alle Möglichkeiten zur Senkung der Herstellungskosten eingesetzt werden. Beim Bauen muss es wieder vermehrt zur Anwendung von bauaufsichtlichen Mindestanforderungen, den Regelstandards, kommen. Das Bündnis unterstützt daher die Forderung der Bauministerkonferenz an das Justizministerium, zivilrechtliche Regelungen zur rechtssicheren Anwendung eines "Gebäudetyps E" gemeinsam mit den Ländern zu erarbeiten und dem Bundestag zeitnah zuzuleiten, sowie die Länderinitiativen aus Bayern, Hamburg und Schleswig-Holstein zur Förderung einer Bauweise, die sich an den gesetzlichen Standards und nicht den Höchststandards orientiert. Darüber hinaus fordern die Verbände Abstand zu nehmen von den Überlegungen zu einer weiteren Verschärfung der Neubaustandards.
  3. Neujustierung von Breiten- und Spitzenförderung: Aufgrund der erheblich veränderten Finanzierungsbedingung im Wohnungsbau erscheint der Wechsel von der Breitenförderung hin zur Spitzenförderung sowohl beim Neubau, als auch bei der Sanierung kontraproduktiv für die Erfüllung der Neubau- und Klimaschutzziele. Mit dem Rückgang der Förderzusagen der staatlichen Förderbank KFW in den Programmen "Wohnen & Leben" sowie "Energiewende" von 41 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf ein Fördervolumen zirka 17 Milliarden Euro war ein Rückgang der geförderten Wohneinheiten von 1,45 Millionen auf weniger als 226.000 verbunden. Damit wurde die staatliche Förderung für eine Vielzahl von Projekten gekappt, als diese am dringendsten benötigt wurde. Die Umstellung von Zuschüssen auf Zinsvergünstigungen benachteiligen zudem eigenkapitalschwache Investoren / Haushalte. Förderpolitik muss langfristig stabil hohe Investitionsimpulse setzen. Die Energiewende ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Die Bau-, Immobilien- und Wohnungswirtschaft brauchen langfristig verlässliche Rahmenbedingungen. Nur so kann Beschäftigung aufgebaut werden, die den benötigten preiswerten Wohnungsbau errichtet.

Die Verbände machen sich konkret für eine sofortige Sonderförderung des Wohnungsneubaus von jährlich 23 Milliarden Euro stark: Allein 15 Milliarden Euro seien für 100.000 neue Sozialwohnungen nötig und acht Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen, wie aus der ARGE-Studie hervorgeht. Außerdem müsse deutlich einfacher gebaut werden können. Das Fazit: Keine überzogenen Standards und deutlich mehr Förderung – nur so schaffe Deutschland den Weg aus der Wohnbaukrise.

Weitere Informationen zu den Wohnungsbautagen


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Schlagworte zum Thema:  Wohnungsbau, Wohnungspolitik